Sams Vater lächelte sie sanft an, dann sagte er:
»Sam, du hilfst mir, wenn du dich von Ricardo fern hältst. Glaube mir, er ist gefährlich und würde niemals vor einem Mord zurückschrecken. Überall dort, wo er aufkreuzt, hinterläst er eine Blutspur. Er ist ein Profi in seinem Fach.«
Sams Blick wurde steinern.
Ein Mörder? Nein, niemals. Wieder machte sie sich ihre eigenen Gedanken.
»Dad, warum will er dich eigentlich an das Kartell ausliefern?«
Der Gesichtsausdruck ihres Vaters änderte sich deutlich. Offenbar war es ihm nicht angenehm darüber zu reden.
»Ich sagte dir ja anfangs schon, dass ich mir zwar nicht sicher bin, aber es gab Anzeichen dafür, dass er nicht nur ein Informant, sondern offenbar auch mit einem der berüchtigten Drogenbosse befreundet war und immer noch ist. Erst nachdem Ricardo damals bei mir anfing zu arbeiten, kamen einige Tage danach diese Männer in unsere Werkstatt. Ich sollte für sie Drogen in den Autos deponieren, die zurück in die USA gebracht wurden, weil sie dem Standard der Botschaftsangehörigen nicht mehr entsprachen. Sollte ich mich weigern, drohten sie damit, meiner Familie schreckliche Dinge anzutun.
Um euch damals nicht zu gefährden, versteckte ich das Rauschgift in verschiedenen Limousinen. Ich informierte anonym den Sicherheitsdienst der Botschaft. Die wiederum ordneten an diesem Tag eine Routinekontrolle aller Fahrzeuge an, die das Botschaftsgelände verlassen sollten. Auf diese Weise fiel es nicht auf, dass die Sicherheitskräfte einen direkten Hinweis bekommen hatten. Ich glaube aber, dass Rick etwas ahnte. Er hat mich zwar nie darauf angesprochen, doch einige Male machte er versteckte Anspielungen, die diesen Vorfall betrafen.
Ja mein Kleines, so war das damals. Bis heute versucht er mich zu finden.«
Sam hatte genau zugehört, was ihr Vater erzählte. Sie merkte auch, dass er bei einigen Aussagen zögerte. Ihr kam der Gedanke, als hätte jemand ihrem Vater diese Geschichte in den Mund gelegt. Vielleicht wollte ihm ja nur jemand Glauben lassen, dass Rick der Böse war.
»Dad, was ist, wenn du dich irrst und Rick nichts damit zu tun hatte? Das ist doch möglich.«
»Das könnte natürlich sein, aber du musst wissen, dass diese bewussten Fahrzeuge zurück in die Staaten transportiert wurden, um sie dort weiter zu verkaufen. Schließlich waren sie noch in einem Top-Zustand. In den Staaten standen sämtliche Autos bereits auf einer Warteliste. Weißt du Sam, solche Informationen konnte nur ein Insider wissen.«
»Ja, das verstehe ich. Trotzdem kann es doch sein, dass es auch ein Angestellter der Botschaft hätte sein können. Jemand, an den man nicht mal im Traum denken würde.«
Es war zu sehen, dass sich ihr Vater über ihre Argumente Gedanken machte.
»Dad, gehst du nicht ein sehr hohes Risiko ein, wenn du dich mit mir oder Mom triffst? Was, wenn du mit Rick Recht hast und er mich beschattet? Er hat immerhin eine Zeit lang vor meinem Geschäft gestanden und, so nehme ich an, darauf geachtet, dass mir nichts passiert. Vielleicht weiß er sogar wo ich wohne. Dad, du nimmst das alles auf die leichte Schulter. Bitte sei vorsichtig. Ich möchte nicht, dass dir etwas zustößt. Das würde ich mir nie verzeihen und Mom sicher auch nicht.«
Sam sah auf ihre Armbanduhr. Es war bereits kurz vor drei Uhr morgens.
»Dad, wenn du willst, hole ich dir eine Decke, damit du auf der Couch schlafen kannst. Ich bin ganz schön fertig.«
»Das ist sehr lieb von dir, aber das musst du nicht.« William nahm seine Tochter in die Arme und drückte sie zärtlich an sich.
»Sam, mach dir keine Sorgen. Jemand passt auf mich auf.«
Überrascht sah sie ihren Vater an, als es plötzlich an die Tür klopfte. Ihr Herz raste. Sie blickte ängstlich zu ihrem Vater.
»Wer kann das sein? Ich erwarte niemanden.«
Vor lauter Aufregung begann Sam zu zittern. Ihr Vater behielt die Ruhe.
»Du musst keine Angst haben. Geh und mach auf.«
»Was?«, rief Sam fast übertrieben.
»Nun geh schon Kleines.«
Ihr Herz schlug bis zum Hals, als sie zur Tür ging. Sie schaute durch den Türspion und glaubte zu träumen. Dort stand Manuel. Ihr Puls beschleunigte sich, als sie die Tür öffnete.
»Hallo Samantha!«, sagte Manuel freundlich.
Sam bemühte sich, so normal wie möglich zu antworten. Doch mehr als ein »Hallo Manuel!« bekam sie nicht raus.
Die Aufregung in ihrer Stimme war nicht zu überhören. Er lächelte genauso charmant wie früher. In ihrem Bauch flogen die Schmetterlinge um die Wette. Sam war nicht bewusst, dass sie Manuel die ganze Zeit anstarrte.
»Darf ich reinkommen, Sam?«
Wie in Trance schüttelte Sam den Kopf.
»Oh entschuldige. Ja, bitte, komm rein.«
Sie trat zur Seite und ließ ihn in ihre Wohnung. Nie im Leben hätte sie gedacht Manuel wiederzusehen und vor allem nicht hier in ihrer eigenen Wohnung. Jetzt stand er vor ihr. In seinen schwarzen Jeans, seinem einfarbigem Hemd und der dazu passenden Lederjacke sah Manuel umwerfend aus. Seine braunen Augen funkelten sie an. Sie konnte ihren Blick einfach nicht von ihm lassen. Er sah unglaublich gut aus. Kein Wunder, dass sie früher schon in ihn verliebt war. Im Gegensatz zu seinem Bruder Ricardo hatte sich Manuel kaum verändert.
Er ging ins Wohnzimmer, wo ihr Vater schon wartete.
»Mr. Black, es wird Zeit. Wir müssen gehen.«, sagte er in einem sehr förmlichen Ton.
»Ja Manuel, ich komme. Ich möchte mich nur noch von meiner Tochter verabschieden. Schließlich weiß ich ja nicht, wann wir uns das nächste Mal wiedersehen.«
Endlich riss Sam ihren Blick von Manuels Gesicht los. Wie benommen drehte sie sich zu ihrem Vater um.
»Du willst schon wieder gehen, Dad?«
Fragend sah sie ihn an und dann schaute sie wieder auf Manuel.
»Könnt ihr wirklich nicht mehr bleiben?
Ich habe genug Platz, zu Essen ist auch reichlich da. Es weiß doch niemand, dass ihr hier bei mir seid, oder?«
Sams Stimme klang flehend, doch die Antwort übernahm Manuel.
»Es wird zu gefährlich, wenn dein Vater zu lange an einem Ort ist. Jetzt wo auch noch Rick hier aufgetaucht ist, ganz besonders. Mein Bruder ist mit allen Wassern gewaschen. Er ist ein Fuchs. Schnell und listig.«
»Aber wie lange willst du denn meinen Vater noch vor diesen Drogenverbrechern verstecken? Er hat schon so viele Jahre auf uns und sein wahres Leben verzichten müssen. Irgendwann muss das doch mal aufhören.«
Bei den letzten Worten liefen ihr schon die Tränen. Manuel sah Sam traurig an. Er trat einen Schritt auf sie zu, schaute sie mit seinen braunen Augen an und sagte:
»Es ist bald vorbei. Wenn alles so läuft, wie wir es geplant haben, wirst du deinen Vater bald für immer wieder haben. Das verspreche ich dir.«
Was dann kam, hatte Sam nicht erwartet. Manuel sah zu ihrem Vater und sagte:
»Verzeihen Sie mir bitte Mr. Black, aber das muss ich einfach tun.«
»Was meinst du Manuel?«, fragte William.
»Das!« Manuel nahm Sams Gesicht in seine Hände und küsste sie mit so viel Leidenschaft, wie sie es noch nie erlebt hatte. Ihr war, als würde ihr Körper in diesem Augenblick schweben.
»Das wollte ich früher schon tun, doch mir fehlte der Mut.«, flüsterte er ihr ins Ohr.
Dann drehte er sich um und ging zur Tür. Wie versteinert stand Samantha da. Ihr Dad lächelte sie an, dann gab er ihr einen Kuss auf die Stirn.
»Pass auf dich auf Kleines. Ich hab‘ dich lieb.«
Zusammen mit Manuel verließ er das Appartement seiner Tochter. Er hörte Sam nicht mehr sagen: »Ich liebe dich auch, Dad.«
Die Tür klickte ins Schloss und sie stand allein in ihrer Wohnung. Erst jetzt bemerkte sie, dass ihr Gesicht feucht von ihren Tränen war. Sam weinte. Sie weinte so sehr, als würden alle zehn Jahre, die sie auf ihren Vater gewartet hatte und hoffte ihn eines Tages wiederzusehen, über sie zusammen brechen.
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