1 ...7 8 9 11 12 13 ...19 Erstaunt stellte sie fest, vor ihr stand gar nicht Cailean, sondern jemand, der dem Piraten sehr ähnlich sah. Die gleichen glänzend rabenschwarzen Haare, die Schultern nicht ganz so breit. Er war etwas größer als Cailean. Das konnte nur sein Bruder sein, Samanthas Ehemann. Das gleiche scharfkantige Kinn. Und auch die gerade, einen Tick zu große Nase stimmte mit der von Cailean überein. Rund um ein gut aussehender Mann. Die Gene in dieser Familie schienen eindeutig hervorragend. Es gab eben Familien, bei denen hatte der liebe Gott es zu gut gemeint, als er das Aussehen verteilt hatte.
»Sie sind also Caileans Auftrag?«, brummte der Mann und unterbrach Ambers Gedankengänge. »Mein Name ist William.«
Amber stand noch immer halb im Bad und fühlte sich wie erstarrt. Samantha hatte sie zwar aus dem Schlafzimmer befreit, in dem sie mit Cailean eingesperrt war, aber das hier war sein Bruder. Und da er zugelassen hatte, dass Cailean sie hierher gebracht hatte, konnte es nur so sein, dass er eingeweiht war. Und wenn dem so war, dann würde er sie niemals gehen lassen. Außerdem hatte er sie gerade Caileans Auftrag genannt. Das bewies doch, dass er mit der Entführung einverstanden war. Die einzige, die in diesem Haus etwas gegen die kriminellen Hobbys des Piraten zu haben schien, war Samantha. Und die konnte ihr gerade nicht helfen.
Nein, sie durfte sich ihre Angst nicht anmerken lassen. Sie war wenigstens nicht mehr gefesselt, das hob ihre Fluchtchancen erheblich an. Warum hatte sie sich eigentlich erst auf diese Dusche eingelassen, sie hätte längst aus dem Haus sein können, fluchte sie wieder. Amber biss wütend die Kiefer zusammen. So dumm!, schimpfte sie in Gedanken. »Amber. Dann sind Sie also der Bruder von diesem … diesem …«
»Ich weiß, was sie meinen. Samantha hat es mir erzählt.« Der Mann lachte und schlug sich dabei auf den Oberschenkel. »Tut mir leid, aber irgendwie hatte ich das erwartet. Cailean ist … also er hatte schon lange keinen Kontakt mehr zu Frauen, zumindest nicht außerhalb seiner beschränkten Welt.« Wieder Lachen und ein weiterer Schlag auf den Oberschenkel.
Amber verdrehte die Augen. Wie lange konnte das schon sein? Er war doch kaum älter als fünfunddreißig. Sie trat langsam in das Schlafzimmer und fixierte die Ausgangstür, die ungefähr so weit weg von ihr war wie Schottland von London. Und wenn sie jetzt hier nicht wegkam, dann würde sie herausfinden, wie weit weg das genau war. Mittlerweile war sie sich da ziemlich sicher.
Amber machte wohl ein ziemlich begossenes Gesicht, zumindest erstarrte Williams Miene plötzlich. »Entschuldigen Sie. Samantha ist unten in der Küche. Ich habe Ihnen etwas zu Essen geholt. Wir hatten nichts mehr im Haus.«
»Das heißt, ich darf gehen?«, fragte Amber unsicher und nagte auf ihrer Unterlippe.
William sah sie fragend an. »O, sicher.«
Gott sei Dank, dachte Amber. Nichts wie raus hier, bevor dieser Pirat noch wach wird. Das war schon alles ziemlich verrückt. Da wird sie entführt, an ein fremdes Bett gefesselt und dann lässt man sie wieder gehen. Vielleicht war dieser Cailean einfach nur geistesgestört?
So wie es aussah, schienen weder Samantha noch sein Bruder William besonders erstaunt, über das zu sein, was hier geschah. Gut möglich, dass er so was öfter machte. »Ist ihr Bruder vielleicht verrückt?«, fragte sie vorsichtig, während sie langsam auf die Doppeltür zuschritt, William aber dabei nicht aus den Augen ließ.
»Verrückt ist noch harmlos für das, was Cailean alles ist.« Wieder verfiel William in schallendes Lachen. Amber hoffte, dass nicht sie es war, die so witzig auf William wirkte. Vorsichtshalber warf sie aber einen flüchtigen Blick an sich herunter. Alles in Ordnung; Hose an, Schuhe noch in der Hand, aber ihre Manolos waren wirklich keine Fluchtschuhe.
Amber zuckte die Schultern, um dann doch noch zu stutzen. Hatte William nicht gerade gesagt, dass sein Bruder schon lange nicht mehr mit Frauen zusammen gewesen war, dann konnte das ja doch nicht so oft vorkommen, dass er wildfremde Frauen entführte und an sein Bett fesselte. Außer … Amber stutze. O mein Gott!, durchfuhr es sie und sie spürte, wie ihre Wangen warm wurden. Er machte das normalerweise nur mit Männern! Amber schluckte heftig und hatte es plötzlich noch eiliger, aus diesem Haus und damit aus Caileans Reichweite zu kommen. Eigentlich schade, dachte sie trotzdem. Die gut aussehenden Männer sind immer schwul. Außer vielleicht William. Der war ja schließlich verheiratet.
»Warten Sie, ich zeige Ihnen die Küche. Samantha wartet schon. Sie freut sich unheimlich auf das gemeinsame Frühstück mit Ihnen.« William grinste scheinbar gedankenverloren.
William stieß eine Schwingtür auf und manövrierte Amber mit einer Hand in ihrem Rücken in eine gemütliche, helle Küche. Im Vergleich zum Rest des Hauses war die Küche recht klein, aber immer noch doppelt so groß wie Ambers Ex-Küche bei ihrem Ex-Freund. Auf dem Tisch stand ein Teller mit Donuts, verschiedene Packungen Frühstücksflocken, eine Kanne Milch, pochierte Eier und Kaffee.
»Kaffee«, seufzte Amber. Samantha strahlte sie an.
»Allerdings. Wollen Sie Milch und Zucker?«
»Schwarz, bitte.« Amber setzte sich auf den Stuhl, den William ihr zurückgezogen hatte.
»Es tut mir leid, wie Cailean mit Ihnen umgesprungen ist«, sagte Samantha. »Er ist manchmal wie ein Neandertaler.« Sie warf ihrem Mann einen kurzen Blick zu und schmunzelte, dann widmete sie sich wieder Amber. »Aber unter uns, William ist genauso. War das anstrengend, ihm wenigstens ein paar Umgangsformen anzutrainieren«, flüsterte sie hinter vorgehaltener Hand. William rollte genervt die Augen.
Amber lachte dankbar für die ermunternden Worte. »Wie lange wird er denn schlafen?« Sie wollte sichergehen, dass sie das Frühstück genießen konnte und immer noch genug Zeit haben würde, vor Cailean zu fliehen. Ihr knurrte ungehörig der Magen.
»Er ist schon wach«, ertönte ein dunkles Brummen hinter ihr.
Amber zuckte zusammen und drehte sich langsam um. Hinter ihr stand ihr Entführer. Sein Haar war feucht. Er trug ein frisches Hemd. Ziemlich eindeutig, dass er schon eine Weile wach war. Ihr Blick verweilte ein wenig zu lange auf dem, was unter seiner offenen Knopfleiste hervorlugte, dann riss sie sich wütend von seiner Brust los.
»Und was wird jetzt aus meiner Flucht?«, murmelte Amber weinerlich. Sofort war das Magengrummeln vergessen und die Panik griff wieder nach ihr.
»Flucht? Wir befinden uns doch noch immer auf der Flucht.« Cailean setzte sich auf den Stuhl neben Amber.
»Sie müssen sich wirklich nicht fürchten«, sagte Samantha und griff tröstend nach Ambers Hand. »Cailean hat noch niemals einen Auftrag in den Sand gesetzt.«
William räusperte sich und grinste, während er sich auf den Stuhl auf der anderen Seite von Amber setzte. Sie schluckte schwer und umklammerte ihre Tasse, so fest, als könnte nur die sie noch retten. Plötzlich fühlte sie sich doch elfenhaft zwischen zwei so großen muskulösen Männern eingeklemmt.
Die Mikrowelle piepte und Samantha holte zwei Tassen heraus. Sie reichte jeweils eine an die beiden Männer. »Proteine«, sagte sie an Amber gewandt. Diese zog die Stirn kraus und dachte mit einem sarkastischen Blick auf den viel zu ausgeprägten Bizeps von William: Proteine haben sie auch nötig.
»Hast du den Wagen für uns fertiggemacht?«, fragte Cailean und schielte um Amber herum seinen Bruder an.
»Ja, ich habe euch den SUV vollgetankt. Der Koffer ist drin und auch die Kühltasche steckt schon am Zigarettenanzünder. Das Navi ist programmiert und mit meiner Anlage verbunden. Ich hab euch also die ganze Zeit auf dem Bildschirm. Für den Fall, dass was passiert, kann ich mich sofort zu euch teleportieren«, antwortete William mit einem breiten Grinsen im Gesicht. Auch Samantha prustete hinter vorgehaltener Hand. Es musste sich um einen Insiderwitz handeln, denn Amber hatte keine Ahnung, was an dem Gesagten so witzig sein sollte.
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