Aber auch das schützt mich nicht vor den abgründigen Träumen, die klammheimlich in mein schwammiges Bewusstsein dringen. Nachts marschieren regelmäßig nackte Frauen in einem schier endlosen Gänsemarsch an meinem Bett vorbei. Frauen, die keine Hände mehr haben, sie sind ihnen abgehackt worden. Stumm treten sie nacheinander vor mich hin, flehen mich mit gequälten Blicken an und strecken mir ihre blutigen Armstümpfe entgegen. Bevor ich entsetzt hochschrecke, höre ich mich selbst im Halbschlaf weinend um ein Ende des grauenvollen Reigens flehen.
„Ich kann euch nicht helfen. Ihr müsst euch selber helfen.“
Ein schmerzhaftes Stechen in der Brust weckt mich dann ganz und ich habe jedes Mal wahnsinnige Angst vor einem Herzanfall, richtige Todesangst. Bis zum Morgengrauen bleibe ich wach und fürchte mich davor wieder einzuschlafen, von meiner bleiernen Müdigkeit erfasst und zurückgetragen zu werden in jene grauenvollen Folterkeller, dort unten im Land meiner Albträume.
Das Zauberpulver
hatte den euphorisierenden Effekt auf meine Stimmung leider schon wieder verloren. Deshalb legte ich eine extralange Line nach. Bei all dem Gestöhne und dem hektischen Klatschen von Fleisch auf Fleisch war es zwar ziemlich unwahrscheinlich, dass jemand vom Team nebenan etwas mitbekam, ich zog mir das Koks aber trotzdem möglichst leise rein.
Pornosets sind zwar naturgemäß keine Orte, an denen Enthaltsamkeit gepredigt wird, die meisten hauen sich irgend welche Muntermacher rein, um bei Stimmung zu bleiben, aber mein Drogenkonsum war meine Privatsache und ging niemanden etwas an. Vielleicht war der eigentliche Grund für meine Heimlichtuerei, dass ich befürchtete, es hätte meine Autorität untergraben, wenn die anderen gewusst hätten, was für Junkie ich hinter meiner coolen Kulisse war.
Ein Regisseur, den keiner mehr für voll nimmt? Dann wäre das Chaos ausgebrochen, und chaotisch waren die Pornodrehs ohnehin schon genug.
Wie auch immer, der Stoff kreiste wieder hochdosiert durch meine Blutbahnen und mein kreativer Drive kehrte schlagartig zurück.
Die Frequenz
meines Konsums schnellt in letzter Zeit unkontrollierbar in die Höhe und das High auf Knopfdruck nutzt sich immer mehr ab. Der sündhaft teure Stoff trägt immer weniger zu meiner Entspannung bei, im Gegenteil, er scheint meine Ängste sogar noch zu schüren. Neben dem erwünschten wohligen, leicht beschwingten Entspannungszustand überfällt mich neuerdings eine hochgradige Nervosität, als mache ein ganzer Ameisenstaat meine Nervenbahnen unsicher und spiele auf ihnen Fangen. Zwei extreme Impulse, gleichzeitig und gegenläufig, ein gelähmter Supermann.
Ich steigere mich in paranoide Zukunftsvisionen hinein, erwarte geradezu, dass ein weiteres apokalyptisches Vorzeichen hinter der nächsten Ecke auf mich lauert. Zum Beispiel dieser seltsame Spruch, den ich neulich beim Asia-Imbiss aus dem Glückskeks zog.
Wer sich mit herzlosen Menschen umgibt, dessen Herz wird im Laufe der Zeit auch steinhart werden.
Hardcore, Hartherz.
Mir verging schlagartig der Appetit und ich musste den Schnellimbiss fluchtartig verlassen. Meinen erstaunten Kollegen von der Pornofront, nannte ich als Grund für meinen überhasteten Aufbruch irgendeinen fadenscheinigen Vorwand. Niemals wäre ich auf die Idee gekommen, ihnen reinen Wein einzuschenken. Allein die Befürchtung, für verrückt erklärt zu werden, hielt mich davon ab.
Dabei war es doch klar wie Kloßbrühe.
Hardcore, Hartherz. Ein verschlossenes Herz. Ein Herz aus Stein.
Das war doch bestimmt ein Zeichen, ein schlechtes Omen.
Ich bin zum heimlichen Sammler geworden, wie besessen horte und verwalte ich einen komplexen Fundus aus kryptischen Botschaften und düsteren Träumen. Um eventuelle Parallelen und Muster sofort zu erkennen, sortiere ich dieses Puzzle täglich neu und versuche manisch, es zu einem vollständigen Bild zusammenzusetzen.
Eine Frage, die mich im Moment vordringlich beschäftigt, ist die, ob es möglich ist, die eigene Seele zu verkaufen und ob sie tatsächlich existiert, diese ominöse Seele.
Was passiert denn mit einem, der keine Seele mehr hat? Fehlt dem dann etwas? Stirbt man daran? Und wer zur Hölle, kauft eigentlich all diese Seelen?
Ich starrte
auf die Zeilen. „Seele verkaufen“, eine echt kranke Fantasievorstellung...
Manchmal war ich beim Schreiben wie in Trance. Kein Wunder bei all dem Stoff, der 24 Stunden am Tag durch meine Blutbahnen zirkulierte.
Noch einmal zog ich mir den Kunstschnee bis weit hinter die Hirnrinde. Die weißen Pferde, wie erwartet erwachten sie schockartig aus ihrem trägen Tagtraum. Ich ließ die Zügel los und sie galoppierten fröhlich drauflos so wie mein Herz, das mit jedem hektischen Schlag das Gift durch meine Blutbahnen pumpte und in meinem Körper verteilte. Ich lehnte mich gegen den Spülkasten und versuchte, mich zu entspannen. Das Koks löste manchmal ein echt beängstigendes Chaos in mir aus. Andererseits herrschte ohne das Zeug leider meistens nur noch Funkstille.
Ich zündete mir einen Glimmstengel an, klappte den Klodeckel hoch und beschloss, erst einmal ein fettes Ei zu legen. Meiner Erfahrung nach waren es gerade die profanen Alltäglichkeiten wie zum Beispiel der Stuhlgang, die am nachhaltigsten zur Entspannung meiner überdrehten Hirnzellen beitrugen.
Als ich eine Viertelstunde später die enge Kabine verließ, fühlte ich mich wie neugeboren. Du musst die Sache positiv sehen, sagte ich mir. Denk an all die Kohle, die du hier verdienst.
In der Frauentoilette nebenan war der öde 08/15-Fick endlich im Kasten. Jetzt fehlte nur noch der sogenannte Cum-Shot, also die Einstellung, wo der Typ abspritzt. Meistens volle Pulle ins Gesicht der Frau, weil die Kunden das angeblich ganz toll fanden und sich gar nicht sattsehen konnten an Frauengesichtern, die mit zähflüssigem Sperma besudelt waren.
Ich fand diese Bilder, die ganze Situation am Set während dieser speziellen Kameraeinstellung, immer ziemlich daneben. Da knieten die Mädels vor den Typen, die sich einen runterholten, nur um ihr ihren Samen an den Kopf zu ballern. Mit ihren weit aufgerissenen Mündern wirkten sie auf mich wie fleischgewordene Pissbecken, sie ähnelten den Urinalen auf dem Herrenklo.
Irgendwie kam es mir absurd vor, wie wir vom Aufnahmeteam um diese ohnehin schon irre Szenerie herumlungerten und darauf warteten, dass die Stecher endlich zum Schuss kamen.
Ich fragte mich, warum die Konsumenten diese Störung hatten und so verrückt waren nach diesen hässlichen Bildern. Meine Vermutung war, dass die Typen in ihrer Kindheit ihre orale Phase nicht richtig ausgelebt hatten. Egal, irgendwann hörte ich auf, darüber zu grübeln, warum die Leute so kaputt waren. Was ging es mich an?
Oh, wie geil,
jetzt kriegt die alte Fotze noch eine leckere Eiweißkur gratis in die Fresse!
Da geht ihm aber einer ab, dem gehirnamputierten Flachwichser. So ganz heimlich und allein vor der Glotze daheim...
Was ist eigentlich so erregend daran, einer Frau eine Spermadusche zu verpassen?
Manchmal verspüre ich einen regelrechten Abscheu vor den Pornokonsumenten. Ihre emotionale Beschränktheit, ihre verschissene Abhängigkeit von dem Stoff, den wir am Fließband produzieren, widert mich zutiefst an. Was unterscheidet mich von einem Drogendealer, der seine Kunden verabscheut, weil sie willenlose Junkies sind und ihm so widerlich sklavisch aus der Hand fressen?
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