Da hatte sie ihn einfach überrumpelt, ihr Kind in seinen Arm gelegt und gesagt: „Meine Tochter braucht einen Erzieher, der ihr beisteht. Ich möchte, dass du das sein wirst, und verleihe dir den Titel Erzieher der Erbprinzessin Nofrure.“
Senenmut hatte unmissverständlich ablehnen wollen und sich mit freundlichen jedoch klugen Worten aus der Verantwortung ziehen - ebenso klug, wie sie ihn in diese Verantwortung zu drängen gedachte. Wie eine Katzenmutter hatte sie ihm ihr Junges zu Füßen gelegt, weil sie nicht wusste, wohin sie es sonst hätte tragen sollen oder wo sie es sicher hätte verstecken können - und ebenso klug wie eine Katzenmutter hatte sie es geplant. Senenmut schüttelte den Kopf über so viel Hintertriebenheit. Dies würde ihn ein für alle Mal zu ihrem Verbündeten machen und ihn an den Palast fesseln. Das letzte Vertrauen ihres Brudergemahls, der ihm ohnehin nie wirklich getraut hatte, wäre zerstört, wenn er sich von Hatschepsut mit einem derart hohen Amt beschenken ließ. Schlimm genug, dass Senenmut der Freund seines Vaters gewesen war, doch wenn er nun seiner Schwestergemahlin Hatschepsut und der Erbprinzessin nahe stand, wäre Thutmosis Misstrauen größer denn je. Und Hatschepsut dachte noch weiter - Senenmut müsste sie und ihre Tochter schützen, da ihr Untergang auch den seinen bedeuten würde. Ach, er hätte zornig sein sollen, und er war es auch gewesen. Nun musste er den Traum von einer eigenen Familie und dem Rückzug vom Hof endgültig hinter sich lassen. Doch als er das schwache und schutzlose Kind in seinem Arm gehalten hatte, ein Stück Familie, das er nie besessen hatte, war sein Zorn verraucht und er hatte der Versuchung nicht widerstehen können. Wie hätte er sich diesem kleinen Geschöpf entziehen können, das in so unsichere Zeiten geboren worden war und dessen Vater zu schwach war, ihm Schutz zu bieten. Hatschepsut hatte erfreut gelächelt, denn sie war klug genug, seine Gefühle zu erkennen, als er das Kind in den Armen gehalten hatte. Senenmut hatte der kleinen Erbprinzessin einfach nicht widerstehen können, ebenso wenig wie er ihrer Mutter widerstehen konnte. Senenmut trat an die Fensteröffnung der Unterkunft und starrte hinaus in die flirrende Hitze. Er spürte augenblicklich, wie sein Magen sich zusammenzog, da er den Gedanken, den er nicht zulassen wollte, nun endlich zu Ende gedacht hatte. Ihm wurde mit einem Male klar, was ihn so sehr Abstand halten ließ von dieser jungen Gottesgemahlin, deren Vater er so freimütig hatte begegnen können. Er, der kühle und kluge Denker, Senenmut, der Besonnene, fühlte sich von der Gottesgemahlin angezogen in einer Art, wie es nicht sein durfte. Und das in seinem Alter, wo er hätte klug sein sollen und über derartige Überschwänglichkeiten der Jugend erhaben. Er war es nicht! Die Erkenntnis traf ihn wie ein Schlag in den Magen. Er war wie von Sinnen, wenn er sie ansah, und in seinem Herz erklang, ohne dass er es wollte, ein Liebeslied, welches er in seiner Jugend für die Tochter eines Schankwirtes gesungen hatte, bevor er sie verlassen hatte und in den Dienst des Einzig Einen getreten war.
Sie ist süß wie die LiebeSüß ist die Liebe des Königs zu ihrSüß ist die Liebe der Männer zu ihr,Sie ist die Herrscherin der Liebe, erste aller FrauenEine Königstochter , süß wie die LiebeDie schönste aller Frauen …
Ein Mädchen wie man es nie sahSchwarz war ihr Haar, dunkler als die Nacht …
Senenmut sah hinaus in den Himmel, in dem Re sich bereit machte von Nut verschlungen zu werden und seine Nachtfahrt zu beginnen. Vögel zogen vorbei, erhoben sich über die Mauer der Festung von Buhen und flogen davon mit freiem Herzen und ohne Reue zu empfinden. Die Priester begannen ihre Stundengesänge, und es hätte ein Tag wie jeder andere sein sollen. Doch das war er nicht. Im Goldland tobte ein Aufstand der Fürsten, während in seinem Bauch Schmetterlinge umherwirbelten, die ihn keinen klaren Gedanken fassen ließen, solange er in ihrer Nähe war. „Anen, mein alter Anen! Wenn du mich jetzt sehen würdest, wie sehr würdest du mich auslachen. Du bist alt, aber ich bin ein alter Narr!“
Hatschepsut fühlte sich steif und ungelenk wie eine alte Katze, als sie von Ipu gestützt den Raum verließ, in dem sie ihre Tochter geboren hatte. Ein Lager voller Schmerzen und Glück hatte sie hier gefunden, doch das war eine Woche her, und die Sorgen zerrten sie unbarmherzig auf die Beine. Natürlich war Ipu anderer Ansicht, aber wie hätte Hatschepsut sich den verlockenden Einwänden ihrer Dienerin hingeben können. Die Männer warteten ausgehungert in diesem elenden kleinen Hof, auf dass sie einen Schuldigen fanden, an dem sie ihren zornigen Hunger stillen konnten. Hatschepsuts Bauch war leer, ihre Tochter zwar schwach, doch die Milch der nubischen Amme nahrhaft genug - Nofrure wurde von Tag zu Tag kräftiger. „Eine nubische Amme, Haatsch!“, hatte Ipu mit aufgerissenen Augen geschrien, doch dann zugeben müssen, dass die Milch dieser dunklen Frauen des Goldlandes Nofrure nährte, als wäre sie von Hathor selbst gesäugt worden. Hatschepsuts übervolle Brüste hingegen schmerzten, und ihre eigene Milch stockte und versiegte. Aber das würde vergehen. Wenn sie ihre Tochter ansah, wusste sie, dass Nofrure allen Schmerz dieser seltsamen Geburt wert war.
„Sie ist bezaubernd, Haatsch ... aber nur eine Tochter. Ein Bote ist bereits mit einem Sendschreiben nach Theben aufgebrochen, um es dem Palast zu verkünden. Was glaubst du, werden Mutnofret und Isis tun? Sie werden ein Fest feiern, und ich fürchte um dich, wenn du nach Theben zurückkehrst. Sie werden alles daran setzen, dass es dort keinen Platz mehr für dich gibt!“ So redete Ipu jeden Tag und drängte sich in ihre glücklichen Gedanken, bis nichts mehr von ihnen übrig zu sein schien - Hatschepsut war des maßlosen Leidens ihrer Dienerin überdrüssig. Und doch hatte Ipu recht! Nun, da sie ihr Lager, die letzte Zuflucht vor der Wahrheit verlassen hatte, wusste Hatschepsut, dass sie weiter gehen musste – Schritt für Schritt, wie Senenmut gesagt hätte, wenn er nicht ihre Nähe gemieden hätte wie ein Schakal die Menschen. Was hatte sie nur an sich, dass die Männer sie mieden, als trüge sie Pusteln und Beulen im Gesicht. Zürnte Senenmut ihr, da sie ihm ihr goldenes Kind in die Arme gelegt hatte? Du armer einsamer Mann. Wie hat der Anblick Nofrures dein so gut gehütetes und verschlossenes Herz erschüttert. In ihrem Herzen lächelte sie jedoch über diesen scheinbar lebenserfahrenen Mann, dessen geordnete Welt nun über ihm einzustürzen schien, als wäre das Firmament über seinem Kopf geborsten.
Hatschepsut traf die Hitze auf den Straßen der Festung, als hätte Amun selbst ihr ins Gesicht geschlagen. Geh endlich deinen Weg – ein Schritt vor den anderen, schien er sie zu tadeln, und Hatschepsut krallte sich an Ipus Arm, um nicht gleich wieder umzukehren. Es ging auf die Zeit der Überschwemmung zu, aber hier, am Ende der Welt, gab es nur Sand und Staub und Wüste. Dabei war Buhen nach Aussagen Seteps der letzte Posten ägyptischer Ordnung. Hier gab es Tempel, in denen Opfer dargebracht wurden und sogar ein paar Gärten, die gewässert und gepflegt wurden. Was Hatschepsut erwarten würde, wenn sie tiefer in das Goldland vordrang, mochte sie sich kaum vorstellen. Schon begann sie die schwarze Erde Kemets zu vermissen, die Papyrusstauden am Ufer des Hapi, die trägen Nachmittage auf ihrer Sonnenterrasse, und das bunte Treiben in Thebens Straßen. Amun mochte ihr Kraft verleihen, denn sie musste weiter und diesen einmal eingeschlagenen Pfad bis zum Ende gehen, wenn sie darauf hoffen wollte, in ihre Heimat zurückzukehren! Sie fühlte sich tatsächlich wie eine müde Katze ... Hatschepsut, mein Kätzchen ... fielen ihr die Worte ihres Vaters ein, der versäumt hatte ihr zu sagen, dass auch Kätzchen steifbeinig und ungelenk werden konnten. Ihr Unterleib, noch immer wund von der Geburt, wollte nicht, dass sie hier draußen auf den sandigen Straßen herumlief, aber Hatschepsut biss die Zähne zusammen und ließ sich von Ipu zu den behelfsmäßigen Unterkünften der ehemaligen Leibwache ihres Vaters führen. Diejenigen, die auf dem Weg der Besserung waren – ihre Herzen musste Hatschepsut gewinnen. Ihre Blicke schweiften zweifelnd hinüber zum Haus des Setep, in dem Senenmut Räume bezogen hatte. Sie könnte ihn rufen lassen und fordern, dass er ihr beistand. Mit einem inneren Seufzen entschied sie sich dagegen – wie sollte eine Gottestochter jemals die Achtung derer gewinnen, die von einem Gott enttäuscht worden waren, wenn sie es nicht einmal schaffte, ihnen alleine entgegenzutreten?
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