»Siebzehn Jahre alt, war Mitglied im Basketball-Team der Schule gewesen, auch in seiner Freizeit oft auf dem Basketball-Platz zu finden. Sein Auto ist seine Leidenschaft, eine Freundin hat er nicht.«
David betrachtete Timothy nun wieder auf dem See.
»Keine Freundin? Er sieht doch nicht schlecht aus. Und dann auch noch ein Sport-Ass.«
»Na und?«, zischte Louis. »Eine Ablenkung weniger.«
Fast schon erschrocken warf David seinem Partner einen Seitenblick zu. Dann blätterten sie beide weiter in dem Ordner.
»Sieht so aus, als hätten wir hier auch einen zukünftigen Saver vor uns, oder?«, fragte David.
Louis sah David erst irritiert an, dann blätterte er weiter durch die Unterlagen über Timothy. »So weit war ich noch gar nicht«, stammelte er. »Oder wieso meinst du das? Steht in der Akte, er habe noch nie eine Verkehrsregel gebrochen, oder so?«
David lachte auf. Als er sah, das Louis das offenbar nicht als Scherz gemeint hatte, räusperte er sich. »Zumindest macht er ab morgen ein Praktikum bei einem Pflegedienst. Steht in der Akte. So wie es aussieht, will er später zur Army gehen. Scheint ein sehr vernünftiger Kerl zu sein.«
Louis zog eine Augenbraue hoch. »Weil er Soldat werden will? Ich glaube, darüber lässt sich streiten, ob das eine vernünftige Entscheidung ist.«
»Hm«, machte David. »So habe ich das nicht gemeint. Er wirkt zumindest so, als hätte er gute Absichten. Diese Kombination aus dem Praktikum und seinem Berufswunsch erscheint doch nicht schlecht.«
Sie verstummten und beobachteten, wie Timothy den Waschvorgang seines Autos fortführte. Aus dem Augenwinkel sah David, dass Julius dem letzten Team seinen Schützling vorgestellt hatte und sich nun gemeinsam mit Tarina zurückzog. Sie waren also von jetzt an auf sich gestellt.
»Julius hat gar nicht gesagt, wie wir uns das Beschützen aufteilen sollen«, stellte David fest. »Wie wäre es dir am liebsten?«
Louis sah kurz auf. »Ich bin froh über die Aufgabe, von mir aus können wir die ganze Zeit über gemeinsam sichten und bei Gefahr auch gemeinsam beschützen.«
David nickte. »Hin und wieder muss ich noch auf der Erde das Wandeln üben. Ich bin da etwas vorsichtig, seit ich bei dem Ältestenrat vorgeladen wurde. Jeder zweite Tag gemeinsam, und ansonsten einer am Vormittag, der andere am Nachmittag? Wäre das auch für dich in Ordnung?«
»Ich kann doch auch trotzdem die ganze Zeit machen. Wenn du weg musst ist das kein Problem.«
»Wie du meinst«, entgegnete David schulterzuckend. Vielleicht hatte seine Schwester doch Recht gehabt. Sally hatte Louis schon immer als Streber deklariert.
»Ach, dann musst du die ganze Arbeit machen. Ohne Pause. Nicht dass wir uns beim Beschützen nur auf uns als Team verlassen. Julius hat doch gesagt, wir sollen in der Arena unsere Schwächen beseitigen. Das könntest du doch zum Beispiel in der Zwischenzeit machen.«
Louis schien wenig begeistert, doch ihm blieb keine Zeit zu protestieren, denn den See zog ihre Aufmerksamkeit auf sich. Das Bild von Timothy, der nun begann mit dem Gartenschlauch seinen Pick-Up mit Wasser abzuspritzen, flackerte, wurde blasser, dann wieder scharf. Kurz darauf begann es von vorne.
- 8 -
»Was ist denn jetzt los?«, fragte Louis alarmiert.
»Oje, kaum sind wir auf uns gestellt, kommen wir schon nicht zurecht. Bei meinem Mentor ist so etwas nie passiert.« David wollte irgendetwas tun, ließ jedoch seine Hände unschlüssig über der Oberfläche schweben.
»Sieh mal«, wandte Louis ein und deutete zur Seite. »Die anderen scheinen auch Probleme zu haben.«
Die beiden blickten zu ihren Klassenkameraden herüber, sie alle sahen mit panisch aufgerissenen Augen auf den See, fuchtelten in der Luft herum oder redeten mit ihren Partnern. Fünf Paare neben David und Louis war Adrian mit seiner Team-Partnerin, der ebenfalls seitlich prüfte, ob noch mehr diese Störung hatten.
»Ich glaube nicht, dass es an uns Anfängern liegt«, fuhr Louis nun fort. »Sogar die erfahrenen Savers dort hinten, scheinen irritiert zu sein.«
Tatsächlich wirkten andere, bereits ausgebildete Savers verunsichert. Doch nach ein paar Sekunden hörte das Bild auf zu flackern, und alles war wie vorher. Für den Rest des Tages kam es nicht mehr vor, und niemanden störte es weiter.
David und Louis sichteten bis spät abends. Das Flackern kam nicht wieder, eingreifen mussten sie jedoch auch nicht. Timothy traf sich mit Freunden zu einem Basketball-Spiel, danach fuhr er, akkurat den Verkehrsregeln entsprechend, nach Hause, duschte und spielte an einer Videokonsole, bis es fast elf Uhr abends war.
»So, das war es für heute, oder?«, fragte David und rappelte sich auf.«
»Ich denke auch«, bestätigte Louis. »Entspannter erster Tag, würde ich sagen.«
»Allerdings. Morgen bei Timothys erstem Praktikumstag sichten wir noch gemeinsam, oder? Danach können wir uns einen Plan überlegen, dass wir nicht immer beide hier sitzen müssen.«
»So habe ich es mir auch gedacht«, sagte Louis und reckte seinen rechten Daumen in die Höhe. »Dann bis morgen!«
Sobald David in seiner Wohnung angekommen war, holte er den Sichtungsspiegel aus seinem Kleiderschrank heraus. Schon oft hatte er es bereut, dass er Simon damit nicht beobachten konnte. Doch im Zweifel wäre er sich ohnehin unsicher gewesen, ob er ihn hätte retten dürfen – die Regel besagte nach wie vor, dass keine fremden Schützlinge gerettet werden durften, also auch nicht der Schützling des Mentors.
David stellte das flache Gerät in die dafür vorgesehene Vorrichtung an seinem Schreibtisch. Kaum stand der Spiegel aufrecht, erschien ein Bild von Timothy, wie er im Bett lat. Er tippte etwas auf seinem Smartphone herum, legte es dann auf seinen Nachttisch und drehte sich zur Seite.
David warf einen kurzen Blick auf seinen Warner. Das an einen Pieper erinnernde Geräte hatte nun tatsächlich eine wichtige Aufgabe, nicht nur die, ihn pünktlich zu wecken, falls er den Sonnenaufgang verschlief.
An diesem Abend setzte er sich in den Ohrensessel in der Ecke. Es hielt den Blick auf seinen Sichtungsspiegel gerichtet und klappte im Minutentakt seinen Warner auf, bis ihm die Augen zufielen.
Am nächsten Morgen landete David an der Sichtwiese und griff sich an den Kopf. An welcher Stelle sollte er nach Louis suchen? Sie hatten nichts ausgemacht. Doch bevor er sich dazu entschloss, eine Runde um den See zu drehen, erschien sein Partner neben ihm.
»Guten Morgen.« Louis lächelte.
»Guten Morgen. Perfektes Timing, würde ich sagen.«
»Allerdings. Wo sollen wir uns hinsetzen?«
David fuchtelte mit der Hand. »Noch haben wir die freie Wahl. Es ist zum Glück nicht viel los.«
Gemeinsam suchten sie sich einen Platz an dem Sichtungssee und sofort erschien Timothys Bild. Er saß gerade, offenbar mit seinen Eltern, am Frühstückstisch. Seine Mutter schien eine sehr herzliche Frau zu sein. Sie stellte ihm eine braune Frühstücks-Tüte neben seinen Teller und gab ihm einen liebevollen Kuss auf den Kopf.
»Viel Spaß bei deinem ersten Tag im Praktikum, mein Schatz. Wir sind so stolz auf dich.«
Sein Vater, der Timothy am Frühstückstisch gegenübersaß, faltete seine Tageszeitung zusammen und sah seinen Sohn an. Auch in seinen Augen konnte man Stolz erkennen. »Das stimmt, Tim. Wir haben uns sehr gefreut, dass du dich aus freien Stücken bei PhysiHeal beworben hast, wo auch Tante Jen arbeitet. Es ist eine hervorragende Pflegeeinrichtung, du wirst es dort mögen.«
»Doch ich habe ihr gesagt, sie soll dich nicht schonen«, kicherte Timothys Mutter. »Sie hat mir versichert, dass du keine Sonderbehandlung bekommen wirst, sondern genau wie alle anderen die Patienten auf die Toiletten hieven musst.« Mit einem Augenzwinkern strich sie ihrem Sohn ein letztes Mal über die Schulter und ging dann zurück an den Herd, auf dem eine Pfanne mit Rührei vor sich hin brutzelte.
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