Konnte die bescheuerte Kuh das nicht aus unserer Reaktion ablesen? Die war hochgebildet, hatte während ihres Studiums jedes nur erdenkliche Feintuning bekommen, um mit Kapeiken wie uns zu arbeiten, checkte aber eigentlich gar nichts.
„Ja, wie geht es uns denn heute? Nur frei von der Seele weg!“
„Uns geht’s ganz wunderbar, Frau Doktor Hansen-Meyer.“, nuschelte, murmelte der vielstimmige Chor der Sedierten. Und dann ging es los. Auf dieses Stichwort hin öffnete sich die Büchse der Pandora und alle legten los wie irre. Jeder wollte am liebsten eine Stunde lang pausenlos sabbeln und dieselbe Story wie am Tag zuvor erzählen. Jeder wollte am liebsten ganz allein auf der Bühne stehen und den Rest der Mannschaft mit immer demselben Scheiß zu Tode langweilen. Aber dann mussten sich alle damit abfinden, dass das Interview, wie Frau Hansen-Meyer den morgendlichen Smalltalk vornehm titulierte, wie immer nach strengen Richtlinien ablief. In hohem Bogen warf sie einem in der Runde das sogenannte Quasselkissen zu, wobei man, wie beim Hochzeitsstrauß vorher nie wusste, wer diesmal den Anfang machen durfte. Dann stellte sie die Eieruhr, deren lautes Uhrwerk einen ständig daran erinnerte, dass andere auch noch ein Wörtchen mitzureden hatten.
Ich hielt mich meistens kurz. Mein Redebedarf tendierte ohnehin gegen Null. Am liebsten hätte ich einfach nur immer denselben Text abgespult:
Danke der Nachfrage Frau Hansen-Meyer. Ja, heute ist wirklich ein wunderschöner Tag. Ein schöner Tag, um zu sterben.
Meinen aktuelles Lieblingszitat entstammte der total abgegriffenen Ausgabe eines Wildwestromans, den ich mir in unserer kleinen Bücherei hier auf dem Anstaltsgelände ausgeliehen hatte. Im Gegensatz zu dem tapferen Indianerkrieger, dessen würdevolle Abschiedsworte mir in diesem Moment durch den Kopf schossen, sprach ich mein Wort zum Montag natürlich nicht aus, Pokerface.
Wenn SIE erfahren hätten, was in mir vorging, wäre ich bis an mein Lebensende hier eingesperrt geblieben. Und nichts hasste ich mehr, als nicht mehr Herr meiner selbst, ein Gefangener des feindlichen Systems zu sein.
Ein irrer Drogenfreak, eine Gefahr für sich selbst und andere, lautete ihr Urteil. Dabei hatte ich doch einfach nur versucht, mir das Leben zu nehmen. Kein halbherziges, dilettantisches Schmierentheater, kein jämmerlicher Schrei nach Aufmerksamkeit, nein, ich wollte tatsächlich sterben.
Aber das war eigentlich kein Wunder. Selbstmord war doch eigentlich nur das konsequente Finale meines Lebensmottos.
Life like fucking suicide!
Ungefähr einen Monat,
bevor ich ins Irrenhaus eingeliefert wurde, saß ich bereits am frühen Vormittag bis obenhin zugedröhnt mit Koks in der beengten Kabine einer öffentlichen Herrentoilette und schrieb folgenden Satz in mein Tagebuch:
Wenn man das Gesamtwerk der Drehbücher erotischer Filmkunst oder passender formuliert, die Fick- und Gebrauchsanweisungen aller Pornos analysieren würde, wäre das öffentliche Klo, also eine dieser Hundehütten, die einen eher zu klaustrophobischen Angstzuständen als zum Kacken animieren, zumindest der zweithäufigste Drehort.
Die Location
war winzig, die Luft zum Schneiden. Die Gluthitze der Scheinwerfer brachte das ekelerregende Gemisch aus Gleitmittel, Schweiß und anderen Körperflüssigkeiten so richtig schön zum Kochen.
Den ganzen Vormittag hatten wir schon in den Katakomben einer nach abgestandenem Rauch und verschüttetem Fusel stinkenden Dorfdisco verbracht, ohne auch nur eine einzige, vollständige Szene im Kasten zu haben. Erst hatte die Darstellerin keinen Bock auf Analverkehr und dann war ihr Partner plötzlich völlig abgetörnt und kriegte keinen mehr hoch. Aber die Leute von der Produktion hatten in solchen Fällen ihre bewährten Methoden. Sie bekam mehr Gage und er eine Spritze in den Schwanz.
Schließlich kam das Traumpaar also doch noch in die Gänge. Er hämmerte volles Rohr drauf los und schielte dabei beifallheischend in die Kamera, während das arme Mädel die Zähne zusammenbiss und gleichzeitig krampfhaft versuchte, möglichst vorteilhaft rüber zu kommen. Aus meiner Perspektive hinter dem Monitor wirkte ihr verkniffener Gesichtsausdruck jedoch weder besonders geil noch fotogen. Sichtlich gequält stöhnte sie mit den unbeholfenen Stößen ihres übereifrigen Stechers um die Wette. Mit ihrem vor Anstrengung knallrot angeschwollen Kopf und den aufgepumpten, an ihrem dürren Body reichlich überproportioniert wirkenden Kunsttitten ähnelte sie einer aufblasbaren Bumspuppe, die jeden Moment platzten konnte.
Extrem unerotisch das Ganze. Ich drehe mal wieder eins dieser Bilder, die die Welt nicht braucht, gestand ich mir ein. Aber was soll ich machen, auch einem Pornoking sind manchmal die Hände gebunden.
Während der Kameramann kniend und mit gequältem Gesichtsausdruck auf den schmierigen Fliesen herum rutschte und sich nach Kräften bemühte, den Hintereingang der Darstellerin und dass rasende Glied darin möglichst ungewöhnlich durch eine extrem untersichtige Perspektive in Szene zu setzen, verdrückte ich mich unauffällig in das benachbarte Herrenklo.
Die Kamera kannte das Spiel inzwischen ja in- und auswendig, wusste quasi im Schlaf, welche Einstellungen man brauchte, damit der Fick nachher geschnitten möglichst flüssig und authentisch wirkte. Als Regisseur war ich in dieser Phase des Drehs relativ überflüssig. Mein Amt waren eher die schauspielerischen Einlagen zwischen den koitalen Highlights, die allerdings trotz etlicher Wiederholungen und arbeitsintensiver Proben mit den, meist leicht unterbelichteten Darstellern, oft nur als unfreiwillige Lachnummern endeten. Für den wichsenden Konsumenten mochte das natürlich nebensächlich sein, für mich als ehemaligen Filmstudenten war so ein Ergebnis auf Dauer ziemlich frustrierend.
Aber was soll ich machen? Job ist Job und Wurst ist Wurst und stumpf ist sowieso Trumpf.
Bis also eine der sogenannten Spielszenen dran war, machte ich mich in der Regel unsichtbar und frönte einem meiner Lieblingshobbys, dem ungehemmten Drogenkonsum. Denn eigentlich war diese Arbeit nur stoned zu ertragen.
Ich schloss die Toilettentür hinter mir und schniefte zwei fette Prisen Koks, für jedes Nasenloch eine, aus meinem kleinen, fein ziselierten Silberdöschen.
Zeit für ein wenig kreative Innenschau. All der Schrott, der mir den ganzen Tag schon durch den Kopf geisterte und für den ich auf dem Pornoset keinen Ansprechpartner fand, wollte schließlich irgendwohin, er verlangte nach einem Platz in meinem Leben. Was gab es da besseres, als so richtig schön zugedröhnt, mein Tagebuch zu zücken. Es war ohnehin der Gesprächspartner, der mir am liebsten war. Es konnte zuhören.
In letzter Zeit
fühle ich mich oft so schrecklich antriebslos. Es fällt mir schwer, mich zu motivieren, mir vorzumachen, dass ich mich als Pornoregisseur auf der Gewinnerseite der Gesellschaft befinde. Tief in meinem Inneren fühle ich, dass ich eines Tages einen hohen Preis für all meine faulen Kompromisse bezahlen werde.
In den kurzen klaren Momenten, die ich zwischen meinen durch Drogen und Sex bedingten Höhenflügen habe, sehe ich eine Art Damokles-Schwert über meinem Kopf pendeln, das jedes Mal, wenn ich es wahrnehme, noch größer und schärfer geworden zu sein scheint. Dann rollt diese schwarze Flutwelle namens Depression auf mich zu und ich ziehe den Kopf ein, stecke ihn in einen klebrigen Treibsand, der sich aus dem Wunderheiler Alkohol, diversen Drogen und kurzen, uniformen Affären mit beliebigen Frauen zusammensetzt.
Den Alltag der Pornodrehs kann ich inzwischen nur noch ertragen, indem ich mich hinter einer Maske aus beißendem Zynismus verstecke. Ich spritze mein Gift in die Welt und verkaufe es meinen Mitmenschen als schwarzen Humor. Wenn auch das als Puffer zwischen mir und der Welt nicht mehr ausreicht, feiere ich eben krank. Und dann geht es erst richtig bergab. Vollgas und ungebremst hinein in einen watteweichen, zeit- und uferlosen Dämmerzustand. Hauptsache, ich bin frei von Gedanken und lästigen Zweifeln. Neben den üblichen, multidrogiden Exzessen hilft mir dann eine gelegentliche Überdosis Schlaftabletten, mich in ein emotionsloses, graues Nichts zurückzuziehen. Auszeit zu nehmen von mir und der Welt.
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