Die Alte gab sich unbeeindruckt, während sie Ipu mit einer einzigen unwirschen Handbewegung zur Seite schob. „Meine Königin ist sie nicht und wird sie niemals sein – und deine auch nicht mehr, wenn sie nicht endlich anfängt zu pressen.“
„Du verlierst deinen Kopf für deine unverschämten Worte, du Tochter eines Mastschweins!“ Ipu war außer sich vor Zorn und drängte sich an der Alten vorbei.
Geschrei, Gezänk und dieser alles zerreißende Schmerz! Noch niemals war Hatschepsut sich so bewusst gewesen, dass sie lebte. Ihr Kind wollte geboren werden und das mit einer Gewalt, dass es nur ein Knabe sein konnte – der Falke im Nest! Sie fuhr hoch, als ihr das bewusst wurde, und helfende Arme ergriffen sie sogleich unter den Achseln. Sie zogen Hatschepsut vom Lager, auf dem sie gelegen hatte, hinunter auf den Boden und zwangen sie, sich breitbeinig über ein Tuch zu hocken. Zwei nubische Mädchen, die der Alten halfen, hielten sie in dieser demütigenden Haltung gefangen, als wären ihre Hände aus hartem Granitstein und straften damit ihr dürres Äußeres Lügen. Weitere Hände, von denen Hatschepsut nicht hätte sagen können, woher sie kamen, zogen ihr das mittlerweile blutbefleckte Leinenkleid über den Kopf, und dann zog der nächste Schmerz durch ihren Rücken hinein in den Unterleib. War das ihre Stimme, die da schrie und fluchte wie eine Fellachin? Ahmose wäre vor Schreck in Ohnmacht gefallen. Erneut tauchte Ipus Gesicht vor dem ihren auf, ängstlich und doch froh und wurde mit zornigem Grunzen von der Dunkelhäutigen beiseitegeschoben, die grinsend Hatschepsuts Wangen zwischen ihre dicken nach Zwiebeln und irgendetwas anderem riechenden Finger nahm. Hatschepsut wurde übel vor Schmerz und dem Gestank.
„Jetzt, mein schlaffes Goldentchen. Na los, hilf deinem Kind etwas!“
Sie dachte nicht weiter über die Worte der Nubierin nach, wollte nur, dass der Schmerz endlich aufhörte. Hatschepsut spannte die Muskeln an und presste sich die Eingeweide aus dem Leib, bis das Kind endlich den Weg aus ihrem Leib gefunden hatte. Ipu schrie, die Nubierin stöhnte erleichtert auf, und Hatschepsut fiel zusammen wie ein Sack Getreide, als die erbarmungslosen Hände sie endlich losließen.
„Der Horus im Nest ist geboren“, vernahm sie Ipus aufgeregte Stimme immer wieder, und dann die der Dunkelhäutigen. „Ein Mädchen, zu früh geboren und schwach. Ob sie lebt oder stirbt, mögen die Götter entscheiden!“
Sie wurde wieder aufgehoben, grob zurück auf das harte Lager gelegt und ihre Blöße mit einem Leinentuch zugedeckt. Hatschepsuts Kopf schien zu zerspringen und ihr Unterleib ein Schlachtfeld zu sein, aber dann besann sie sich und streckte die Arme aus. „Gib sie mir!“, wies sie die Schwarze an, die den wimmernden Säugling in ihre Arme legte. Hatschepsut betrachtete erstaunt das winzige Geschöpf, das ihre Tochter war. Augen, Nase, Mund, zehn Finger und zwei Füßchen – alles war vorhanden, und schwarzer Haarflaum klebte auch auf dem noch blutverschmierten Köpfchen. Hatschepsut hob den Kopf und herrschte die Dunkelhäutige an. „Sie ist die Erbprinzessin von Kemet, und sie wird leben, meine Tochter Nofrure.“
Die Schwarze hob die Brauen und schüttelte den Kopf über soviel Sturheit. Dann hob sie die Hände in einer abwehrenden Geste. „Meinetwegen“, gab sie wenig beeindruckt zu und verließ dann grußlos den Raum, um zu beweisen, wie wenig diese Königin ihr Angst zu machen vermochte. Ipu kam zu Hatschepsut und setzte sich neben sie auf das Lager. Ihre hektischen Flecken wichen langsam, aber ihre Augen waren betrübt. „So klein ist sie und zu früh geboren, fast einen ganzen Mondumlauf ... und dann noch ein Mädchen. Ach, Haatsch, es tut mir so leid.“
Mir tut es nicht leid , dachte Hatschepsut, während sie das kraftlose Kind vorsichtig im Arm hielt und an ihre Brust legte, wo es sofort zu trinken begann. Nur einmal würde Hatschepsut ihre Tochter selbst stillen, denn die mu besa – die erste Milch des Schutzes nach der Geburt, war wichtig für das Überleben eines Kindes. Nur wenige Säuglinge, welche die Milch nicht erhalten hatten, überlebten länger als ein paar Tage. Sie gab Nofrure nach dem ersten Stillen nur ungern an eine nubische Amme weiter, während Ipu die zwei dunkelhäutigen Mädchen anwies, die Nabelschnur zu durchtrennen und eine Binde über den Bauch der Mutter zu legen. Sie bestand wie ein Kommandant darauf, den Leib der Gottesgemahlin selbst zu säubern, da diese bereits genug schmutzige Hände an ihrem göttlichen Leib hatte erdulden müssen. Hatschepsut war ihr dankbar, doch innerlich war es ihr fast einerlei. Amun hatte ihr eine wunderschöne Tochter geschenkt, an etwas anderes konnte sie kaum denken. Ipu zwang Hatschepsut, ein Gebräu aus Sellerie zu trinken, damit es die Schmerzen im Bauch vertrieb, und duldete auch keinen Widerspruch, als Hatschepsut sich beschwerte, dass es schmecken würde wie Katzenurin. Trotzdem ließ Hatschepsut all dies über sich ergehen, ohne Nofrure aus den Augen zu lassen, die mittlerweile im Arm der Amme eingeschlafen war. Als endlich die Priester erschienen waren, ihren Raum mit Weihrauch gesäubert und Schutz bringende Amulette um den Hals von Mutter und Tochter gelegt hatten, ließ sie sich Nofrure in den Arm legen. Hatschepsut wusste, dass schon bald ein Bote nach Theben aufbrechen würde, um Thutmosis die Nachricht zu überbringen, dass seine Große Königliche Gemahlin nicht den erhofften Thronfolger geboren hatte. „Hol mir Senenmut“, wies sie Ipu an und streichelte den Kopf ihrer Tochter.
Senenmut lehnte an der Wand seines bescheidenen Raumes, den er von Setep zugewiesen bekommen hatte, und spürte sein Herz hart gegen seine Rippen schlagen. Was hatte ihm der zu Osiris gegangene Einzig Eine da nur zugemutet, indem er ihn so rückhaltlos an Hatschepsut gebunden hatte. Er hatte den Göttern einen Schwur geleistet, jedoch nicht geahnt, welche Ausmaße dieser Schwur auf sein Leben und sein eigentlich zufriedenes Gemüt haben würde. Hätte Senenmut gewusst, weshalb die Gottesgemahlin ihn heute zu sich gerufen hatte, wäre er nicht zu ihr gegangen. Er hätte sich geweigert und sich unter den Soldaten versteckt, bis sie von ihrem unsinnigen Vorhaben Abstand nahm und zur Besinnung kam. Sie war verwirrt, und wahrscheinlich hatte der überforderte Sunu der Grenzfestung, welcher derart hohen Besuch ansonsten wohl kaum behandeln durfte, ihr einen Trank aus Bilsenkraut oder Mohnsaft gegeben, der ihr die Sinne verdrehte – mit all diesen Ausreden versuchte Senenmut, sich ihr Verhalten zu erklären. Dann seufzte er und erlaubte sich ein bitteres Lächeln. Er kannte die Wahrheit – Hatschepsut war nicht betäubt vom Mohnsaft, wie ihre Mutter Ahmose und auch nicht verwirrt und gedankenlos wie ihr Bruder ... Hatschepsut war klug!
„Senenmut ... „ hatte sie gesagt, während sie ihre schlafende Tochter im Arm gehalten hatte und ihn mit ihrem Katzengesicht angesehen. „Warum hast du keine Familie?“
Ihre Frage hatte ihn verwirrt, und gleichzeitig war sie ihm unangenehm. Senenmut sprach nur mit wenigen Menschen über persönliche Dinge, und er hätte sich gerne einer Antwort verweigert. Sein Vater war vor einigen Nilschwemmen gestorben, seine Mutter Hatnofret lebte noch in Armant, ebenso wie seine Brüder und Schwestern. Er liebte sie alle, doch je näher er dem Thron gekommen war, desto fremder waren sie ihm geworden. Sie hatten niemals darum gebeten, dass er ihnen höhere Bildung oder Ämter im Palast verschaffte. Zweimal im Jahresumlauf besuchte Senenmut sie, und es waren freundliche, jedoch belanglose Besuche, bei denen niemand so recht etwas mit dem zu Ehren gekommenen Sohn und Bruder anzufangen wusste. In jedem Jahr, wenn das Schöne Fest des Tals gefeiert wurde, ging er mit ihnen zum Grab des Vaters und vollzog die Opfer, wie es sich für einen guten Sohn gehörte. Danach gingen sie wieder getrennte Wege. Senenmuts Leben hatte dem Einzig Einen gehört, und er war zufrieden damit gewesen und hatte nichts vermisst - zumindest nicht oft, und das hatte er Hatschepsut wahrheitsgemäß geantwortet.
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