Anne Hoch W – was!“
Radius Lehr Ja, ja, sperre deine Lauscher ruhig auf.
Anne Hoch Das glaube ich einfach nicht. Was du zu mir sagst.
Radius Lehr Doch, du Kuh! Du saublöde Kuh, du, du, du – du Arschloch!
Anne Hoch W – was!“
Radius Lehr Ach, mach dir nichts draus, sind wir ja schließlich alle - Arschlöcher mein ich.
Anne Hoch So etwas hat noch niemand zu mir gesagt!
Radius Lehr Na, dann wurde es ja allerhöchste Eisenbahn.
Anne Hoch Und schmutzige Worte mag ich überhaupt nicht, das weißt du haargenau.
Radius Lehr Ja, ja, ich werde es mir ausrichten, in einer Woche oder so. Und jetzt verpiss dich endlich!
Anne Hoch Wie - wie kann man nur so gemein sein?
RLG Beinahe schon wieder beiläufig versetzte der Genervte Anne einen leichten Stoß, mitten aufs Brustbein, allerdings doch stark genug, um sie ins Wanken zu bringen. Auf der Fußleiste, mehr wie ihr hätte lieb sein können, mit dem Armen nach hinten gerudert, flog sie kurzerhand auf den Boden. Mit dem Allerwertesten voraus, ein zerfleddertes Buch auf dem Bauch, etwas, was einem wie Radius Lehr nichts ausmachte, ganz im Gegenteil, vielmehr war er dabei, sich wieder ausschließlich und hundertprozentig dem Bierkrug vor seiner Nase zu widmen. Anne indes erhob sich wieder, Entsetzen und Empörung im hoch erröteten Gesicht geschrieben, doch, doch, das war mehr wie offenkundig. Mit der weißen Dame fuchtelte sie in der Luft, während sie das Buch unter einem Arm geklemmt hatte.
Anne Hoch Radius, du, du – du hast mir wehgetan!“
Radius Lehr Oh, wie schön für dich.
Anne Hoch Ich – ach, ich, weißt du was, ich kündige dir unsere Freundschaft!“
Radius Lehr Hoffentlich - dann lässt du mich hoffentlich endlich in Ruhe, du schwarzes Miniarschloch.
RLG Sperrangelweit war nun ihr Mund geöffnet.
Erich Tolstoi Aber Anne, die Dame ist doch unschuldig.
Leonid Zimmermann Und nimm‘ s dir nicht zu Herzen.
RLG Anne schleuderte die Dame zurück aufs Schachbrett, so dass alle vier Springer umfielen, gleichzeitig wohlgemerkt, darauf verkrümelte sie sich an jenem eckigen Ecktisch, an welchem zur Mittagszeit ihr Vater Dimitri noch Umschläge gebadet hat.
Amalie Hoch Radius, die Höhe ist nun wirklich erreicht, aber ob man dir zu dieser Leistung wirklich auch noch gratulieren soll?
RLG Amalie begab sich zu ihrer Tochter.
Dimitri Hoch So mein Freund, und jetzt ist Schluss – du gehst jetzt heim!
Radius Lehr Okay, eins noch, dann machen wir Feierabend.
Dimitri Hoch Nein habe ich gesagt, und außerdem hast du‘ s versprochen. Abgesehen von dem, was du gerade angerichtet hast.
Radius Lehr Ach, nur noch ein ganz kleines. Ach bitte, bitte.
Dimitri Hoch Nein habe ich gesagt – und es bleibt dabei.
RLG Abermals näherte sich nun Alonso, mit einer dicken Zigarre zwischen den Fingern, und noch herzlicher wie vorhin wurde Radius in den Arm genommen, sabbernd den Kopf an die goldene Krawattennadel gekugelt, so dass der Spanier locker und leicht Radius Wuschellocken kraulen konnte.“
Alonso Gonzalez Oh, oh, mein Kleiner, was hast du denn nun schon wieder angestellt? Mit deiner kleinen Freundin?
Radius Lehr Ist doch egal, mich hat sowieso keiner lieb.
Alonso Gonzalez Mein, armer, armer Kleiner!
Radius Lehr Ach, Alonso, könntest du mir nicht noch eins zahlen?
Alonso Gonzalez Aber, aber – haben wir denn nicht was versprochen?
Radius Lehr Das war doch der Dimitri! Ist sowieso böse!
Dimitri Hoch Eine Unverschämtheit!
Alonso Gonzalez Ja, aber wollten wir nicht Heia machen gehen?
Radius Lehr Ich weiß ja, dass ich zu gehen habe. Aber ich will doch nur noch eins.
Alonso Gonzalez Oh, oh - was soll nur aus dir werden, mein Kleiner?
Dimitri Hoch Nein, Alonso, das meinst du nicht wirklich, das kann nicht dein Ernst sein!
Alonso Gonzalez Wieso eigentlich nicht, du hast doch gehört, was er gesagt hat.
Dimitri Hoch Ich verweigere mich.
Radius Lehr Hörst du das, Dicker? Niemand hat mich lieb – niemand.
Alonso Gonzalez Und ich dachte immer, dies hier wäre eine gastronomische Kneipe!
Dimitri Hoch Allerdings. Zu hundert Prozent.
Radius Lehr Arschlöcher!
Alonso Gonzalez Na, dann ist ja noch alles in bester Butter, ich krieg noch zwei Bier.
Dimitri Hoch Nicht im Traum denke ich daran!
Alonso Gonzalez Eines für mich! Und eines für Radius!
Dimitri Hoch Um Himmelswillen!
Alonso Gonzalez Schall und Rauch!
Dimitri Hoch Unverantwortlich!
Alonso Gonzalez Was für ein gastronomischer Saftladen du bist!
Dimitri Hoch Als ob es in diesem Fall noch darauf ankommt!“
Alonso Gonzalez Vor allem liebe ich es, wenn man mich versteht.
Dimitri Hoch Das geht auf deine Kappe, das sag ich dir jetzt schon. Und auf deine Verantwortung.
Alonso Gonzalez Ja, ja, schon gut, du Trauerkloß. Für das ganze Lokal. Auf meine Kosten. Und für jeden ein Raki.
Radius Lehr Ach, wenn ich dich nicht hätte. Du rettest gerade mein Leben, du lieber Fettsack.
Alonso Gonzalez Ist gut, mein Kleiner, wenn du hinterher nur schön artig bist
Radius Lehr Ich werde nach Hause fliegen. So wahr mir Gott helfe.
Alonso Gonzalez So ist‘ s brav, so will ich‘ s hören. Husch, husch ins Körbchen.
Dimitri Hoch Ja, ja, wer‘ s glaubt.
Radius Lehr Dimitri, du bist und bleibst ein wahrer Dimitri.
Dimitri Hoch Manches gibt es, worauf ich verzichten kann.
Radius Lehr Ein Arschloch zwar, aber ein erstklassiger Dimitri.
Dimitri Hoch Mann!
Alonso Gonzalez Ach, mein Kleiner.
RLG Ein letztes Mal strich ihm Alonso durch die Locken; nach Dimitris Austeilen der Getränke wurden die Gläser in die Höhe gestemmt.
Radius Lehr Prost, ihr Arschlöcher.0
RLG Zurück geprostet wurde.
Italiener Cin! Cin!
RLG Ja, ja, man hatte was zu lachen, durchaus, durchaus, allerdings hatte Radius Lehr nix vom Raki, beim Trinkansatz konnte lediglich die Leere des leer geschwappten Glases registriert werden. Aber er hatte ja noch das von Alonso spendierte Bier, was für ein Glück, gewiss waren ihm auch Dimitris missmutige Blicke. Was darüber hinaus so ein vorgerückter Tag ausmachte, beziehungsweise Abend, wenn man nichts weitergemacht hatte, wie sich stundenlang mit flüssigem Zeugs voll zu schütten, hatte Radius nun aber mehr und mehr zu spüren bekommen. Aber mehr wie hundertprozentig, und fürwahr hatte er seit der Ankunft zur längst verflossenen Mittagszeit nicht ein einziges Mal die Toilette aufgesucht. Doch umso dringender waren nun allzu menschliche Bedürfnisse am sich melden, um es mal so zu formulieren. Ohne größere Schwierigkeiten vom Hocker abzugleiten erschien nahezu unmöglich, Wanken hin, Wanken her, torkelnd wurden die Türen zu den Toiletten erreicht, die befanden sich ausgerechnet hinter jenem eckigen Ecktisch, an welchem sich Anne Hoch zurückgezogen hatte. Ausgerechnet, und freilich hatte sie nicht mehr für ihn übrig wie ins Giftige neigende Blicke der Missachtung, nein anders könnte man es nicht umschreiben. Nach dem Rückkehren von den Toiletten geriet der Betrunkene derart ins Wanken, so dass er sich kurzerhand mit den Fäusten abzustützen hatte. Auf ihrem Tisch, aber war es sowieso nicht mehr wie ein Anzeichen für das hoffnungslos aus dem Gleichgewicht geratene Gleichgewicht? Schlichtweg, offenkundig schien sie was zu schreiben, auch das zerfledderte Buch, welches sie vorhin noch unter ihrem Arm geklemmt hatte, war auf dem Tisch ausgebreitet.
Radius Lehr Wenn du willst, können wir‘ s uns jetzt anschauen.
Anne Hoch Ach, lass mich doch. Mit dir mach ich sowieso nichts mehr zusammen.
Radius Lehr Oh, Anne, du weißt doch wieder mal nicht, was du sagst.
Anne Hoch Du sollst mich in Ruhe lassen, außerdem ist dein Reißverschluss offen.
Читать дальше