»Cailean wurde verflucht«, mischte sich Samantha ein und schob sich näher an die Kamera. »Rutsch doch mal ein Stück. Ich kann gar nicht sehen, wie Amber diese Nachricht aufnimmt. Ich meine, das war schon immer ein Partykracher.«
Cailean warf Samantha einen Blick zu, der selbst Amber eine Gänsehaut einjagte.
»Ihr glaubt doch nicht wirklich an so was? Erst wollt ihr mir erzählen, es gibt Dämonen und jetzt kommt auch noch der obligatorische Fluch dazu.« Amber runzelte missmutig die Stirn. Sie hätte gleich wissen müssen, dass die ganze Familie irre ist. Wahrscheinlich glaubten sie, sie würden Rollen in einem Film spielen.
»Doch, doch. Es ist wahr. Warum probierst du es nicht einfach mal aus?« Samantha kicherte aufgeregt in ihre Hand. »Das wird ein Spaß.«
»Samantha«, erklang Williams Stimme warnend. »Spaßig ist dieser Fluch mit Sicherheit nicht.«
»Tut mir leid, Schatz. Aber du kannst das nicht beurteilen. Du bist keine Frau.«
Amber blendete das Geplänkel im Radio aus. Konnte so etwas wirklich funktionieren? Für einen Mann wäre so ein Fluch wahrscheinlich eine der schlimmsten Sachen, die ihm passieren kann. Besonders für einen Mann wie Cailean. Amber musterte ihn von der Seite. Cailean wirkte auf sie nicht wie jemand, der gerne nach der Pfeife von Frauen tanzte. Wahrscheinlich würde er sich lieber einen Arm abhacken, als Frauen jeden Wunsch von den Lippen abzulesen. Amber hielt ihren Entführer eher für einen düsteren, gefährlichen - Piraten eben.
Andererseits, was konnte es schon schaden, es einfach mal zu testen? Was sollte er schon tun? Sie auslachen? Sie töten? Das würde er am Ende sowieso tun. So ginge es nur schneller.
»Ich wünsche mir einen riesigen Hamburger mit extra viel Käse und Zwiebeln.«
Cailean trat die Bremse durch und das Auto kam schlitternd zum Stehen. Amber schluckte ängstlich den Kloß herunter, der sich in ihrem Hals gebildet hatte, und zog die Schultern schützend hoch, als Cailean sich langsam wie in Zeitlupe ihr zuwandte.
»Was hat sie gesagt? Was hat sie gesagt?«, ertönte Samanthas aufgeregte Stimme aus dem Radio.
»Einen Hamburger? Ernsthaft? Ich hätte gedacht, du wünschst dir deine Freiheit. Aber einen Hamburger?« William klopfte sich vor Lachen auf die Oberschenkel. »Bruderherz, mit der wirst du noch deine Freude haben. Ich schick dir die Route zum nächsten Drive Inn.«
»Hmmmm«, brummte Cailean. Sein Blick brannte sich noch immer in Ambers. Er wirkte wie der Teufel persönlich, und das lag nicht ausschließlich an seinen rot glühenden Augen, auch die langen Reißzähne, die er gefährlich fletschte, hatten ihren Anteil daran.
Amber rutschte mit dem Rücken gegen die Autotür. Wo war sie nur plötzlich gelandet? Noch vor wenigen Tagen war alles perfekt in ihrem langweiligen Leben gewesen. Gut, nicht wirklich perfekt, aber immerhin hatte sie einen Job, eine nette kleine Wohnung und einen Freund gehabt. Einen Freund, der sie betrog. Also nicht wirklich perfekt, aber sicher. Und jetzt saß sie in einem fremden Auto, befand sich auf dem Weg nach Schottland und blickte einem Mann mit rotglühenden Augen und Reißzähnen ins Gesicht. Wo hatte er nur plötzlich diese Zähne her? Amber spürte, wie die Panik sie überrollte. Ihr Körper schien erstarrt und ihr Kopf völlig leer. Sie konnte nicht mehr denken. Sie war paralysiert.
»Es tut mir leid?«, stotterte sie und presste sich noch fester gegen die Autotür. Mit zittrigen Händen versuchte sie, die Tür in ihrem Rücken zu öffnen. Sie wollte nur raus hier. So weit weg von diesem Ding, wie es nur ging. Aber es gab keine Möglichkeit zur Flucht. Sie war gefangen. Gefangen in einem engen Raum mit einem Irgendwas.
»Dämon?«, keuchte sie? Ihr Herz klopfte wie wild in ihrem Brustkorb. Sie kämpfte mit aller Kraft gegen das Grauen an. Sie steckte mitten in einem Horrorfilm. Wie reagiert die Schauspielerin aus einem Horrorfilm eigentlich in so einer Situation? Sie rennt weg, dachte Amber. Amber rüttelte und riss an den Handschellen. Sie stemmte sogar ihre Füße gegen die Tür. Sie wollte nur noch weg.
»Amber! Amber!«, nahm sie Samanthas panische Stimme aus dem Radio wahr. Sie wagte nicht den Blick von Cailean zu lösen, oder dem, was aus ihm geworden war.
»Amber«, erklang jetzt Williams ruhige Stimme. Den Mann schien nichts, aus der Fassung zu bringen. Nicht einmal die Tatsache, dass sein Bruder ein Monster war. Aber wenn Cailean … Amber kniff die Augen zu. Sie versuchte, alles um sich herum auszusperren. Als sie die Lider wieder öffnete, hatte sich Caileans Gesicht zurückverwandelt. Er grinste sie an und lenkte das Auto wieder auf die Straße.
»Du musst keine Angst vor ihm haben. Mein Bruder kann nur leider nicht so gut mit Frauen. Obwohl das früher Mal anders war«, meinte William.
»Ich kenn ihn nur so«, mischte sich Samantha ein. »Amber, ehrlich, er ist nur griesgrämig. Er tut dir nichts. Das darf er gar nicht. Danu würde ihm sonst den Arsch aufreißen. Und das meine ich wörtlich. William, erklär du es ihr.« Amber schaffte es, ihren Blick von Caileans Gesicht zu lösen, aber das Zittern, das ihren Körper durchlief, konnte sie nicht einstellen. Noch immer hielt sie sich krampfhaft am Griff der Tür fest und presste sich mit dem Rücken gegen die Verkleidung.
»Nun mach schon!«, motzte Samantha. »Dein Bruder ist aber auch ein Idiot. Dem muss eine Frau aber gehörig in die Eier getreten haben.« Samantha musste über ihren eigenen Witz lachen. Cailean und William brummten nur. Wobei Caileans Brummen etwas mehr Hass versprühte. Seine Stirn war gerunzelt und er verkrampfte seine Finger um das Lenkrad, dass das Leder knarrte. Amber beobachtete das mit einem unguten Gefühl in der Magengrube. Diese Hände konnten mit Sicherheit in Sekunden Hälse brechen, Knochen zu Pulver mahlen und Herzen ausreißen.
»Wie soll ich ihr das erklären, ohne dass sie noch mehr Angst bekommt? Siehst du nicht, wie verstört sie ist?«, murmelte William. »Eigentlich ist das doch Caileans Aufgabe.«
»Schon gut, ich mach es. Männer!«, fluchte Samantha. »Amber, wir sind Sidhe. Feen. Elfen, wie auch immer ihr Menschen uns nennen mögt. Wir nennen uns Sidhe.«
Amber zog die Stirn kraus und starrte auf den Bildschirm. Sie lachte. Ihr war nicht wirklich wie lachen, es war auch viel mehr ein hysterisches Lachen, aber sie konnte es einfach nicht zurückhalten. »Feen? Hast du Feen gesagt? Nicht Dämon? Oder warte … Vampir? Ja, Vampire. Ihr seid Vampire. Und eure Frühstücksproteine sind in Wirklichkeit Blut.«
Amber rüttelte an der Autotür, schlug mit der Faust gegen die Scheibe. Winkte einem vorbeifahrenden Auto. Die Fahrerin winkte ihr freundlich zurück und lächelte. Amber schüttelte verwirrt den Kopf und wollte gerade mit den Lippen das Wort Hilfe formen, als sie das Auto schon überholt hatten und die Frau aus ihrem Sichtfeld verschwand.
»Nein, nein wirklich«, rief Samantha aus dem Radio.
Amber sah sie zornig an und schniefte. Sie wischte sich eine Träne von der Wange. Irgendwie war ihr kalt. Nicht, weil es kalt im Auto war. Ihr war körperlich kalt. Sie fühlte sich nicht wohl. Sie musste sich jetzt sofort zusammenreißen. Sie musste wieder klar im Kopf werden, wenn sie diese Situation irgendwie meistern wollte. Amber beschloss, sich auf Samantha zu konzentrieren. Auch, wenn sie nicht glauben wollte, was hier passierte, dass hier etwas nicht stimmte, hatte sie eben mit eigenen Augen gesehen.
»Feen sind zierlich und zerbrechlich und haben spitze Ohren«, sagte sie trotzig. »Weder dein Mann noch dieser … dieser was auch immer …«
»Cailean«, warf Cailean hilfsbereit ein.
»… haben spitze Ohren und sehen sonderlich feenhaft aus.« Auf Samantha traf das schon zu.
Samantha warf ihrem Mann einen Seitenblick zu. »Du hast recht«, sagte sie grinsend. »Sie sind auch nicht wirklich Sidhe. Ich schon.«
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