Stefan Kleine Wolter - Die Suche nach dem ICH

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Es ist schwer, Gefühle in Worte zu fassen und aufzuschreiben. Dennoch sind sie oft ehrlicher als gesagte Worte.
Im September 2013 wurde der Autor von seiner Frau mit einem klaren Auftrag zum Hausarzt geschickt:
"Sag ihm, dass Du Depressionen hast".
Damit fängt nicht nur seine jahrelange Suche nach der passenden Therapie und einen passenden Therapeuten an, sondern auch sein Gedankenkarussell bekommt eine ganz neue Dynamik.
Über zwei Jahre dauert es, bis er endlich einen festen Platz bei einer Psychotherapeutin findet. Zwei Jahre, die ihm den restliche Halt nehmen und den noch verbleibenden Boden unter den Füßen weg ziehen. Zwei Jahre, auch zwischen Leben und Tod.
Anfang September 2016 hat er angefangen seinen Gedanken-Salat aufzuschreiben und später, teils auch in Zeichnungen und Fotografien darzustellen. Alles, was ihm in Verbindung mit seiner Psyche, seinem Hochdingenskram, der Therapie, den Klinikaufenthalten, der Täter und den Reaktionen des Umfeldes in den Sinn gekommen ist, ist nun hier chronologisch sortiert festgehalten.
Gedanken im Rohformat, ehrlich, ungefiltert, authentisch.

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Motivation

Der Tag fing eigentlich ganz gut an.

Aufstehen hat geklappt

Frühstück hat geschmeckt.

Sonne schien auf dem Weg zur Arbeit.

Die Motivation war auch schon da.

Wollte richtig was schaffen.

War mit mir zufrieden.

Was will man mehr?

Dann die ersten Mails und Anrufe.

Kannste mal hier und mal eben da.

Wäre schön, wenns vorher klappt....

Das war zu viel für meine Motivation.

Hat sich in die Ecke verkrochen

und nicht mehr blicken lassen.

Musste mich dann auch noch den ganzen Tag

zusammen reißen.

Wer heult schon gerne vor den Kollegen?

Jetzt dürfte ich, kann aber nicht.

Vielleicht schaffe ich ja morgen noch etwas?

Leben

Ich möchte vergessen, doch es geht nicht.

Ich möchte Frieden, doch er kommt nicht.

Ich möchte mich freuen, doch ich darf nicht.

Ich möchte lieben, doch ich kann nicht.

Ich möchte gehen, doch es hilft nicht.

Ich möchte LEBEN!

Tränen

Seit Tagen schon

quälen sie mich.

Seit Tagen schon

warte ich auf sie.

Seit Tagen schon

kommen sie nicht ans Licht.

Egal was ich mache,

sie kommen nicht.

Dann plötzlich,

wenn ich sie nicht gebrauchen kann,

zeigen sie sich kurz.

Warum kommen sie nicht,

wenn ich sie brauche?

Die TRÄNEN.

Aufstehen

Guten Morgen,

die Nacht war gut,

fast durchgeschlafen.

Das Bett

hält mich noch krampfhaft fest,

obwohl der Kaffeegeruch

schon meine Nase erreicht.

Das Bett

hat sich mit dem Kopfschmerz

und dem Tinnitus zusammen getan.

Sie wollen mich heute wohl nicht loslassen.

Verstecken unter der Bettdecke hilft auch nicht.

Unterhalten

Nette Unterhaltung mit Freunden.

Alles prima, aber dann:

Ich fange einen Satz an, mir fehlen die Worte,

kann sie nicht aussprechen.

Niemand bemerkt es, keinen interessiert es,

alle reden einfach weiter.

Hab das Gefühl,

dass ich eigentlich gar nicht mehr am Gespräch teilnehme.

Mir kommen ein paar kleine Tränen.

Niemand bemerkt es, keinen interessiert es,

alle reden einfach weiter.

Senke meinen Kopf und halte den Mund.

Niemand bemerkt es, keinen interessiert es,

alle reden einfach weiter.

Ich gehe.

Die Tränen versiegen wieder.

Why

Momente Ich hasse diese Momente Diese Momente in denen vieles wieder - фото 3

Momente

Ich hasse diese Momente.

Diese Momente, in denen vieles wieder hochkommt.

Diese Momente, in denen die Erinnerungen kommen.

Diese Momente, in denen nur noch verkriechen hilft.

Diese Momente, die ich nicht haben will.

Warum darf so ein blöder Schmonzettenfilm

solch einen Moment auslösen?

Warum lasse ich das zu?

Die Konzentration

- Die Konzentration sollte eigentlich helfen, eine Aufgabe, bis zum Ende durchzuziehen.

- Die Konzentration sollte mich abhalten zwischendurch abzuschweifen.

- Die Konzentration sollte verhindern, dass ich ein und dieselbe Arbeit immer wieder von vorne anfangen muss.

- Die Konzentration sollte eigentlich jeden Tag bei mir sein.

Meine Konzentration macht genau das Gegenteil.

Meine Konzentration scheint im Dauerurlaub zu sein.

Vertrauen

Vertraue nicht den Menschen die ständig versprechen zu helfen Vertraue den - фото 4

Vertraue nicht den Menschen,

die ständig versprechen zu helfen.

Vertraue den Menschen,

die helfen, ohne zu versprechen.

Schlafen

Jetzt ist es wieder Zeit zu schlafen.

Ich bringe meine Lieben ins Bett.

Zuerst den kleinen Tinnitus – gute Nacht Tinnitus.

Dann die Gedanken – gute Nacht Gedanken.

In der Zwischenzeit ist der Tinnitus wieder aufgestanden.

Also noch mal – gute Nacht Tinnitus.

Ey Gedanken, warum seit ihr denn schon wieder da?

Ab ins Bett...

Gott sei Dank geschafft.

Jetzt nur noch die Tränen,

dann kann ich auch ins Bett.

Gute Nacht Tränen.

Ich lege mich hin und mache meine Augen zu.

Endlich denke ich. Endlich Ruh‘.

„Wir können nicht schlafen“...

Alle stehen neben mir. Hellwach.

Okay, kommt halt wieder zu mir.

Machen wir eben wieder die Nacht durch.

Bis morgen.

Bettzeit

So, Bettzeit.

Zeit um den Tag Revue passieren zu lassen.

Fing eigentlich so ... naja, kacke an.

Aufstehen, frühstücken, war noch recht gut.

Klamotten raus suchen.

Scheiße, wird warm heute.

Kurze Ärmel? Nee.

Meine Frau versteht es nicht.

Mir kommen die ersten Tränen.

„Was ist?“

„Zu viele Kratzer auf dem linken Unterarm.“ erkläre ich.

Verständnislosigkeit in ihrem Gesicht.

Meine Tränen laufen weiter. Ich zeige ihr meinen Arm.

Sie ist geschockt.

Logisch.

„Warum?“

Stille.

Tränen.

Habe den ganzen Tag überlegt, ob es richtig war.

Es war richtig.

Irgendwann hätte ich es nicht mehr verstecken können.

„Wie kann ich Dir helfen?“

Bleib einfach bei mir, verlass mich nicht.

„Ok. Gerne“

Irgendwie bin ich erleichtert.

„Möchtest Du drüber reden?“

Ich kann nicht.

Autofahrt

Musste heute Morgen wieder mal eine etwas längere Strecke mit dem Auto fahren.

Eigentlich liebe ich Auto fahren,

schnell und ruhig,

war immer mein Ding.

Ohne Hektik,

ohne Stress,

ohne drängeln,

aber schnell.

Heute Morgen war es Stress pur.

Alle gingen mir auf den Keks.

Alle!

Am liebsten hätte ich alle einfach weggeschubst.

Am liebsten hätte ich eine Vollbremsung gemacht

mitten auf der Autobahn

austeigen,

wegrennen,

irgendwo auf einen Wiese hocken

die Tränen laufen lassen.

Geht natürlich nicht.

(warum eigentlich nicht? macht doch eh fast jeder was er will, naja.)

Bin dann doch heile am Ziel angekommen.

Warum regt mich sowas plötzlich so auf?

Warum macht es keinen Spaß mehr?

Warum werde ich aggressiv? war ich doch sonst eigentlich nie?

Warum stehe ich morgens eigentlich noch auf?

Erholung

Es sollte ein ruhiger Abend werden

Entspannung pur,

Sauna, ausruhen, abschalten,

kaum liege ich und schließe die Augen,

taucht SIE auch schon wieder auf,

nebulös und grinsend,

einen kurzen Moment wollte ich wieder verzweifeln,

riss mach aber zusammen,

und schrie IHR stumm entgegen:

„komm doch, komm her und sag‘s mir.

Sag mir dass ich böse bin, dass ich ein Versager bin“.

So schnell wie SIE auftauchte war SIE wieder weg.

Ich war stolz auf mich. Ein tolles Gefühl.

Aber ..., zu früh gefreut.

Dann kam es wieder,

das Gefühl der Schuld,

das Gefühl der Getriebenheit.

So muss sich jemand fühlen, der versehentlich z.B. einen Mord begangen hat und Angst hat, dass es rauskommt.

Hinter jeder Ecke lauert jemand,

der ihn erwischen könnte.

Alle sehen ihn an, als wüssten sie es.

...

Da will man sich mal was Gutes tun,

sich entspannen und erholen,

und was wird es?

Ein Abend für‘n Arsch!

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