RLG In einem der nächsten Momente erschien ihr Mann wieder aus der Küche.
Dimitri Hoch Aber meine Honigbiene, wir sind eine Kneipe, und kein Museum, da fallen solche Worte ab und zu.
Amalie Hoch Schöne Kneipe - schöne Worte.
Dimitri Hoch Du siehst das Ganze viel zu eng, Honigblume.
Eine andere Stimme Genau, Amalie, lass ihn doch einfach.
RLG Einer von den beiden Schachspielenden war es.
Erich Tolstoi Radius hat gar nicht mal so Unrecht, denn sind wir nicht irgendwie schließlich alle Arschlöcher?“
Amalie Hoch Dass du jetzt auch noch damit anfängst. Das hätte ich nicht gedacht.
Radius Lehr Endlich einer, der mich versteht.
Dimitri Hoch Worte unter Männern.
Amalie Hoch Schöne Worte – schöne Männer!
Erich Tolstoi Na, hör sich das mal einer an, dann trinkst du sicherlich noch einen Kleinen.
Radius Lehr „´Du mir aus der Seele sprichst.
Amalie Hoch Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist. Er hat doch jetzt schon ganz schön viel.
Erich Tolstoi Keine Widerrede, ein Raki für unseren Radius. Und einen für mich, ach was rede ich. Für alle.
Leonid Zimmermann Und für mich noch eine Schorle. Weiß und süß, nanu, wo meine Dame ist – nanu.
Erich Tolstoi Vielleicht ist sie ja gefressen worden.
Amalie Hoch Ich glaub, Ich trete in den Streik.
Leonid Zimmermann Gefressen? Wie geht das denn?
Dimitri Hoch Lass, meine treue Honigseele. Ich kümmere mich drum.
Erich Tolstoi Indem du sie mir geradezu vorgeworfen hast. Auf d4, während mein Bauer auf e5 verweilte.
Amalie Hoch Wenn Männer zusammenhalten.
Leonid Zimmermann Ach herrje.
Amalie Hoch Ist noch nie was Gescheites rausgekommen.
Leonid Zimmermann Wie das nur geschehen konnte?
Radius Lehr Weil du ein Arschloch bist.
Amalie Hoch Radius – die Musik spielt aber immer noch hier vorne.
Leonid Zimmermann Ich werde es mir gelegentlich ausrichten.
Radius Lehr Haargenau, wir alle sind Arschlöcher. Und der Riesenwischer ist das Allerriesigste.
Erich Tolstoi Sag ich doch schon die ganze Zeit; ich schlage vor, wir fangen nochmal von vorne an.
Dimitri Hoch Hast du in der Küche nicht noch ein paar Honigtöpfe zu reinigen?“
Amalie Hoch Schon verstanden, um euren gastronomisch einwandfreien Unterhaltungen nicht länger zu stören. Mit dem größten Betriebsvergnügen, darauf lege ich sowieso keinen Wert.
RLG Amalie verschwand tatsächlich hinter der Küchentür, Dimitri verteilte den von Erich bestellten Raki, zum Anstoßen begab sich außerdem Alonso zu Radius, und umarmte ihn herzlich.
Alonso Gonzalez Was ist denn eigentlich heute los mit dir?
RLG Radius starrte mit entgeistertem Blick auf Alonsos goldene Krawattennadel.
Radius Lehr Arschlöcher, alle Arschlöcher!
Alonso Gonzalez Ich weiß, mein Lieber.
Radius Lehr Ich bin ein Arschloch!
Alonso Gonzalez Ich weiß.
Radius Lehr Du bist ein Arschloch!
Alonso Gonzalez Ich weiß.
Radius Lehr Und weißt du was!
Alonso Gonzalez Was ist denn nur mit dir los, mein Kleiner?
Radius Lehr Weißt du, wer das größte aller Arschlöcher?
Alonso Gonzalez Ist nun einmal so.
Radius Lehr Arschloch, arschlöchriger, am Arschlöchrigsten.
Alonso Gonzalez Manches ist nicht zu ändern.
RLG Alonso begab sich zurück zu seinen Automaten, die nächste Schachpartie in Gang gesetzt, und bald schon kehrte auch Amalie wieder zurück aus der Küche, Honig hin, Töpfe her. Sogar der Bauarbeiter Francesco Verdi war inzwischen mit seiner italienischen Clique eingetrudelt, die sich in die Nische der Kneipe verdingten, wo sich die Darts- Automaten befanden. Radius Lehr aber tat weiter nichts wie sich hoffnungslos zu besaufen, nein, anders hätte man es nicht ausdrücken können; die Dämmerung draußen war noch nicht einmal richtig angebrochen, als er längst schon bedenklich auf dem Hocker wankte. Gut gemeint waren Amalies mehrfache Aufforderungen, und inzwischen auch von Dimitri, einfach heimzugehen und sich auszuschlafen. Radius Lehr reagierte jedoch bei jedem Versuch gleich, nein, anders hätte es nicht beschrieben werden können.
Radius Lehr Noch ein Bier.
RLG Und noch ein Bier, zunehmend nicht einfacher wurde es, gegen das Absinken des schwerer und schwerer werdenden Kopfes anzukämpfen, so dass Amalie sogar auf die Theke zu klopfen hatte. Direkt vor seiner Nase.
Amalie Hoch So, Radius, jetzt reicht es, jetzt ist endgültig Schluss
RLG Radius wackelte derweil wie – ja, wie Wackelpudding.
Radius Lehr Noch ein Bier. Noch eins.
Dimitri Hoch Mein betrieblicher Honigstern hat Recht; ein gastronomisch durchaus vernünftiger Vorschlag.
Amalie Hoch Genau, du gehst jetzt heim
Dimitri Hoch Und ausgeschlafen sieht die Welt gleich ganz anders aus.
Radius Lehr Ich will aber noch ein Bier.
Amalie Hoch Nein, verdammt nochmal.
Radius Lehr Ein letztes noch.
Amalie Hoch Nein, nein, und nochmals nein.
Radius Lehr Dann – dann geh ich auch heim.
Dimitri Hoch Warum eigentlich nicht, ist doch immerhin mal ein Angebot. Oder findest du nicht, holde Honigblüte?
Amalie Hoch Nein! Nein! Und nochmals nein!
Dimitri Hoch Aber ich nimm dich beim Wort, Radius. Noch ein letztes Bier, und dann ist wirklich Schluss.
Amalie Hoch Wieso habe ich kein gutes Gefühl?
Dimitri Hoch Keine Sorge, ich übernehme die betriebsbedingte Verantwortung.
Radius Lehr Wenigstens einer, der mich versteht.
Amalie Hoch Dass ich nicht lache.
RLG Freilich war Radius kaum mehr in der Lage, einen Bierkrug zu stemmen, Großteile des gebrauten Getränks schwappten auf das Edelholz der Theke, das Wenigste erreichte überhaupt noch den Schlund; beziehungsweise die Kehle. Während dem weiter anhaltenden Niedersinken des Hauptes wurde er einmal aufgeschreckt vom schrillen Läuten des Darts- Automaten, ein anderes Mal war es was aus der Jukebox. Von Alonso gewählt, wurde der Titel „Ratata“ gegeben. Beim nächsten Einnicken jedoch wurde er durch ein Rütteln am Ellenbogen gestört, mehr wie bekannt kam ihm die dazu ertönte Stimme vor, tja ja, vielleicht sogar mehr, wie ihm lieb war.
Die ihm bekannte Stimme Radius, Radius!
RLG In Radius Lehrs Zustand bedeutete schon die Wendung des Kopfes um circa neunzig Grad eine Herausforderung, in halbwacher Manie wurde Anne Hoch erkannt. So wie sie leibte, so wie sie lebte, zu unverwechselbar ihre Montur: bekleidet war die gerstenschlanke Viertklässlerin nämlich mit einem schwarzen Pulli, einem schwarzen Röckchen, einer schwarzen Mädchenstrumpfhose, die schwarzen Schuhe nicht zu vergessen; der dunkelblonde Pferdeschwanz gehalten von einer schwarzen Schmetterlingsspange. Aus purem Plastik, um die Höhenunterschiede zu Radius zumindest einigermaßen auszugleichen; stand sie auf der Fußleiste der Theke.
Anne Hoch Ich glaube, ich habe was für dich.
Radius Lehr Ach, du bist‘ s.
Anne Hoch Guck doch mal.
Radius Lehr Nee, heute lieber nicht.
Anne Hoch Du, du – du bist ja betrunken.
Radius Lehr Na und.
Anne Hoch Du weißt doch haargenau, dass ich so etwas nicht mag.
Radius Lehr Und weißt du auch, was ich nicht mag?
Anne Hoch Radius - was ist heut nur los mit dir?
RLG Ob gerade eine Zehnjährige angerülpst wurde?
Radius Lehr Das geht dich gar nichts an. Aber auch rein gar nichts.
Anne Hoch So kenn ich dich ja gar nicht.
Radius Lehr Ach, Anne, du bist und bleibst eine alberne Nervensäge.
Anne Hoch Oh je - ich glaube ja nicht, dass du überhaupt noch weißt, was du redest.
Radius Lehr Und wie, mein Fräulein.
Anne Hoch So betrunken wie du bist.
Radius Lehr Wieso lässt du mich nicht einfach in Ruhe?
Anne Hoch Aber wo ich doch was mitgebracht habe.
Radius Lehr Sag mal, hörst du schlecht. In Ruhe sollst du mich lassen, du, du – du blöde Kuh.
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