1 ...8 9 10 12 13 14 ...53 Als er in das Haus des Händlers in der Stadt zurückgekehrt war und das Pferd dem Stallburschen übergeben hatte, ließ der Hausherr ihn zu sich rufen, um ihn über den Hergang seiner kurzen Reise zu befragen. Während Hadhuin die verlangte Rechenschaft ablegte und gerade von einem Disput mit dem Kämmerer der Fürstin berichtete, der die Qualität eines nicht von ihm selbst ausgesuchten Tuchs bemängelte, fragte sein Herr ihn unvermittelt, ob da etwa Blut auf seinen Händen zu sehen sei. Er rückte die flackernde Lampe auf dem Tisch näher an ihn heran und forderte ihn auf, sie in ihren Schein zu halten.
Hadhuin, dem im ersten Moment der Atem stockte, tat wie ihm geheißen. Sofort fühlte er kalte Schweißperlen aus seinen Achselhöhlen treten, verlor aber keinen Moment an Haltung. Während er sich insgeheim noch einen Narren schimpfte, weil er es versäumt hatte, das Taubenblut von seinen Händen zu waschen, schoß es ihm durch den Kopf, daß er nichts verbotenes getan hatte. Jedem, wirklich jedem, waren Kulthandlungen zu Ehren Pendaris erlaubt, und dies zu jeder sich bietenden Gelegenheit. Nicht dem Geringsten unter den Sklaven und Leibeigenen war es versagt, die Hüterin des Glücks an einem ihr geweihten Ort anzurufen und ihren Beistand mit einem Blutopfer zu erwirken. Also berichtete Hadhuin mit fester Stimme, zu welchem Zweck er sich auf dem Heimweg kurz aufgehalten hatte, und bis hierher entsprach sein Bericht voll und ganz der Wahrheit. Schwierigkeiten bereitete es dagegen zu erklären, wofür er den Beistand der Göttin hatte erwirken wollen. Denn ein Blutopfer war unweigerlich ein Bittopfer. Zu seiner grenzenlosen Erleichterung gab sein Herr sich aber schon zufrieden und winkte lächelnd ab. Er wußte von seinen häufigen Besuchen in Pendaris Hain und sah sie mit Wohlgefallen, denn die gläubigsten seiner Diener waren in der Regel auch die zuverlässigsten und folgsamsten.
Hadhuin achtete seinen Herrn, der ihn von einem grimmigen Schicksal befreit und nicht ein einziges Mal schlecht behandelt hatte. Und er hätte ihn geliebt, wäre da nicht sein unbändiger Freiheitsdrang gewesen, sein Verlangen nach Unabhängigkeit und Anerkennung, wovor jeder Sinn für Loyalität verblaßte. Er ging nicht einmal so weit sich zu fragen, was sein Herr gerade in ihm gesehen haben mochte, als er beschloß ihn in seinen Dienst zu kaufen – ihn, der zur Verrichtung einer der denkbar rohesten Arbeiten abbeordert war! Selbstbespiegelung war Eitelkeit, und Eitelkeit war der Trost der Schwächlinge. Hadhuin zog es vor, sich dem blinden Glauben an eine fremde, ungreifbare Macht zu überlassen, deren höchst willkürliche und nie absehbare Gunst er sich durch Opfergaben zu erkaufen suchte, die aber sonst keinen Treuebeweis von ihm verlangte.
Nur so besaß er die Kaltblütigkeit, sich in der Morgenfrühe des übernächsten Tages, lange vor Sonnenaufgang, unbemerkt vom restlichen Gesinde wie auch den sonstigen Hausbewohnern, von seinem Lager zu schleichen und eilendst das Nötigste zum Überleben zusammenzusuchen. Dazu gehörte zunächst ein Messer, und daß Hadhuin einen Dolch besaß, hatte er einem weiteren Glücksfall zu verdanken, den er als Wink Pendaris verstand. Er hatte ihn nämlich kürzlich von einem Fremden im Tausch gegen vier Goldringe erhandelt, die er zufällig hinter einem losen Mauerstein an einer der Außenwände des Hauses entdeckte hatte. Offensichtlich wurden sie dort von jemand anderem gehortet. Von wem, und zu welchem Zweck, war Hadhuin unbekannt. Allein, daß sie auf diese Art versteckt waren, deutete jedoch auf eine verbotene Absicht hin, denn wer immer aus dem Gesinde etwas in rechtmäßiger Weise besaß, konnte es bei seinem Herrn in sichere Verwahrung geben. Auch war ungewiß, wie lange die Ringe dort schon gelegen hatten, und womöglich war der einstige Besitzer schon gestorben. Hadhuin hatte jedenfalls keinerlei Skrupel, sich des kleinen Schatzes zu bemächtigen, war aber darauf bedacht, ihn schnellstmöglich wieder loszuwerden, indem er etwas anderes dafür erwarb. Eines Tages hörte er von einem geheimnisvollem Fremden, der dringend Gold zu brauchen schien und dafür verschiedene Besitztümer veräußerte. Als er den Mann ausfindig gemacht hatte, bot dieser ihm ohne weitere Umschweife den Dolch für die vier Ringe. Das war gewagt, denn auf den Verkauf von Waffen an einen Sklaven stand die Todesstrafe. Hadhuin war von dem Anblick der stählernen, makellosen Klinge, die den blauen Himmel und das weiße Sonnenlicht so grell widerspiegelte, daß ihm die Augen schmerzten, sofort gebannt. Er brauchte nicht lange zu überlegen. Im Nu war der Handel abgeschlossen, und seither war ihm der Fremde nicht mehr begegnet.
Daß er nun als allererstes den Dolch aus seinem Versteck holte und sich damit gürtete, geschah wie von selbst. So fühlte er sich sicherer, sollte etwas unvorhergesehenes geschehen. Der Mond leuchtete ihm den Weg zur Vorratskammer. Hadhuin deckte sich mit der größtmöglichen Menge an Proviant ein und nahm außerdem ein kleines irdenes Gefäß mit, das er hinter der nicht verschlossenen Tür fand und zum Kochen würde gebrauchen können. Und was noch wichtiger war, nämlich Feuerstein und Schlageisen, fand er am Herd.
All das verschnürte und verpackte er so, daß es beim Tragen, oder auch wenn es zu Boden fiel, keinen Lärm verursachen würde. Als Felle und Decken waren ihm die seines eigenen Nachtlagers dienlich. Das Herz schlug ihm bis zum Hals, als er sich mit seiner Ausrüstung durch ein zur Straße weisendes Fenster davonstahl. Zuvor warf er eines der Felle hinaus, in der Hoffnung, damit seinen eigenen Fall abdämpfen zu können. Tatsächlich schaffte er es, fast lautlos unten anzukommen, obwohl er aus einiger Höhe springen mußte. Er lauschte einen Moment und atmete erleichtert auf, als er sicher war daß keiner der Hunde angeschlagen hatte.
Sein Ziel waren von Anfang an die abgeschiedenen, ihm leidlich vertrauten Gebirgstäler gewesen, wo er hoffte, unentdeckt zu bleiben. Und irgendwie den Winter zu überstehen. Er ging zunächst abseits aller Straßen und orientierte sich am Stand der Sonne, bis die bläulich die Ebene begrenzende Bergkette in Sichtweite kam. Er wanderte über während des Sommers intensiv genutztes Weideland, und stets fand er vor Einbruch der Nacht eine der niedrigen Hütten aus Bruchstein, die den Hirten im Sommer als Unterkunft dienten. Dank ihrer Feuerstelle und des Rauchfangs erfüllten sie für Hadhuin den gleichen Zweck auch jetzt. Nicht selten enthielten sie nützliche Dinge, etwa eine aus einem Schafsbalg gefertigte Feldflasche, die er sich zu eigen machte, oder auch Vorräte an Käse oder Trockenfleisch.
Eines Tages sah er von weitem einen Mann, der ein mit zwei prallen Säcken beladenes Maultier am Zügel führte. Die vor ihm liegende breitspurige Straße schlängelte sich in südwestlicher Richtung ins Gebirge hinein, und Hadhuin brauchte nicht lange, um sie wiederzuerkennen: sein Bauch krampfte sich zusammen dabei, denn er selbst war den Weg vor einigen Monaten in umgekehrter Richtung gegangen, als er seinem neuen Herrn in der Stadt entgegengesandt wurde. Somit wußte er auch, was die Säcke auf dem Maultierrücken enthielten: Hafer und Gerste, um die Wintervorräte des Steinbruchs aufzustocken.
Hadhuin war ausschließlich auf sein eigenes Überleben bedacht, und das um jeden Preis. Er entledigte sich seines Marschgepäcks, legte es zwischen die Wurzelstränge eines Baumstamms und wog flüchtig verschiedene Möglichkeiten gegeneinander ab; es dauerte jedoch nicht lange, bis seine sich leicht verengenden Augen einem etwaigen Beobachter die getroffene Entscheidung verraten hätten. Außer Hörweite des Lasttiertreibers verließ er das schützende Unterholz, um sich auf der Straße mit gezücktem Dolch an ihn heranzuschleichen.
Er hatte noch nie einen Menschen getötet, und alles was er wußte war, daß es schnell gehen mußte. Und so geschah es, wunderbarerweise für ihn. Er fiel dem Mann in den Rücken, nahm sein Gesicht in die Armbeuge um ihm den Kopf nach hinten zu reißen, und ehe er schreien konnte, hatte er ihm schon den Dolch durch die Kehle gezogen. Dann zog er die röchelnde, im Todeskampf wild um sich schlagende Gestalt abseits vom Weg ins Gehölz und versetzte ihr noch von vorne mehrere heftige Stiche in die Herzgegend, bis alles Leben in den entsetzt aufgerissenen Augen erloschen war und sein Opfer kraftlos in sich zusammensackte.
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