Otto Wieschensriether Entstellt – ich bin entstellt. Der Antlitz Pein, der Seele Busen, entstellt.
Heribert von Klinkhoven Aber Radius, so geht man doch nicht mit seinen Meister um.
Radius Lehr Und warum lässt du mich nicht einfach in Ruhe? Du dummes Arschloch!
Heribert von Klinkhoven Bei allem Respekt – aber irgendwann reicht es dann auch wieder!
Radius Lehr Arschloch, Arschloch – du bist und bleibst ein saudummes Eimerarschloch!
Heribert von Klinkhoven Sag mal, kann es sein, dass dir jemand den Verstand geklaut hat?
RLG Radius hatte sich inzwischen zur Tür begeben.
Otto Wieschensriether Der Einen Gelingen. Am Ende, mein Sohn.
Radius Lehr Nichts da, nichts gelingt - ich kündige.
Heribert von Klinkhoven Wenn‘ s denn nur der Verstand wäre.
Otto Wieschensriether Von dannen ziehen ihr wollt? Mein Sohn, und wo wollt ihr denn hin?
Radius Lehr Was geht dich das an, du Oberarschloch!
RLG Und die Tür der altehrwürdigen Werkstatt wurde zugeknallt. Von außen wohlgemerkt.
Neuer Kontostand: ein ßilberling, ein Ende
Blatt 17:In der Bürzel Tiefe
Das Lindenbankhaus – Ihre Andere Bank
Auszug 35 159 23 5, Blatt 17
Aktueller Kontostand: ein ßilberling, ein Ende
Otto Wieschensriether In der Bürze Tiefe. Heribert, der Worte garstig, der Ohren Klang. Ach, Heribert, der Busen Treue, der Zweifel Tiefe.
RLG Ja, noch lange waren sie zu hören gewesen, das Wehklagen des Meisters, lange noch, nachdem Radius Lehr den Hinterhof hinter sich gelassen. Die Hauptstraße unseres Höhenstadtteils erreicht, an der Schule vorbei hätte sich ein Heimgehen geradezu angeboten. Oder nicht, und wäre es nicht nötig gewesen, nach all den Aufregungen, eine Oase der Ruhe? Zu suchen, zu finden, nein die Dinge sollten – wie gesagt - einen anderen Lauf nehmen; und das haben sie dann ja auch getan – leider, leider.
Und gerade auch zu meinem Leidwesen, ach, die Straße geradeaus erreichte er schon bald einen Ort, an welchem er heute schon einmal verweilte. Und lag es nicht gerade einmal eine halbe Stunde zurück, die Tankstelle des Tankwart Tunkel nämlich, gegenüber der eckigen Eckkneipe der Hochs. Unsere altehrwürdige Vorstadtkirchglocke hatte während dem Eintreten, zur zwölften Stunde geschlagen. Erstaunt die hinter der Theke Gläser spülende Amalie Hoch, Radius Lehr zu völlig ungewohnter Tageszeit zu Gesicht zu bekommen. In der Tat war das urgemütliche Lokal in jenen zur Verfügung stehenden Momenten noch nicht allzu sehr reflektiert.
Amalie – eine durchaus ansprechende Schönheit mit schulterlangen, dunkelschwarzen Haaren, offen getragen, frei nach dem Motto „Gläser hin, spülen her.“ Doch, doch, durchaus, durchaus, an einem der wenigen Tische trugen die Deutschrussen Erich Tolstoi und Leonid Zimmermann ihr ganz persönliches, scheinbar ewig währendes Dauerschach aus. Mit seiner Frau betrieb der leicht untersetzte Erich ein kleines Musikgeschäft, während der von der Gestalt eher hagere Leonid beruflich mehr als Taxifahrer fungierte. Das Dudeln der Geldspielautomaten ist indes ein sicheres Zeichen für die Anwesenheit des spanisch stämmigen Alonso Gonzalez, einem etwas korpulenten und auch etwas schmierigen Speditionskaufmann, der es stets verstand, in hocheleganten Anzügen zu glänzen. Aus der Jukebox dröhnten Titel aus der Welt der Schlager – beziehungsweise Popmusik: „So wie ein Regenbogen“ zum Beispiel. Oder „Chirpey Chirpey Cheep Cheep“, „Ein Mädchen für immer“, „Ein Student aus Uppsala“, und so weiter und so heiter und so fort.
Noch eine Person am eckigen Eckstammtisch; doch zu dieser gleich etwas mehr. Natürlich kärglich belichtet, frei nach dem Motto „was sonst auch“. Radius Lehr hingegen fand Platz auf dem Barhocker gleich vor den Bierhähnen, im Nu hat sie einen Krug darunter gehalten.
Amalie Hoch Und warum bist du hier?
Radius Lehr Warum, warum – ich will ein Bier
Amalie Hoch Ich meinte doch nur, noch lange ist nicht vier.
Radius Lehr Ach Amalie, wenn du mich heut einfach in Ruhe lässt.
Amalie Hoch Na gut, von mir aus, ich kann‘ s mir sowieso schon denken. Der Otto hat dich früher heimgeschickt, kein Wunder, nach dem gestrigen Abend.
Radius Lehr Nein, das hat der nicht!
Amalie Hoch Kein Grund, mit mir zu raunzen. Ist doch wahr - oder ist nicht alles schon mal vorgekommen?
RLG Nun meldete sich eine leicht ins Krächzende neigende Stimme. Vom bereits erwähnten, eckigen Ecktisch: Amalie, jetzt lass ihn doch einfach.
Amalie Hoch Ich lass ihn doch, ich habe lediglich eine Frage gestellt.
Aus der Ecke Schließlich ist der Kunde König. Sich nach ihm zu richten ist eine gastronomisch bedingte Betriebsnotwendigkeit.“
Amalie Hoch Was du nur wieder hast, ich habe sehr höflich gefragt. Und das wird ja wohl noch erlaubt sein.
RLG Ob dem allerdings der kalte Umschlag was nutzte? Auf der anderen Seite? Und auch noch mitten auf der Stirn?
Aus der Ecke Ah!
RLG Zornig knallte Amalie das frisch gezapfte Bier vor Radius Nase, und wendete sich wieder ihrem offenbar ganz persönlichen Glasparadies zu.
Amalie Hoch Meinetwegen kann jeder tun und lassen, was er will. Wenn ihr unbedingt alle meint - von mir aus, an mir soll‘ s nicht liegen. Ganz bestimmt nicht.
Radius Lehr Amalie, es ist doch nur, weil mich niemand heimgeschickt hat. Hörst du, niemand.
Amalie Hoch Mein Gott, und es ist mir auch egal, wann oder wo wer wie oft heimgeschickt worden ist. Ehrlich gesagt, oder auch nicht, von mir aus, ich wollte lediglich ein klein wenig den Bogen spannen. Zum gestrigen Abend. An dem flaschenweise Raki vernichtet wurde. Nicht glasweise wohlgemerkt, sondern flaschenweise, von dir und meinem göttlichen Göttergatten! Nur so viel von mir zum Thema betriebsbedingte Gastronomie.
RLG Nach einem Zug ist Radius Krug schon so gut wie leer gewesen.“
Radius Lehr Noch eins, Amalie. Noch eins, und noch einmal: mich hat niemand heimgeschickt!
Amalie Hoch Ist ja gut, Radius, ist ja gut. Man darf auch nicht jedes Wort von mir auf die Goldwaage legen. Aber das müsstest du eigentlich wissen - so lange, wie du mich kennst.
RLG Der vom Ecktisch hat sich hinter die Theke geschlichen, mit der Kaltschüssel, frei nach dem Motto „ob die Kühlung wirklich gewirkt hat?“.
Dimitri Hoch Jawohl, meine Blumenbiene, das Ganze basiert, wie ich finde, auf gastronomisch richtigen Einschätzungen.
RLG Dimitri, ja, ja, der Dimitri war dies natürlich - am Verschwinden hinter der Tür zur Küche, derweil Radius beim am zweiten Bier leer sabbern.
Radius Lehr Aber es stimmt, Amalie. Ich bin ganz alleine weggegangen.
Amalie Hoch Ja, natürlich, Radius. Trink lieber noch ein wenig. Der Beruhigung zuliebe.
Radius Lehr Weißt du, ich habe nämlich gekündigt.
Amalie Hoch Ja, warum denn auch nicht?
Radius Lehr Und soll ich dir auch sagen, warum?
Amalie Hoch Ach, Radius, ich glaube, das möchte ich wirklich nicht wissen.
Radius Lehr Ich sag‘ s dir aber trotzdem. Wegen dem Wieschensriether. So ein Oberarschloch sag ich dir.
Amalie Hoch Ach, lass das doch jetzt.
Radius Lehr Ein Oberarschloch.
Amalie Hoch Oh. Radius - muss das nun wirklich sein?
Radius Lehr Ist ja schon gut, Amalie, und Ich weiß ja, dass du solche Wörter nicht magst. Stimmt‘ s, aber ich sag dir noch was.
Amalie Hoch Bloß nicht. Nur ich fürchte, du wirst es trotzdem sagen.
Radius Lehr Nämlich noch ein Bier. Auf das Oberhauptarschloch.
Amalie Hoch Was ist mit dir heut nur los? Und außerdem hast du doch schon zwei.
Radius Lehr Noch ein Bier, ich will noch ein Bier!
Amalie Hoch Beinahe schon wie gestern. Nicht wahr?
Radius Lehr So ein Tag, und noch ein Bier, auf das Hauptoberarschloch.
Amalie Hoch Also, jetzt reicht es auch mal wieder, schließlich sind auch noch andere da.
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