Jakob trat einen Schritt vor. »Eine Einschränkung gibt es: Ihr werdet jeweils zu zweit einen Schützling erhalten. Julius wird euch nun die Paarungen vorlesen.«
Julius kramte in seinem Umhang und holte ein zusammengerolltes Stück Papier hervor. Er breitete es aus und las laut Namen vor. Gebannt warteten David und seine Freunde darauf, dass ihr Name genannt wurde. Sally bildete mit Adam ein Team gesteckt, David mit Louis. Adrian als auch Violet wurden Klassenkameraden zugeteilt, die sie bisher nur vom Sehen kannten. Als Julius mit der Einteilung fertig war, rollte er die Liste wieder zusammen.
»Als Abschluss dieses Tages, und sozusagen zur Wiedereingewöhnung, werdet ihr den Rest des Tages mit Gast-Dozenten in der Trainings-Arena verbringen. Bitte widmet euch dort den Stationen, bei denen eurer Meinung nach eure größten Schwächen liegen. Wenn euer Mentor beispielsweise einen Koch als Schützling hat, solltet ihr nicht unbedingt an der Station mit der Küchenzeile üben.«
Louis meldete sich still zu Wort.
Jakob deutete auf ihn und nickte. »Ja, bitte?«
»Wann lernen wir unsere Schützlinge kennen?«, wollte er wissen. Seine Frage wurde von zustimmendem Gemurmel quittiert.
Jakob wies auf Julius und dieser räusperte sich. »Wir treffen uns morgen früh direkt nach Sonnenaufgang auf der Sichtwiese. Bitte stellt euch zusammen mit der Person auf, die euer Schützling-Partner ist. Ich werde euch nach und nach zeigen, wie ihr auf dem See sichten könnt, das heißt, wie ihr ein Bild eures Schützlings aufrufen und es modifizieren könnt. Bei dem ersten Paar werde ich alle grundlegenden Funktionen zeigen, wie etwa das Zoomen, Parallel-Bilder, Express-Teleportation. Die darauffolgenden Teams können es später selbst ausprobieren.«
- 7 -
Kaum hatten Julius und Jakob ihre Rede beendet und verkündet, es könne jetzt für den Rest des Tages in der Trainingsarena geübt werden, schwoll aufgeregtes Gemurmel an.
»Hey Louis«, rief David und ging seinem neuen Partner ein paar Schritte entgegen. »Coole Sache, dass wir in einem Team sind, oder?«
Louis lächelte zaghaft. »Ich kann mir gut vorstellen, dass das gut funktionieren könnte, ja.«
Die gesamte Gruppe der Auszubildenden schob sich durch den Tunnel, der zu der Arena führte.
»An welcher Station willst du dich heute noch mal versuchen?«, versuchte David das Gespräch am Laufen zu halten.
»Ich weiß es noch nicht genau«, gab Louis schulterzuckend zurück. Gerade wollte er noch etwas ergänzen, als Sally ihren Bruder einholte, die übrigen Freunde im Schlepptau.
»Nach welchen Auswahlkriterien die Zweiergruppen wohl zusammengestellt wurden?«, fragte sich Sally lautstark. »Ich meine, Adam und ich kennen uns mittlerweile gut, und ich bin vollauf zufrieden, mit unserer Sportskanone einen gemeinsamen Schützling zu haben – das Beschützen liegt ihm.«
Sie zwinkerte ihrem neuen Partner zu und er lächelte geschmeichelt zurück. David sah, dass Louis‘ Lächeln verschwand und er sich allmählich zurückfallen ließ.
»Aber was ist mit Adrian und Violet?«, fuhr Sally fort. »Wieso wurden sie nicht zusammen in ein Team gesteckt? Ist es nicht von Vorteil, wenn man seine Partner besser kennt?«
Adam zuckte mit den Schultern. »Irgendetwas werden sie sich schon dabei gedacht haben. Ist doch eigentlich ganz in Ordnung, wenn sich die Klasse cliquenübergreifend besser kennenlernt. Vielleicht konzentriert man sich auch besser, wenn man nicht die ganze Zeit plappert.«
Sally zog gespielt empört die Luft ein. »Meinst du etwa mich? Na, dann kannst du dich ja auf etwas gefasst machen.« Sie grinste Adam frech an und sah dann zu Violet herüber.
»Was hältst du von der Einteilung?.«
Violet sah auf den Boden. »Natürlich wäre ich froh gewesen, wenn ich mir dir, oder vielleicht auch mit David ein Team hätte bilden können.« Kurz warf sie Sallys Zwilling einen vielsagenden Blick zu. »Aber ich kann ja nichts daran ändern. Der Rat wird seine Gründe haben.«
»Ich vermute auch, dass sie uns einfach aus unserer Komfort-Zone herauslocken wollen.« Adam sah in die Runde. »Das wird schon werden. Und wer weiß, für wie lange wir zu zweit einen Schützling haben werden. Wenn wir uns gut anstellen, bekommen wir vielleicht bald einen Eigenen.«
David nickte. »Das könnte ich mir auch gut vorstellen. Vor allem nach dem, was sie eben über die Beschaffung neuer Neuankömmlinge gesagt haben. Ich bin mit meinem Team-Kollegen eigentlich ganz zufrieden – Louis war schon früher mit uns in einer Übungsgruppe gewesen.«
Die anderen sahen ihn schweigend an. Sie waren nun fast in der Arena angelangt, man konnte durch die geöffnete Flügeltür bereits die ersten Stationen erkennen.
»Was ist?«, fragte David irritiert. Er konnte den Blick seiner Freunde schwer zuordnen.
»Na ja, Louis war doch auch bei den Unverstandenen dabei, oder?«, fragte Adam.
»Sogar bevor Adrian und du dort das erste Mal hingegangen seid«, ergänzte Violet. »Findest du das nicht ein wenig komisch?«
David zog die Augenbrauen zusammen. »Nein, ganz und gar nicht. Er war derjenige, der die Unverstandenen beschattet und uns gewarnt hat, dass der Vorfall auf dem Volksfest etwas mit ihnen zu tun haben könnte. Er hat uns geholfen, und sich dabei sogar großer Gefahr ausgesetzt. Was wäre, wenn die Unverstandenen ihn entdeckt hätten?«
»Aber wie hat er das genau gemacht«, gab nun auch Adrian zu bedenken. »Hat er erzählt, wie er sie beschattet hat? Vielleicht ist er ein Spion, der im Auftrag Nathanels in Euphoria bleibt.«
»Du auch noch?«, fragte David ungläubig. »Du warst doch in den Meetings dabei. Er hat sich kein bisschen an der Hetze beteiligt. Und er ist auch noch immer hier. Ich denke, bei dem Misstrauen von allen Seiten, wäre er bestimmt schon längst geflohen. Der Mutigste scheint er mir nicht zu sein.«
»Na ja, du hast ihn ja schon immer in Schutz genommen«, schloss Sally das Thema, da sie nun inmitten der Arena angelangt waren. »Pass bitte auf dich und euren Schützling besonders auf, wenn ihr zusammen sichtet.«
Am nächsten Morgen traf ein Neuankömmling nach dem anderen auf der Sichtwiese ein. David stand bereits neben Louis und wartete darauf, dass Julius endlich erschien und ihnen ihren Schützling vorstellte.
»Bist du auch aufgeregt?«, fragte David, um das Eis zwischen ihm und Louis zu brechen. Obwohl sie gegen den Dunklen Samariter Thomas Seite an Seite gekämpft hatten, wirkte die Beziehung zwischen ihnen sehr angespannt. Fast so, als wären sie sich fremd. Louis erwähnte die jüngsten Vorkommnisse mit keinem Wort, sondern stand wie immer da, als habe er einen Stock in seinem Hemd stecken.
»Aufgeregt trifft es nicht ganz«, antwortete er tonlos. »Mehr … erwartungsvoll.« Nun sah er David von der Seite an. »Ich freue mich, dass wir wieder eine Aufgabe haben. Die Zeit des stillen Beobachtens neben unseren Mentoren – ich fühlte mich ganz schrecklich.«
David nickte. »Du magst lieber ständig Neues lernen, stimmt’s?.«
Doch Louis sah ihn irritiert an. »Das meine ich nicht. Bevor wir überhaupt richtig angefangen haben, steht die Zukunft unserer neuen Heimat auf dem Spiel. Man ist der Situation hilflos ausgeliefert. Ich kam mir nutzlos vor.«
Nachdenklich sah David seinem Partner in die Augen. »Ja, das natürlich auch.« Die Worte seiner Freunde am Vortag hatten ihre Spuren hinterlassen. Täuschte er seine Loyalität nur vor? Neue Heimat? David sah es zwar ähnlich, aber dafür wurde er von vielen auch für verrückt erklärt. Dass er seinen Tod zu schnell überwunden hat, einfach sein irdisches Leben vergessen konnte. War Louis‘ Art nur gespielt? Oder waren David und er sich im Inneren einfach sehr ähnlich?
Bevor David etwas dazu sagen konnte, tauchte Julius vor der Nebelwand auf, neben ihm eine schlanke Frau, mit blondem Zopf. Schüchtern dreinblickend klammerte sie sich an einem Klemmbrett fest und folgte Julius mit etwas Abstand zum Ufer des Sees. Bei jedem Schritt bewegte sich ihre Umhängetasche, die sie quer über der Schulter trug, hin und her.
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