Sie hieb Cailean mit der Faust auf den Oberschenkel und stöhnte verzweifelt auf, weil das ihr mehr wehgetan hatte, als ihm. Es fühlte sich an, als hätte sie auf eine Wand eingeschlagen. Cailean hatte nicht einmal gezuckt. Er lachte nur. Er lachte über sie. Das machte Amber noch wütender. Erst hielt er sie für inkontinent und dann lachte er auch noch, weil sie sich an seinen Muskeln verletzt hatte.
»Ich bin nicht undicht.« Sie zögerte, weil sie ein klein wenig von ihrem schlechten Gewissen geplagt wurde. Sie sollte diesen Fluch nicht ausnutzen, das war wirklich ungerecht, aber so wie sie die Sache sah, hatte er diesen Fluch verdient, auch wenn sie nicht wusste, warum er verflucht wurde. Zumindest war sie sich sicher, dass nur eine Frau ihn bestraft haben konnte, wahrscheinlich, weil er ein ungehobelter Klotz war. »Ich wünsche, auf Toilette gehen zu dürfen.«
»Verflucht, Weib. Du solltest das wirklich nicht machen.« Cailean hieb auf das Lenkrad ein und warf ihr einen wütenden Blick zu.
»Wieso sollte ich das nicht tun? Was passiert, wenn du einen Wunsch nicht erfüllst?« Bei diesem Blick standen Amber gleichzeitig vor Furcht die Haare zu Berge und winzige Stromstöße zuckten zwischen ihren Beinen, weil Cailean so unheimlich kriegerisch aussah, dass es sie bis in ihre Seele hinein erschütterte.
Als er zu ihr rüber sah, wirkte Cailean überrascht. Hatte ihn das noch niemand gefragt?
»Sobald sich eine Frau etwas gewünscht hat, baut sich Druck in meinem Inneren auf und das unbändige Verlangen, diesen Wunsch zu erfüllen. Je länger ich zögere, desto schmerzhafter wird dieser Druck, bis er mich fast zerreißt. Irgendwann bringt er mich um.«
Jetzt hatte Amber definitiv ein schlechtes Gewissen. Sie wollte keinesfalls, dass Cailean wegen eines unwichtigen Wunsches leiden oder sterben musste. Andererseits war sie hier gerade das Opfer. »Tut mir leid, aber ich muss wirklich dringend«, sagte sie und zog unwillkürlich die Schultern hoch. Sie würde das auf irgendeine Weise wiedergutmachen. Sie könnte etwas Spenden, für ein schottisches Waisenhaus vielleicht.
»Wenn ich das nächste Mal in London bin, dann werde ich Samantha den Hals umdrehen.«
»Wirst du nicht.« Amber war trotzdem nicht ganz unzufrieden mit sich. Im Angesicht der Situation, in der sie sich befand, schlug sie sich doch ganz gut. Und da Cailean gerade in die Auffahrt der kleinen Tankstelle einbog, musste Amber annehmen, dass an dem Fluch doch etwas dran war. Das war doch positiv, oder? Wenn er sie auch nicht freilassen würde, hatte sie ihn doch trotzdem in der Hand. Sie sollte also so sicher sein, wie es nur ging. Warum hatte sie dann so ein schlechtes Gefühl dabei, ihre Macht über ihn so auszunutzen? Weil es ihr auch nicht gefallen würde, wenn sie so ausgenutzt werden würde. Aber schließlich hatte er sie entführt, also hatte sie doch jedes Recht dazu, Caileans Fluch für sich zu benutzen. Und war sie an dieser Stelle nicht gerade schon einmal?
Amber wartete, dass Cailean um den SUV herum kam, um sie von den Handschellen zu befreien. Sie sah sich genau auf dem Gelände um. Zwei kleinere Autos standen an den Zapfsäulen. Hinter ihnen hielt gerade ein weißer Transporter, aus dem ein großer, kräftig wirkender Mann ausstieg. Er warf im Vorbeigehen einen Blick durch das Fenster auf Amber und zwinkerte ihr zu. Amber lächelte höflich zurück. In dem Moment riss Cailean die Autotür ein Stück auf und hätte Amber dabei fast von ihrem Sitz gerissen. Er warf dem Mann einen wütenden Blick zu und beugte sich über die Handschellen, um Amber zu befreien.
»Auf die Toilette und dann wieder ins Auto. Und mach keine Dummheiten. Ich möchte keine Aufmerksamkeit auf uns ziehen.« Cailean richtete sich auf und zog Amber mit sich, die gegen seine Brust prallte, weil sie sich etwas wackelig auf den Beinen fühlte. Knurrend schlang er ihr einen Arm um die Taille und bewahrte sie vor einem Sturz.
Ihre Blicke trafen sich und Amber hatte das Gefühl, in der Schwärze seiner Augen zu versinken. Seine Brust drückte sich gegen ihre, seine Körperwärme und sein würziger Duft hüllten sie ein. Für Sekunden vergaß sie alles um sich herum, bis er sich räusperte und einen Schritt von ihr fort machte.
Sie blinzelte verwirrt und stieß ihm wütend gegen die Brust. »Du solltest dir etwas die Beine vertreten, bevor du wieder ins Auto steigst.«
Seine Finger legten sich um Ambers Handgelenk, wie zuvor die Handschellen. Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass ihre Haut schmerzte, dort, wo das Metall der Eisenringe sich um ihr Gelenk gedrückt hatte. Doch in dem Moment, wo sie den Schmerz registrierte, weil seine Nähe sie nicht mehr verwirrte, ließ die Wärme von Caileans Haut auf ihrer sie den Schmerz auch schon wieder vergessen. Amber seufzte leise, bevor ihr klar wurde, was sie da überhaupt tat. Sie zerrte an ihrer Hand.
»Lass mich los!«, befahl sie zischend. Er tat nichts dergleichen. »Ich schreie«, drohte sie.
»Wirst du nicht. Wenn du das tust …«, er sah sich um, dann blitzte es in seinen Augen auf, »… dann werde ich den Mann töten, den du vorhin so nett angelächelt hast.«
»Das meinst du nicht ernst«, quiekte sie entrüstet.
»Willst du es darauf ankommen lassen?« Er zog die Augenbrauen hoch und schaute abwartend auf sie herab.
Sie antwortete nicht, sondern zog ihn einfach hinter sich her auf die Tür zu, auf der sie das Symbol für Damentoilette entdeckt hatte. Vor der Tür blieb sie stehen, sah zu ihm hoch und zog an ihrer gefangenen Hand.
Wenn er nur nicht so verdammt groß wäre, dachte sie und versuchte, um ihn herum zu schielen, um einen Blick auf den Mann zu werfen, der neben seinem Transporter stand, den Zapfhahn in der Hand. Eine Frau ging an ihnen vorbei in die Damentoilette. Sie lächelte, als ihr Blick auf Caileans Hand um Ambers fiel. Wahrscheinlich nahm sie an, das wäre eine zärtliche Geste zwischen zwei Liebenden.
Wenn die wüsste, dachte Amber und biss die Zähne zusammen.
»Kommst du mit rein?«, hakte Amber nach, weil Cailean anscheinend nicht vorhatte, sie loszulassen.
»Ein verführerisches Angebot, aber ich muss wohl ablehnen.« Amber konnte deutlich sehen, dass es Cailean gar nicht passte, sie allein gehen zu lassen. Er ließ ihre Hand los. »Ich warte genau hier. Wenn du in fünf Minuten nicht wieder draußen bist, komme ich rein. Und wenn ich das tun muss, dann werde ich wütend sein. Und du willst mich nicht erleben, wenn ich wütend bin.«
»Und ich dachte, du wärst schon die ganze Zeit wütend.«
»Nein, das ist meine gute Laune.« Amber erschauderte, als er die Augen zusammenkniff und sie anknurrte.
Sie wandte sich der Tür zu und verkniff es sich, sich noch einmal nach ihm umzusehen, auch wenn sie gerne noch einen letzten Blick auf diesen wilden sexy Krieger geworfen hätte, nur so zum Abschied. Aber sie musste verhindern, dass er die Nervosität in ihrem Gesicht sah.
Eine verschmutzte, grüne Metalltür, die leise quietschte, als Amber sie aufzog, ließ sie Schlimmes erahnen, was die Rastplatztoilette betraf. Sie hoffte, dass die Toilette im Inneren sauberer war. Aber eigentlich sollte sie das gar nicht interessieren. Sie hatte nicht vor, eine der Kabinen zu besuchen, außer die Fenster befanden sich darin. Und dass es hier Fenster gab, war Ambers einzige Hoffnung auf Flucht.
Es gab keine Fenster.
Ratlos stand Amber im Waschraum der kleinen Toilette. Hinter ihr befanden sich zwei Kabinen. Eine war besetzt, wahrscheinlich die Frau, die vorhin das Damen-WC betreten hatte, als Amber mit Cailean draußen vor der Tür stand. Der Waschraum selbst war sauber, nicht komfortabel, aber er erfüllte seinen Zweck. Aber Fenster gab es keine. Weder in der Kabine noch im Waschraum.
Die Tür zur anderen Kabine öffnete sich. Amber beobachtete die Frau im Spiegel über dem einzigen Waschbecken. Sie drehte den Wasserhahn auf und wusch sich die Hände. Die Frau lächelte Ambers Spiegelbild verlegen an. Sie hatte etwa das Alter von Ambers Mutter, knapp über fünfzig. Sie wirkte gepflegt in ihrem taubenblauen Hosenanzug, mit dem bunten Tuch um den Hals und der recht jugendlichen Kurzhaarfrisur. Vielleicht ist sie sogar älter, überlegte Amber.
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