Mein Arzt hat mich heute Nachmittag für ein paar Wochen vom Platz gewiesen.
Eines habe ich aber auch geschafft,
habe mich von einer mittelgradigen zur schweren Episode hochgeschossen.
„Na also, ein bisschen was kannste also doch noch“.
Wobei wir wieder beim Thema „Hoffnung“ wären.
Gute Nacht.
Seit Dienstagnachmittag nun bin ich krankgeschrieben.
Es fühlt falsch an.
Nach Versager.
Heute bin ich das erste Mal allein mit unserem Hund.
Alle anderen sind arbeiten.
Das Aufstehen hat dann um 10:45 Uhr schon mal klappt.
Gut, dass unser Hund kein Frühaufsteher ist.
Nach dem Frühstück richtig angezogen, Hund an die Leine und Gassi gehen.
Unterwegs: „‘ne Tasse Kaffee wäre nicht schlecht“.
Ja!
Nein, die vielen Menschen!?
Doch!
Nein, wenn du dann DIE triffst? Scheiß egal, ich mach’s.
Mit Herzklopfen und fast nass geschwitzt, nicht von dem anstrengenden Weg,
sitzen wir jetzt im Bistro.
In einer Ecke mit Kaffee und Leckerchen für meinen Hund.
Ist doch gut, wenn man(n) eine große starke Hündin dabei hat.
Ein toller Start in den Tag.
Mir wird ganz schwindelig,
es dreht sich unaufhörlich,
viel zu schnell,
mal links, mal rechts herum,
ohne Pause,
ohne Halt.
Keine Chance, auszusteigen,
keine Chance, es anzuhalten,
niemand hilft mir hier raus,
niemand hält es an.
Es ist zu schnell,
das Karussell,
der Gefühle und Gedanken.
Heute ist wieder so ein verdammter W-Tag.
Was - Warum - Wieso -
Was habe ich Euch getan?
Warum habt ihr mich so behandelt?
Warum waren die anderen wichtiger?
Wieso durfte ich mein Glück und Leid nicht teilen?
Warum habt ihr mir nie zugehört?
Warum wolltet ihr mich nie verstehen?
Wieso wurde ich ständig belogen?
Wann begreift ihr das endlich?
Was geht eigentlich in euren Köpfen vor?
Wie lange soll das noch weiter gehen.
Warum bin ich eigentlich noch hier?
Warum verschwindet ihr nicht einfach aus meinem Gedanken, aus meinem Leben?
W A R U M ?
Warum können einige nur mit Worten
ganze Menschenleben zerstören?
Und warum schaffe ich es nicht einmal
meine Wut und Aggression
an einem Kopfkissen auszulassen?
War heute bei meiner Ärztin für Psychiatrie.
Als sie mich fragte, wie ich mich fühle,
habe ich ihr fast stumm und den Tränen nahe,
einen Zettel hingelegt.
Hatte in den letzten Tagen dort meine Gefühle und Ängste aufgeschrieben,
war fast vollgeschrieben (DINA4 mit dem Computer).
Komischerweise war sie gar nicht überrascht.
Auch nicht,
dass ich jetzt krankgeschrieben bin,
auch nicht,
als sie meinen Unterarm sah.
Ihr war es wichtig,
dass mein Hausarzt mich in zwei Wochen auch weiter krankschreiben würde,
...wenn es mir nicht besser geht.
Hört sich für mich so an,
dass sie nicht damit rechnet,
dass ich vorerst wieder ans arbeiten komme.
Keine Ahnung, was ich davon halten soll. Antidepressiva wird noch mal erhöht.
Neue Pillen für Abends, sollen die Albträume eindämmen, Antipsychotika.
Klingt für mich nicht gerade hoffnungsvoll.
Irgendwann muss es doch mal bergauf gehen oder?
Die Diagnose sollte doch mal eine Besserung bestätigen.
Nicht immer nur eine Verschlechterung.
Wie weit geht das denn noch.
Welche Diagnose kommt als Nächstes?
Was kommt nach „anhaltende schwere Depression, Angststörung und posttraumatische Belastungsstörung PTBS?“
Nach F32.2 *1kommt F32.3 *1(Hab’s mir durchgelesen, möchte ich aber nicht).
Ist komisch,
wenn die Ärzte einem plötzlich keinen Mut mehr machen.
Oder ich hab’s nicht rausgehört.
Vielleicht haben meine Gefühle meine Ohren auch schon unter Kontrolle? Wer weiß?
Egal was die Ärzte und Therapeuten sagen, egal was kommen mag.
(*1ICD-Code für Schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome)
(*2ICD-Code für Schwere depressive Episode mit psychotischen Symptomen)
Habe heute sehr viel Zeit zum Nachdenken gehabt.
Immer wieder liest man:
„Sei Du selbst“
Wann war ich ICH selbst?
Wann durfte ich ICH sein?
Fragen, wieder Fragen, die ich nicht wirklich beantworten kann.
Als Kind musste ich immer Rücksicht nehmen.
Als Jugendlicher musste ich zusätzlich dazu Aufpasser sein.
Als junger Mann und junger Vater durfte ich mein Glück und Leid nicht teilen.
Als junger Vater waren die Bedürfnisse der Kinder wichtiger.
Dann habe ich, glaube ich, verlernt ICH zu sein.
Ich habe mich immer hinten angestellt.
Jetzt endlich, mit Mitte fünfzig, zeigt mir unsere jüngste Tochter (23),
dass ich wieder ICH sein darf, dass ich ICH sein kann.
Sie ist sich treu, sie tut das,
was ihr Spaß macht,
sie weiß was mir Spaß macht.
Sie nimmt mich sehr oft mit.
Sie machte einen Tandemfallschirmsprung und hat sich so gewünscht, dass ich dabei bin.
Ich war dabei und habe mich so für sie gefreut,
als ich sie von unten beobachtete und anschließend ihr strahlendes Gesicht sah.
Sie unterstützt und fordert mich bei meiner Fotografie.
Meine andere Tochter und meine Frau unterstützten mich auch sehr, aber nicht so wie sie, anders.
Sie bringt mir langsam aber sicher wieder bei ICH selbst zu sein.
Ich weiß nicht, ob ihr das bewusst ist.
Ich kann mich nur bei ihr bedanken, das tue ich immer wieder.
Ist sie vielleicht doch ein, von irgendwo her, geschickter Engel?
Am Dienstag war ich mit meiner Tochter bei einer Führung zu den letzten Wildpferden in Europa.
Die leben in einem Naturschutzgebiet bei uns im Münsterland.
Morgens um 07:15 Uhr war Treffen.
Im Dunkeln, bei zwei Grad über null.
Dann noch ein paar Minuten Fahrt und wir, eine Gruppe mit ca. fünfundzwanzig Personen und die Försterin, waren direkt bei den Wildpferden.
Zu Fuß ging es dann mitten in die Herde. Es war ein absolut faszinierender Moment.
Diese Ruhe, diese Stille.
Keine Hektik, kein Stress.
Für einige Zeit fühlte ich mich wie in einer anderen Welt.
Hier gab es kein Gut und kein Böse.
Keine Schuldgefühle, keine Kopfschmerzen, kein Tinnitus.
Kein Mobbing, keine Vorwürfe, kein wenn und kein aber.
Eine Stunde waren wir bei den absolut wild lebenden Pferden.
Eine Stunde im Paradies.
Eine Stunde keine Depression.
Eine Stunde frische klare Luft.
Eine Stunde Faszination.
Eine Stunde tolle Fotomotive.
Heute Abend habe ich die letzten Fotos sortiert und bearbeitet.
Heute Abend konnte ich noch einmal den Moment genießen.
Wieder mal tobt in mir ein Kampf zwischen Gefühl und Verstand.
Die beiden vertragen sich in der letzten Zeit überhaupt nicht.
Egal was der eine meint, der andere ist dagegen.
Heute Mittag wieder.
Ich bin mit unserem Hund losgegangen, täglicher Spaziergang,
tägliches Training (inneren Schweinehund ärgern, unter Menschen sein ...).
Nach ca. dreihundert Meter fing das Gefühl an zu stänkern:
(G-efühl; V-erstand)
G: Ey, hier stimmt was nicht, wir werden verfolgt.
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