»Er ist hartnäckig, wenn er etwas will, nicht wahr?«, grinste der Kronprinz. »Und wenn er es nicht bekommt, kann er sehr fies werden.«
Desiderius erwiderte nichts darauf, er hatte das ungute Gefühl, dass der Kronprinz über ihn
Bescheid wusste.
***
Der Heiler der Burgfestung befand sich in den mittleren Zimmern des Burgturms. Dort wurde Desiderius auf ein Lager aus Pelzen gebettet.
Es war heiß und es roch würzig in der winzigen Kammer, in der er untergebracht wurde. Auf einer Ablage in seiner Nähe befanden sich allerlei eingepflanzte Kräuter, darunter auch gefährliche Giftpflanzen, die ihm nicht unbekannt waren. Glasphiolen mit dickflüssiger, grüner Flüssigkeit standen oder lagen herum. Das hier war eher ein Alchemie-Labor als ein Ort der Heilung und Genesung.
»Mir geht es gut, ich muss nur schlafen«, behauptete Desiderius nicht zum ersten Mal. Doch er wurde von dem Kronprinzen wieder zurück auf das Lager gedrückt, als er aufstehen wollte.
»Ihr bleibt hier und lasst die Wunde verarzten«, beschloss der Prinz und bedachte Desiderius mit einem eindringlichen Blick.
Frech schmunzelnd lehnte sich Desiderius zurück. »War das ein Befehl?«
»Ja«, grinste der Kronprinz zurück.
»Wenn das so ist, habe ich keine andere Wahl.«
»Das habt Ihr vollkommen richtig erkannt, Desiderius«, stimmte Prinz Karic zu.
Erneut lächelten sich die beiden Männer freundschaftlich zu.
Der Heiler kam herein und unterbrach jeglichen weiteren Gesprächsverlauf. Prinz Karic trat beiseite und machte ihm Platz.
Der Burgheiler war ein sehr alter Mensch, der bereits gekrümmt ging und stets braune, einfache Leinengewänder trug. Er hatte schneeweißes, kurzes Haar, eine Hakennase, enge Augen, schmale Lippen und faltige, herunterhängende Wangen. In seinem Mund waren kaum Zähne und auf seinen Knochen kaum Fleisch. Er war dünn und zitterte stets vor Altersschwäche. Doch seine Stimme war fest und sein Verstand klar. Desiderius kannte ihn noch aus seiner Kindheit und er vertraute dem Mann. Aber er ließ sich von Natur aus nicht gerne verarzten.
Nach einem kurzen Blick auf Desiderius’ Wunde, trug der Heiler ruppig auf: »Hose aus!«
Das war der Moment, als Prinz Karic sich umdrehte und murmelte: »Ich warte draußen, bis Ihr verarztet seid.«
»Das müsst Ihr nicht tun«, warf Desiderius ein, »geht und legt Euch schlafen, Majestät, ich brauche keinen Aufpasser.«
»Das ist mir bewusst«, erwiderte der Prinz mit ernster Miene. »Aber wir müssen uns noch unterhalten.«
Desiderius sah den Kronprinzen verwundert an. Befürchtungen darüber, dass der Prinz zu viel wusste, breiteten sich in seinem Inneren aus und ließen seine Kehle austrocknen.
»Aber erst müsst Ihr versorgt sein«, sagte der Prinz und wandte sich dann ab. Hinter ihm schloss sich die Tür zur Kammer. Mit einem Mal hatte Desiderius das Gefühl, gefangen zu sein.
»Hose aus, Bursche!«, forderte der Heiler ungeduldig auf, während er bereits einige Kräuter mit einem Stößel bearbeitete.
Desiderius schob seine Sorgen vorerst beiseite und zwängte sich aus seiner Hose. Der blutdurchdrängte Leinenstoff war getrocknet und klebte an seiner Haut. Als er die Hose auszog, riss er damit die Wunde noch weiter auf.
Der Heiler kam zu ihm, setzte sich auf die Kante seines Lagers und beugte sich über sein verletztes Bein.
»Muss saubergemacht werden«, erkannte der Heiler mit kurzen, trockenen Worten und wandte sich wieder ab.
Ohne sein Tun zu erklären ging er etwas Unverständliches vor sich hin murmelnd zur Tür und verließ die Kammer.
Desiderius lag halb nackt auf dem Lager und konnte in den Flur hinaussehen, zum Glück bedeckte sein langes Leinenhemd seine Männlichkeit, sonst hätte er sich etwas entblößt gefühlt.
Aber jegliche Sorge darüber, dass jemand auf seine Weichteile sehen könnte, verflog augenblicklich, als er im Flur zwei Personen stehen sah, die ganz offensichtlich miteinander in eine hitzige Diskussion verwickelt waren.
Sie standen zu weit entfernt und sprachen zu leise, als das Desiderius sie hätte verstehen können. Aber anhand ihrer Haltungen und Gesten wusste er, dass die Unterredung keiner fröhlichen Natur war.
Prinz Karics Rückseite war angespannt und er sprach mit einem drohenden, hocherhobenen Zeigefinger, der direkt auf Prinz Wexmells Brust zeigte, als wolle der Finger den jungen Mann wenn nötig aufspießen.
Prinz Wexmells Gesichtsausdruck war verärgert und er presste seine Lippen wieder zusammen, als müsste er sich stark zusammenreißen, nicht loszubrüllen. Seine Nasenlöcher bebten und er funkelte Prinz Karic an, der immer noch drohend auf ihn zuging, sobald Wexmell etwas sagen wollte.
Mit zusammengezogenen Augenbrauen beobachtete Desiderius die Beiden und stützte sich dabei auf seine Ellenbogen. Worüber sprachen sie? Steckten Desiderius und Wexmell nun doch wegen dieser einen Nacht in großen Schwierigkeiten? Was glaubte Prinz Karic zu wissen und wie ging er damit um?
Voller Furcht schluckte Desiderius wegen all dieser Fragen in seinem Kopf, die ihm vorerst keiner beantworten konnte.
Als Prinz Wexmell während dem Vortrag des Kronprinzen mit den Augen rollte, begegnete er Desiderius’ Blick. Sie stockten beide kurz.
Desiderius wusste nicht, was er lieber täte. Den Blonden zu Boden werfen und erwürgen, weil er ihn ständig in Schwierigkeiten brachte, oder zu Boden werfen und ... seine Nasenspitze küssen, die vorwitzig ein kleinwenig nach oben zeigte. Seine Augenlider küssen und dann seine schmunzelnden Mundwinkel ... an seinem spitzen Kinn knabbern und weiter hinab gleiten, sich an seinem schlanken Hals festsaugen. Knabbern, lecken ... Fänge ausfahren und von ihm trinken bis er ertrank.
Als hätte Wexmell seine Gedanken erraten, wurde auch sein Blick dunkel vor Begierde. Sie wollten einander, egal, was Desiderius auch zu dem jungen Prinzen sagte, es war offensichtlich, dass er ihn noch einmal haben wollte. Deshalb musste er sich sehr weit von ihm fernhalten. Er durfte nicht in Versuchung geführt werden. Körperliche Begierde hatte er noch nie gut unter Kontrolle gehabt.
Prinz Karic bemerkte, dass er nicht mehr die Aufmerksamkeit seines Bruders innehatte und warf einen Blick über die Schulter. Er sah nicht glücklich aus, als er begriff, dass Wexmell und Desiderius Blickkontakt aufgenommen hatten. Abschirmend baute er sich vor Wexmell auf und schickte ihn mit einer eindeutigen Geste fort.
Prinz Wexmell wandte sich mit dem trotzigen Blick eines Jungen ab und stampfte sauer davon. Nun konnte man ihn laut fluchen hören.
Just in diesem Moment kam der Heiler mit einem Eimer Wasser zurück und schloss wieder die Tür.
Seufzend ließ Desiderius sich zurückfallen und ergab sich den fähigen Händen des Alten. Aber während der Verarztung kreisten seine Gedanken unaufhörlich um den jungen Prinzen. Er fragte sich, warum er sich selbst so quälte, obwohl es so einfach sein könnte. Doch die Antwort darauf hatte er sogleich parat. Ein Mann wie er bekam einfach nie das, was er sich ersehnte, vor allem keinen Prinzen.
Selbst wenn es im Moment nicht den Anschein hatte, aber letzten Endes würde es übel für ihn enden, wenn er sich auf Wexmell einließ. Entweder er würde anfangen, den jungen Prinzen zu mögen, oder er verlor seinen Kopf, weil sie beide erwischt wurden.
Wäre Wexmell kein Prinz, wäre es vielleicht einfacher. Aber Desiderius hätte vermutlich auch dann zu viel Angst davor, seine knallharte, kalte Fassade abzureißen, um zu offenbaren, dass er tief im Inneren ein Herz besaß, das sich davor fürchtete, verletzt zu werden.
Wer nicht fühlte, konnte auch nicht enttäuscht werden. Das hatte er dank der Ablehnung seiner Familie schon sehr früh lernen müssen. Warum sollte ein Prinz ihn anders behandeln? Für Wexmell war er doch nichts weiter als ein nettes Spielzeug. Eine Ablenkung vom tristen Alltagsleben eines Hochgeborenen. Er würde nur solange Spaß an ihm haben, bis ihm das Verbotene langweilig wurde und er seine Aufmerksamkeit einer neuen Verlockung zuwandte. Der junge Prinz würde ihn schneller fortwerfen, als es bei einem Gewitter blitzen konnte.
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