»Frisch verliebt?«, fragte die Dame und lächelte, als Amber zur Seite trat und sie an das Waschbecken kam.
Amber trocknete sich die Hände mit einem Papiertuch. Eigentlich hätte sie jetzt wütend gemurmelt, was für eine Verschwendung von Ressourcen diese Papiertücher wären, aber sie schob den Gedanken beiseite. Für sie gab es Wichtigeres. Sollte sie der Frau etwas sagen? Aber was war mit Caileans Drohungen? Vielleicht würde er sie verletzen, um Amber für ihren Ungehorsam zu bestrafen. Das wollte Amber wirklich nicht, die Frau war nur eine zufällige Figur in ihrem Spiel. Aber sie musste sich etwas einfallen lassen. Sie befand sich auf dem Weg nach Schottland, mit etwas, das Reißzähne hatte, ständig seinen Unmut herausknurrte und auch sonst recht gefährlich wirkte. Und unglaublich gut aussah. Und von gut aussehenden Männern hatte Amber wirklich genug. Aber der wichtigste Punkt war definitiv: nicht menschlich. Und den sollte sie nicht aus den Augen verlieren.
Ihr fiel etwas ein. Amber strahlte die Dame an, nicht aus dem Grund, den diese vielleicht annahm. Aber es würde helfen, wenn sie glaubte, dass sie ihre Annahme bestätigte. »Hochzeitsreise. Aber er kann so ein Neandertaler sein«, stöhnte Amber und rollte die Augen. »Nicht fünf Minuten lässt er mich aus den Augen.«
»Ein Beschützertyp? Die kenne ich. Die sind die Schlimmsten. Man kann kaum allein auf die Toilette gehen, ohne dass sie aufpassen.«
Amber seufzte bestätigend. »Und ich wollte so gerne eine Überraschung für ihn besorgen. Drüben im Shop haben sie ganz heiße Dessous, hab ich gesehen. Ich weiß doch, er steht auf sowas. Aber so wird da nichts daraus, wenn er mir ständig am Rockzipfel hängt.«
Die Dame errötete leicht. »Das glaube ich ihnen gerne. Den müssen sie ganz festhalten. Er ist einer von den Männern, für die Frau alles tun würde, um ihn sich zu angeln, das hab ich sofort gesehen. Und er ist ein Beschützer! Wie romantisch!« Sie seufzte ihrerseits.
»Wenn sie wüssten«, seufzte Amber wieder gespielt. »Es gibt Frauen, die werfen sich ihm an den Hals, da kann ich daneben stehen.«
Die Ältere schüttelte den Kopf. »Vielleicht kann ich ihn ein paar Minuten ablenken, während sie schnell in den Laden huschen. Ich habe noch einen Kasten mit leeren Flaschen im Auto. Er könnte mir helfen, was meinen Sie?«
So hatte Amber sich das gedacht. Sie lächelte, ihr Plan schien aufzugehen. Sie legte der Frau eine Hand auf den Oberarm, blinzelte ein paar Tränen aus den Augen und setzte ein schelmisches Lächeln auf. »Das wäre ja so nett von Ihnen. Mein Mann spielt gerne den Gentleman. Wenn sie zu ihm gehen und ihm sagen, sie wünschen sich, dass er ihnen hilft, den Kasten aus dem Auto zu holen, dann wird er nicht Nein sagen. Sie müssen es sich nur wünschen.«
»Er kann also dem Wunsch einer Frau nicht widerstehen?« Die Dame zwinkerte kokett. »So machen wir es. Nur beeilen Sie sich. Ich werde ihn nicht lange von Ihnen fern halten können. Ich bin nicht annähernd so anziehend und interessant, wie Sie es sind.«
Amber reichte der Frau ihre Hand. »Vielen Dank«, hauchte sie und gab ihrer Stimme eine Extraportion Dankbarkeit.
»Schon gut. Für einen kleinen Spaß bin ich immer zu haben.« Sie grinste listig und zwinkerte Amber zu.
Von draußen klopfte es an die Tür. »Amber?«, dröhnte Caileans dunkle Stimme in den Raum.
»Er wird ungeduldig. Dann wollen wir mal.« Die Dame zwinkerte ein letztes Mal und verließ die Toilette. Amber stürmte zur Tür und legte ihr Ohr an das kühle Metall. Über die vielen Bakterien wollte sie sich später Gedanken machen.
»Warum brauchen Frauen da drin immer so lange?«, hörte sie Cailean schimpfen. Dann die Stimme der Frau.
»Junger Mann, vielleicht könnten Sie mir kurz helfen. Ihre Frau wird noch etwas beschäftigt sein, sie hat nach Tampons gefragt, wenn Sie wissen, was ich meine.«
Amber kicherte und wurde gleichzeitig rot im Gesicht.
»Ich hab da eine Getränkekiste im Auto, ich bekomm sie einfach nicht in den Einkaufswagen.«
Du musst es dir wünschen, dachte Amber flehend. Wünsch es dir, sonst wird es nicht funktionieren.
»Ich kann Ihnen nicht helfen, ich muss auf meine Frau warten. Tut mir leid.« Amber seufzte enttäuscht. Sie hätte mehr darauf drängen sollen, dass die Frau das Wort »wünschen« benutzt.
Sie wusste natürlich, dass sie Caileans Fluch nicht auf diese Weise verwenden sollte, aber dies war ihre einzige Chance, ihm zu entkommen. Dieser Mann hatte Reißzähne, seine Augen wurden rot und er wirkte auch sonst reichlich gefährlich. Und wenn er wirklich kein richtiger Mensch war – Amber konnte das noch immer nicht glauben, trotz allem, was sie in den letzten Stunden gesehen hatte -, dann sollte sie erst recht sehen, dass sie von ihm wegkam. Und wenn all das, was sie gesehen hatte, ihrer Fantasie entsprach, dann musste er sie unter Drogen gesetzt haben. Was auch nicht für ihn sprach.
Nein, sie brauchte nicht zweifeln. Er war ihr Entführer, sie sein Opfer und als dieses war es ihre Pflicht, jede Möglichkeit zur Flucht zu ergreifen.
»Ich wünsche es mir von Ihnen«, hörte sie jetzt wieder die Stimme der Frau.
O bitte, bitte funktioniere, bettelte Amber und kniff die Augen fest zusammen. Sie hatte die Luft angehalten und wartete auf Caileans Antwort.
Wahrscheinlich hatte er nur genickt, denn jetzt sagte die Frau etwas lauter: »Mein Herr, das ist wirklich nett von Ihnen. Ihre Frau kann ja so zufrieden mit Ihnen sein. Sicher gehen Sie ihr im Haushalt auch immer zur Hand.«
Die Stimmen entfernten sich langsam. Amber zählte leise bis zehn, dann hörte sie nichts mehr. Sie öffnete die Tür einen winzigen Spalt und lugte hindurch. Sie konnte gerade noch sehen, wie die Dame mit Cailean um eine Ecke bog. Amber schob sich schnell zur Tür heraus, hielt sich nahe an der Wand, damit er sie nicht sehen konnte. Nervös sah sie sich um. Was jetzt? Sie musste schnell überlegen.
Da standen nur noch zwei Autos bei den Zapfsäulen. Der SUV und der weiße Transporter. Der Fahrer des Transporters putzte gerade mit einem Lappen die Seitenscheiben des Fahrzeugs. Er sah auf, entdeckte Amber und winkte ihr zu.
Die hintere Tür des Transporters stand offen. Amber bräuchte nur losrennen und reinspringen. Aber was sollte sie dem Mann sagen? Darüber konnte sie nachdenken, wenn es soweit war. Amber rannte auf das Fahrzeug zu, machte einen Bogen in Richtung Hintertür, deutete dem Fahrer im Laufen an, dass sie hinten rein springen wollte. Der wirkte etwas verdutzt und sah ihr fragend nach. Amber lief um die Tür herum und machte einen Satz ins Innere des Wagens. Zum Glück war der fast leer, sodass Amber nur Bekanntschaft mit dem harten Boden machte. Der Mann musste doch verstanden haben, was sie von ihm wollte, denn sogleich wurde die Tür zugeworfen, mit einem lauten Knall ließ sie Amber in absoluter Finsternis zurück. Dann schaukelte das Auto leicht. Über Ambers Kopf wurde ein Vorhang zurückgezogen und dann eine Scheibe geöffnet.
»Ich hoffe, ich habe sie richtig verstanden, sie wollen weglaufen?«
Amber nickte hastig und presste das Wort »Entführung« zwischen ihren Lippen hervor.
»Na dann wollen wir mal.«
Der Mann beugte sich nach vorne, der Motor sprang ruckelnd an, dann fuhr der Transporter los. Amber atmete tief durch. Sie konnte es noch gar nicht fassen, sie hatte es wirklich geschafft. Doch etwas überdeckte ihre Freude. Der Gedanke an Cailean, sie konnte sein enttäuschtes Gesicht fast vor sich sehen. Seine dunklen, wilden Augen, die sie nie wieder sehen würde.
Wenn er sie nicht entführt hätte, wenn sie sich einfach wie zwei normale Menschen kennengelernt hätten, vielleicht hätte dann etwas aus ihnen werden können? Nein, wohl eher nicht. Männer wie er interessierten sich nicht für Frauen wie Amber. Aber er war heiß, auf eine dämonische Art und Weise. Amber hatte ihn nur ansehen brauchen, schon hatte es in ihrem Magen geflattert und in ihrem Unterleib gezogen. Es war unfassbar, aber sie bedauerte fast, nie wieder dieses männlich markante, ursprüngliche Gesicht zu sehen. Kein Mann, dem sie begegnet war, hatte eine so erotische Ausstrahlung besessen. Und manchmal war es fast so, als würde sie genau wissen, was er fühlte, wenn sie ihn mit Fragen tyrannisierte, das Auto zu langsam vorankam oder Samantha ihr Dinge verriet, die sie nicht wissen sollte. Als würde der Teil ihrer Gabe, der sie den Schmerz derer spüren ließ, die sie heilte, in seiner Nähe noch verstärkt.
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