Da, bei diesem mit apokalyptisch gemeintem Hochziehen der Augenbrauen und sanft hysterisch, aber leise vorgetragenem Quasi-Augenzeugenbericht von den katastrophenartigen Begebnissen direkt in unserer Nachbarschaft, in der Etage unter uns, wir also gar nicht so weit weg von der Hölle – da sehe ich vor meinem geistigen Auge sofort wieder die Bilder vom ersten Besuch im düsteren wilhelminischen Krankenhausbau bei meiner von der Kinderlähmung infizierten, zwei Jahre älteren Schwester, wie ich als Vierjähriger alleine auf dem Gang warten musste und nur durch eine offene Tür die Metallröhren der Beatmungsmaschinen sehen und dieses Rasseln hören konnte, mit dem die in diesen „Eiserne Lungen“ genannten Metallsärgen Eingeschlossenen künstlich beatmet wurden.
Die finsteren Geschichten, die uns später in der Volksschule vom Religionslehrer und sonstigen bigotten Lehrpersonen über Fegefeuer und Verdammnis erzählt wurden, kannte ich als Vierjähriger noch nicht. Doch später standen meine Albträume über auf uns arme Sünder wartende Höllenqualen stets mit Bildern von dunklen Metallröhren und rasselnden, leise brummenden, angsteinflößenden Eisensärgen in Verbindung.
Angst einflößen – cui bono? Müßige Frage, ebenso wie die nach dem Who’s done it?.
Was ficht es mich an, ob das Virus einem Labor entschlüpft oder von einem Vampirleichnam über ein Gürteltier auf den Menschen übergesprungen ist; das alles kann mir ebenso gleichgültig sein wie der irre Streit zwischen einem durchgeknallten amerikanischen Präsidentendarsteller und seinem Twitter-Dienst oder der zwischen der Bildzeitung und einem Berliner Virologen und Kanzlerinnenberater namens Drosten.
Hauptsache China, sag ich nur, die Schlitzaugen sind schuld. Es geht doch nichts über ein anständiges, rassistisch inspiriertes Vorurteil. Hauptsache, es findet sich irgendein oder noch besser gleich ein paar anständige Sündenböcke, die man in die Wüste schicken kann, damit wir uns besser fühlen.
Und schon bin ich bei meinen unterschwelligen Angstgefühlen, die sich damit verbinden, dass ich zur mehrfach gefährdeten Risikogruppe gehöre, für die jene für den Rest der Menschheit inzwischen etwas gelockerten Kontaktsperreregeln auch weiterhin gelten.
Arschkarte gezogen – neudeutsch (aus den neunziger Jahren) formuliert.
Aber es geht ja um unseren Schutz, nur um unseren Schutz. Isolation, aus reiner Solidarität. Danke, brothers and sisters, Danke. Wollten schon immer mal geschützt werden. Muss ja nicht gleich Schutzhaft genannt werden. Besuchsverbot, als reine Schutzmaßnahme, genügt ja schon.
Freiheit? Wer war das? Wer hat da Freiheit gerufen?
Wo steckt er bloß wieder, der ewige Verschwörungstheoretiker? Aber das haben wir gleich. Muss nur noch ein bisschen an der App gebastelt werden. Digitalis, wir kommen.
(28. Mai 2020)
Ave Covid,morituri te salutant (18)
Wie hatte doch Tanzpüppchen mir zugeflüstert, als Quintessenz ihrer Erfahrung während der Zeit ihrer Absonderung bei der Dialyse, als sie sich mit dem Corona-Virus infiziert hatte? „Die haben einfach null Ahnung, von dieser Krankheit; sie wissen nix, aber rein gar nix.“ Nun, wenn das jemand beurteilen kann, dann jemand von uns alten, besser gesagt: alt gewordenen Hasen des Lebens mit den Konsequenzen der Niereninsuffizienz und all ihren im Lauf der Jahrzehnte aufgetretenen Vor- und Nebenerkrankungen. So wie eben Tanzpüppchen, die schon in jungen Jahren ihre Erfahrungen mit dieser Krankheit gemacht hat.
„An der Niere stirbt man nicht“, diesen Satz eines seiner ehemaligen Ausbilder pflegt ein Pfleger (nomen est nomen) in der Klinik, der dort seit Jahren routiniert seine Dialysepatienten an die Blutwäschemaschinen anschließt und sie nach der Behandlung wieder davon abnimmt, immer wieder zu zitieren.
Wohl weil der Satz ihn so beeindruckt hat. Mag ja richtig sein, was der Herr Professor da seinen Auszubildenden damals gesagt hat: dass die Niere selbst keineswegs eine Todesursache sein kann. Aber an den Nebenwirkungen des Nierenversagens stirbt man schon mal, gelegentlich.
Sozusagen aus Versehen. Etwa wenn man sich mal nicht an die empfohlene Diät gehalten hat. Und lauter gesundes Zeug, wie Obst, Kartoffeln, Tomaten, überhaupt vitaminreiche Nahrungsmittel, gegessen hat. Nüsse beispielsweise, oder auch Bananen, enthalten riesige Mengen Kalium. Und da die Filter der Dialysemaschinen im Gegensatz zur Arbeit der menschlichen Nieren nicht in der Lage sind, den Kaliumhaushalt des Organismus im Gleichgewicht zu halten, kann ein überhöhter Wert dieses Mineralstoffs im Blut (normal heißt zwischen 4 und 5, Werte über 6 werden kritisch) zu plötzlichem Herzstillstand führen.
Eiweiß wird ebenso wie Vitamine, alle Spurenelemente und sonstige im gewöhnlichen Blutkreislauf sich tummelnde Fremd- und Aufbaustoffe bei der Dialyse aus dem Körper ausgeschwemmt und muss entsprechend durch reichlich Fisch, Fleisch und Eierspeisen neu zugeführt werden, da sonst die Muskeln schrumpfen. Die Spurenelemente werden durch spezielle Präparate ergänzt. Die zwecks Verlustausgleich durch eifriges Verspeisen aufgenommene eiweißreiche Nahrung hat allerdings ihrerseits den Nachteil, dass das zugleich darin reichlich enthaltene Phosphor die Eigenschaft besitzt, die Knochen weich und weicher werden zu lassen, da-rüber hinaus führt das auf diese Weise freigesetzte Kalk zur Verstopfung der Arterien und auf die Dauer zum Herzinfarkt.
Weitere Konsequenz, wenn man als Dialysierender nicht gleichzeitig mit dem Essen monströs dicke Calciumacetat-Pillen schluckt, die gern im Hals stecken bleiben, ist dann Osteoporose – und bei einfachem Stolpern und Hinfallen der übliche Oberschenkelhalsbruch. Weshalb wir Jahr für Jahr eigens belehrt werden, wie wir Hinfallen tunlichst vermeiden können.
Ohne Dialyse, die uns, by the way, regelmäßig Wasser aus dem Blutkreislauf herauspumpt, werden ganz schnell unsere Beine dick und dicker, und dann schafft das Herz es irgendwann nicht mehr, all die Flüssigkeit aus den Beinen nach oben zu pumpen. Spätestens wenn das Wasser in die Lunge zu steigen und mit Husten und Luftarmut die Sache ernst zu werden beginnt, sagt sich unsereins: „Ja, ja, stimmt schon, an den Nieren stirbt man nicht‘ – aber die Nebenwirkungen!“
Am besten, Sie wenden sich an Ihren Apotheker, oder vielleicht gleich an den Friedhofsgärtner ...
Von den fünf Mitpatienten, die im Laufe der letzten acht Jahre unseres morgendlichen Dialysepatiententreffs gestorben sind, jedenfalls soweit wir das mitgekriegt haben, sind alle nicht an den Nieren gestorben. Auch nicht an COVID-19. Sondern höchstens an gewissen Nebenwirkungen, wie Herzversagen oder Krebs oder diesem oder jenem sonstigen Zipperlein, falls nicht einfach an ganz gewöhnlicher Altersschwäche. Wenn dabei die Niereninsuffizienz eine gewisse Rolle gespielt haben sollte, dann vermutlich allenfalls als Kollateralschadensgrund. Kann ja mal vorkommen. Selbst in den besten Haushalten, wie es so schön heißt.
Nieren oder Viren – eh piepsegal. Hauptsache tot.
(29. Mai 2020)
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