War heute wieder beim Doc (Hausarzt) Krankschreibung lief aus.
Er hatte den Bericht meiner Psychiaterin schon erhalten.
Keine Frage mehr, ob ich eventuell doch wieder arbeiten könnte.
Gut, brauche es also nicht noch mal alles erklären.
Krankschreibung ausgefüllt, unterschrieben, fertig.
Jeder Arzt muss dann ja noch seine Kenntnisse zur Behandlung als Tipps zum Besten geben.
Also eigentlich nur, dass ich das tun soll, was ich schon tue.
Therapie, bewegen, bla bla bla. Nichts Neues.
Dann: „Sie müssen sich erst einmal klar machen, was Ihr Ziel ist“.
Hä?
Beinahe hätte ich echt gesagt: „Hä?“
Das hat mir bisher noch niemand gesagt.
Weder in der Reha noch die Psychiaterin noch meine Therapeutin.
Teilziele setzen, kenne ich.
Das Ziel der Therapie steht doch schon von Anfang an fest.
Bin fast drei Jahre beim ihm wegen den Depressionen in Behandlung.
Nach kurzem Zögern sagte ich ihm, dass ich möchte, dass das alles aufhört.
„Gut“ meinte er, darauf sollte ich hinarbeiten.
Meine Gedanken: Oh, mal ein ganz neuer Ansatz.
Na ja, ist halt nicht jeder ein Fachmann.
So können sogar Halbgötter in Weiß bei einer ernsten Sache noch zur Erheiterung beitragen.
Auch ein Aspekt, öfter mal wieder zu lachen.
Bitte mal kurz die Welt anhalten.
Nur für einen Augenblick.
Möchte aussteigen.
Bin fertig mit hoffen.
…
Wollte Liebe, war für mich aber nichts mehr übrig.
Wollte Anerkennung, bekam Zurückweisung.
Habe anderen die Hand gereicht, bekam selbst keine.
War um das Wohl anderen besorgt. Um meins niemand.
Habe Depressionen.
Hatte Freunde, alle weg.
Kämpfe um Verständnis, zu viel verlangt, muss funktionieren.
…
Habe fertig.
Gefühle intensiv wie nie!
Habe in den letzten Tagen irgendwo den Begriff „Gefühlskirmes“ gelesen.
Das ist der richtige Ausdruck für meine derzeitigen Gefühle.
Für die Guten wie die Schlechten.
Grell und hektisch.
Intensiv und ungewohnt.
Abrupt von Hü nach Hott.
Abrupt von „ja, ich lebe“ nach „warum eigentlich noch?“
Keine Zeit zum Einordnen, schon wieder weg, schon wieder andere.
Sie scheinen zu schreien:
„Zusteigen, dabei sein, die nächste Fahrt geht rückwärts“,
„Komm‘ se näher, komm‘ se ran, hier werden ‘se genauso beschissen wie neben an.“
Immer in Bewegung, immer mal was Neues.
Bin ich noch ich?
Oder bin ich jetzt endlich ich?
Und plötzlich haben so banale Sätze wie:
„Ich geh dann mal“
„Ich nehme den nächsten Zug“...
eine ganz andere Bedeutung.
Bin nun seit vier Wochen krankgeschrieben und zu Hause.
Psychisch krank.
Hoch ansteckend.
Konversationsunfähig.
Das ist wahrscheinlich die Meinung alle „Freunde“ und Bekannten.
Niemand, wirklich niemand hat sich mal gemeldet.
Absolut niemand.
Ist ja auch nicht einfach,
kann man sich mit einem Depressiven überhaupt unterhalten?
Mit jemanden, der eine Wortfindungsstörung hat?
Wenn von den „Freunden“ und „Bekannten“ sich mal
jemand einen Knochen gebrochen hat, oder operiert wurde,
strömen „alle“ hin.
„Oh der/die Arme!“
Ich habe nicht mal ‘ne SMS,
‘ne Nachricht per WhatsApp oder
sonst irgendwas bekommen.
Bin ich überhaupt noch existent?
Oder schon aus den Kontakten gelöscht?
Lebe ich überhaupt noch in der Realität
oder nur noch in meinen Träumen, meinen Albträumen?
Ich weiß es nicht.
Ach ja, hab’s vergessen.
Ich muss mich ja melden, wenn ich mal jemanden brauche.
Ich würde mich gerne mal ein paar Tage in den Urlaub schicken.
Nicht mich komplett.
Nur den Teil von mir, der den anderen Teil nicht in Ruhe lässt.
Den Teil, der sich immer den Kopf zerbricht.
Den Teil, der mich nachts nicht schlafen lässt.
Den Teil, der mir nachts diese grässlichen Filme zeigt.
Den Teil, der mir immer Vorwürfe macht.
Den Teil, der ständig zweifelt.
Ein paar Tage nur, damit der andere Teil sich einmal etwas ausruhen kann.
Ein paar Tage nur, damit der Teil sich entspannen kann und nicht mehr so nervt.
Ein paar Tage nur, damit ich mal ausschlafen kann.
Ein paar Tage nur, damit ich mal wieder lachen kann.
Ich würde so gerne mal.
Meine Motivation,
meine Konzentration,
meine Kraft,
meine Freude,
mein Mut,
haben sich verabschiedet.
Sie sagten „Tschüss, bis dann!“,
sie gingen, ohne zu fragen,
sie gingen, ohne zu sagen wohin,
ohne zu sagen, wie lange.
Wo soll ich suchen?
Wann kommen sie zurück?
Wie kommen sie zurück?
Kommen sie zurück?
Ein Freund zu mir:
„Siehst gut aus heute, geht’s Dir langsam wieder besser?“
Mein Hausarzt zu meiner Frau:
„Wie geht‘s Ihrem Mann? Man sieht ihm seine Depression ja gar nicht an!“
…
Sollte ich vielleicht doch keine Maske aufsetzten, wenn ich das Haus verlasse?
Oder muss ich mir meine Krankheit statt auf dem Arm auf die Stirn ritzen?
Wenn schon Menschen, die mich kennen,
die mich angeblich so gut verstehen,
und sich angeblich mit der Krankheit gut auskennen,
solche Fragen stellen,
kann man ja von der Allgemeinheit eigentlich gar kein Verständnis erwarten.
Oder?
Auf der Suche nach dem ICH.
in den letzten Wochen hatte ich sehr viel Zeit
viel Zeit zum Nachdenken
viel Zeit zum Grübeln
viel Zeit zum Zweifeln
viel Zeit zum Suchen
viel Zeit um mich selbst zu suchen!
Nein, ich habe mich noch nicht gefunden.
Aber ein paar Hinweise habe ich gefunden:
- Verloren habe ich mich eigentlich schon als Jugendlicher
- habe nicht aufgepasst als meine Umwelt mich von mir getrennt hat
- habe nicht nach meinen Bedürfnissen gesehen, weil es falsch war, weil die der Anderen vorgingen
- habe mich immer der Umwelt angepasst, und mich selbst so aus den Augen verloren
- war wie ein Fähnchen im Wind, weil es so verlangt wurde
- bin falsch abgebogen, weil alle es erwartet haben
- irgendwann war der Weg zu mir abgeschnitten, unwegsam, zu gewuchert, weil er nicht genutzt wurde.
Was ich aber gefunden habe, ist eine Erkenntnis:
- ICH bin nicht mehr ICH –
Und die, die MICH von MIR getrennt haben, habe ICH alle mittlerweile, Gott sei Dank, verlassen
Aber wer bin ICH?
Wo bin ICH?
Werde ICH den Weg zu MIR wieder finden?
Werde ICH irgendwann zu MIR selbst finden?
Bevor es zu spät ist?
Im Moment drehe ich mich jedenfalls noch im Kreis
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