»Ich werde dich nicht töten«, sagte Cailean knapp. Die Ampel ein paar Autos weiter vorne sprang auf Grün. Hinter ihnen hupte ein Auto, dessen Fahrer es nicht schnell genug ging.
»Das beruhigt mich ungemein, wirklich«, sagte sie und zog heftig an den Handschellen. Dann entdeckte sie den Knopf für das Fenster. Sie befanden sich mitten in der Rush Hour, die Chancen standen gut, dass jemand auf ihre Hilferufe reagieren würde. Sie drückte den Knopf und atmete gleichzeitig tief ein, um sofort so laut es ging zu schreien. Das Fenster reagierte nicht. Frustriert stieß sie die Luft wieder aus.
Cailean lachte laut auf. Am liebsten hätte sie ihm zwischen die Beine getreten, leider war das von ihrer Position unmöglich. Der SUV fuhr wieder an, kam fünf Meter, dann stoppte er wieder. Amber konnte es nicht langsam genug gehen. Er würde sie vielleicht nicht töten, aber was auch immer er vorhatte, in zehn Stunden würde sie es erfahren. Andererseits wäre es vielleicht besser gewesen, wenn sie es schnell hinter sich hatte.
»Wirst du mich …« Amber schluckte einen Kloß herunter. »Also … wirst du mich vergewaltigen?« Sie warf ihm einen Seitenblick zu. Auf sie wirkte er nicht schwul, aber feststand, dass William gesagt hatte, dass er schon lange keine Frauen mehr entführt hatte. Gut möglich, dass er doch mal was Neues ausprobieren wollte.
Sie schielte auf seine engen Jeanshosen, die muskulösen Oberschenkel, die sich darunter abzeichneten, sein scharfkantiges Gesicht, die leicht lange, aber sehr hübsche Nase. Auf seinen Wangen zeichnete sich ein leichter Bartschatten ab, was sein wildes Äußeres noch mehr zur Geltung brachte. Und hatte sie schon die Muskeln erwähnt, die sich durch den Jeansstoff abzeichneten? Er war eindeutig attraktiv. Und für attraktive Männer galt, sie sind schwul, besonders, wenn sie sich so gut anzuziehen verstanden, dachte sie sarkastisch.
»Wahrscheinlich nicht, du bist ja schwul«, sagte sie mehr zu sich selbst und sah wieder aus dem Seitenfenster. Aber, vielleicht sollte Amber ja auch sein erstes weibliches Opfer sein? Irgendwie war es Amber schon fast egal. Sie konnte wenig an der Situation ändern. Dann sollte es eben so sein. Und sie hätte es wirklich schlimmer treffen können. Es gab Vergewaltiger, die nicht so eine gefährlich erotische Ausstrahlung hatten. Vielleicht wäre es ja gar nicht so schlimm.
Cailean stieg so plötzlich in die Eisen, dass Amber fast aus ihrem Sitz geschleudert worden wäre, wenn sie nicht angeschnallt gewesen wäre. Der SUV kam mit einem Ruck zum Stehen. Aus dem Radio erklang schallendes Gelächter.
»Hast du gerade gesagt … ich wäre schwul?« Der Pirat hatte sich zu ihr rüber gebeugt und sein Blick brannte sich in Ambers.
Amber wich so weit zurück, wie es ihr möglich war. »Ich …«, stotterte sie, »… ich dachte, deine bisherigen Opfer wären nur Männer gewesen.« Sie lächelte ihn unschuldig an und drückte sich noch fester gegen die Rückenlehne ihres Sitzes.
»Opfer?«, grollte Cailean und es schien fast, als wollten sich seine Finger durch das Armaturenbrett drücken, so fest krallte er sie in den Kunststoff.
»Ich sagte doch, klär sie auf«, kam es aus dem Radio. Samantha tauchte hinter William auf und lachte herzhaft laut. »Eigentlich hatte ich es schon immer gewusst. Du hast eindeutig so etwas Schwules an dir, findest du nicht auch, Schatz?«
»Jetzt, wo du es sagst.«
»Du bist nicht schwul?«, fragte Amber kleinlaut.
»Nein.« Cailean wandte sich wieder dem Verkehr zu, als es hinter ihnen hupte. Warum erleichterte sie das jetzt?
»Aber, was ist dann mit den vielen Männern?«
»Das möchte ich jetzt aber auch wissen, mischte sich Samantha fröhlich ein und rückte so nah an die Kamera, dass ihr Gesicht im Display des Radios verzerrt wirkte. »Schatz, bring mir doch ein paar Proteine aus der Küche mit. Was würde ich jetzt für Popcorn geben.«
»Na, die, die du entführt hast.« Amber sah mit bedauern, dass sie sich dem Ende von London näherten. Gleich wären sie aus der Stadt heraus und dann würde es nur noch dem Ziel entgegen gehen.
»Ich habe keine Männer entführt.« Cailean blickte zu ihr rüber und knurrte. »Wer hat das gesagt? Warte, lass mich raten, Samantha.«
Samantha grinste in die Kamera und schlürfte etwas mit einem Strohhalm aus einer Tasse. »Ich bin unschuldig. Aber schade, dass das nicht von mir stammt. Ich werde es mir auf jeden Fall für die nächste Familienfeier merken. Das wird ein Renner, findest du nicht auch, Schatz?“
»Ich dachte nur, weil du schon lange keinen Kontakt mehr zu Frauen hattest«, sagte Amber jetzt nicht mehr so kleinlaut, eher zornig, weil Cailean ihr noch immer giftige Blicke zuwarf. Amber konnte die Wut, die unter seinen Muskeln brodelte fast riechen. Als er das Lenkrad fester umklammerte, sah Amber wie die Knöchel unter seiner Haut weiß hervortraten.
»Das heißt nicht, dass ich schwul bin. Ich habe nur kein Interesse an Frauen.« Seine Stimme bebte vor Zorn.
Amber legte den Kopf schief und zog die Stirn kraus. »Ah ja, ich dachte, das trifft auf alle schwulen Männer zu.« Amber legte ein kokettes Lächeln auf ihre Lippen. Samantha und William gackerten um die Wette.
Cailean bemerkte seinen Fehler ziemlich schnell. »So meinte ich das nicht. Frauen nerven!«
»Vielen Dank auch. Was willst du dann mit mir? Soll ich für dich putzen?«
»Könnte sein, dass das nötig wird, ja.«
»Das werde ich nicht!«, schrie sie entrüstet. Konnte er sich etwa keine Putzfrau leisten? Wer entführte sich denn eine Putzfrau? Amber sah an sich runter, sie sah nun wirklich nicht wie das Klischee einer Putzfrau aus.
»Das wird sie nicht!« Samantha starrte genauso schockiert, wie Amber sich fühlte. Diese Sam hätte wirklich eine gute Freundin sein können, wenn sie nicht an Ambers Entführung beteiligt gewesen wäre.
»Danke, Sam«, sagte sie. »Du hast mich doch nicht deswegen verschleppt.«
»Nein, habe ich nicht.«
»Aber weswegen dann?«
»Bei der Göttin, warum sind Frauen solche Nervensägen?« Cailean hieb mit der Faust gegen das Lenkrad.
Amber stiegen Tränen in die Augen. Sie schniefte. Sie fühlte sich so einsam, so hilflos und sie wollte einfach nur wieder nach Hause. So tun, als wäre das alles hier nur ein Albtraum gewesen.
Cailean warf ihr einen unsicheren Blick zu, sein Gesichtsausdruck wurde sanft. Seine Hand zuckte kurz vom Lenkrad weg und dann wieder zurück. »Es tut mir leid. Ich wollte dir nicht wehtun. Ich habe den Auftrag, dich sicher … über die Grenze zu bringen. Und ich schwöre, ich werde dich nicht anrühren, selbst, wenn du mich auf Knien anflehst.« Etwas, das Caileans Augen widerspiegelten, gab ihr das Gefühl, dass er es wirklich ernst meinte. Zudem hatte sie noch nicht einmal dieses Kribbeln gespürt in den letzten Stunden. Aber sie wusste natürlich nicht, ob ihr Radar zuverlässig war. Schließlich war es reiner Instinkt.
»Darauf wirst du lange warten können. Aber, wer sagt mir, dass du dich auch daran hältst?« Seine Erklärung half ihr nicht weiter, aber sie hoffte, er würde ihr alles sagen, was sie wissen musste, wenn es soweit war. Bis dahin würde sie sich einfach mit dem zufriedengeben müssen, was er ihr freiwillig gab. Schließlich konnte sie wenig an ihrer Situation ändern.
»Weil ein Fluch auf ihm lastet, der ihn dazu zwingt, jede Frau auf dieser Welt glücklich zu machen. Ihr jeden Wunsch zu erfüllen, selbst wenn es ihm, ihr oder der ganzen Welt das Leben kostet«, zwitscherte Samantha.
»Was?«, entfuhr es Amber, noch bevor sie sich bremsen konnte. »Ein Fluch?« Nicht dass Amber an so etwas wie Flüche glaubte, aber schon der Gedanke, so ein Fluch könnte existieren entlockte ihr kleine schadenfrohe Freudensprünge. Natürlich nur gedankliche.
Читать дальше