Heipe Weiss
Ave Covid
morituri te salutant
Herausgeber und © FraDo:
Reinhold Daichendt, Alfred Diener, Ulrich Erhardt, Wolfgang Girchott, Michael Köhler, Dieter Müller, Bruno Piberhofer, Majid Semnar, Ernst Szebedits, Gert Vetter, Heipe Weiss, Dieter Wesp, Franz Zlunka
Frankfurt am Main 2022
Layout, Satz und Umschlaggestaltung: Dieter Wesp
Umschlagfoto: Gert Vetter
Portrait Heipe Weiss: Ernst Szebedits
Vorwort und Biografie: Gert Vetter, Bruno Piberhofer
Lektorat: Michael Köhler
Gedruckt ist dieses Buch erhältlich unter
ISBN: 978-3-754950-56-2
Verlag: Neopubli GmbH
Website: epubli.de
Heipe Weiss
Ave Covid
morituri te salutant
Vorwort
Heipe Weiss fing im Frühling 2020 an, uns seine Ave Covid, morituri te salutant- Geschichten zuzusenden.
Uns, das ist eine Gruppe ehemaliger Sponti-Fußballer, die sich nach Ende ihrer Fußballerkarriere weiterhin donnerstags treffen, und zwar in einem Restaurant im Frankfurter Westend mit Namen Herr Franz. Daher unsere Bezeichnung FraDo (Franz am Donnerstag).1
Fast jede Woche schickte Heipe uns und weiteren Freundinnen und Freunden eine Folge der Ave Covid- Texte. Wir dachten zunächst nicht im Traum daran, diese Blattsammlung zu veröffentlichen. Anfangs lasen wir, zum Teil mit Freude, zum Teil mit Erstaunen und zum Teil mit Erschrecken, wie Heipe mit der für ihn sehr hohen Gefahr einer COVID-19-Infektion umging. Die assoziationsreiche, oft zwischen den Themen und Zeiten mehrmals hin und her wechselnde Betrachtung des deutschen Gesundheitswesens mit seinen Fallstricken und die Beschreibung des Alltags mit Rückblenden auf Ereignisse aus seinem Leben eröffneten uns eine einzigartige Sicht auf die bundesrepublikanische Wirklichkeit in der Zeit zwischen dem Frühling 2020 und dem Herbst 2021. In seinen Rückblenden lässt Heipe uns teilhaben an seinen und unseren anarchistischen und spontaneistischen Alltagsgeschichten. Er beschreibt gesellschaftliche und politische Situationen und Geschehnisse ohne Verbitterung, aber mit Humor und beißender Ironie.
So fiel es uns schon im Sommer 2021 nicht schwer, Heipe vorzuschlagen, seine Ave Covid, morituri te salutant- Sammlung, die in der Zwischenzeit auf 73 Texte angewachsen war, in Buchform zu veröffentlichen.
Ave Covid,morituri te salutant (1)
Was wir zurzeit erleben, erinnert überraschend an Das Jahr null eins, L’an zéro un, die Comicserie von Gébé bei Charlie Hebdo in den siebziger Jahren, und ihre spätere Verfilmung mit Coluche, Depardieu und anderen.
Der Unterschied zwischen der heutigen Realität und der damaligen (früh)ökologischen Utopie ist allerdings eklatant. Startete die Utopie vom Jahr 01, also dem ersten Jahr des kommenden Jahrtausends, beim Zeichner Gébé (Georges Blondeaux) als eine Initiative von unten – die Leute sagten: „On en a ras-le-bol“, wir haben die Schnauze voll, von „métro, boulot, dodo“ (U-Bahn, Maloche, müde ins Bett), der tagtäglichen, sinnlosen Hetze und Schufterei; „hören wir einfach auf und machen gar nichts mehr“, „On arrête tout“, „und schauen mal, was dann passiert“, „Et voyons voir, qu’est-ce que se passe“–, sieht es jetzt mit der sogenannten Corona-Krise doch eher so aus, als beginne das Ganze von ganz oben, sozusagen ex machina, verordnet per Ordre de mufti, quasi vom Staat persönlich, in Gestalt von Kanzlerin, Gesundheits-, Finanz- und Wirtschaftsminister, beraten vom obersten Virologen des Robert-Koch-Instituts, im Auftrag der allerhöchsten Instanz, mit einem ebenso unerbittlichen wie unheimlichen Diktator, einem mal eben so aus China sich herbeigeschlichen habenden viralen Krankheitserreger namens COVID-19, einem Winzling, ja Winzding von Virus, das ab jetzt die Krone auf hat und sich deshalb stolz und majestätisch Corona nennt.
Gemeinsam ist beiden, der ökolibertären Idee vom Jahr null eins und dem staatlich verordneten totalen „Shutdown“ unserer Tage, die offene Frage: Was passiert dann? Tscha, schaun mer mal.
Dann sehn wir schon? Ob das gut geht? Da darf der gewöhnliche Zeitgenosse getrost skeptisch bleiben.
Wird uns Die Maske des roten Todes (Edgar Allan Poe) verschonen? Und was kommt dann? Goldene Zeiten? Oder die vier apokalyptischen Reiter? Um konstruktive Vorschläge wird gebeten!
(24. März 2020)
Ave Covid, morituri te salutant (2)
Wir zurzeit situationsgedrungen in halbwegs freiwilliger Quarantäne zu Hause Bleibenden gleichen zwar insofern den Protagonisten der ökolibertären Siebziger-Jahre-Utopie vom L’an zéro un, dem Jahr null eins, dass auch wir so gut wie jede Arbeit im wirtschaftlichen Raum eingestellt haben. Aber bislang zeigt sich kaum jemand geneigt, sich erfreut über das vorläufige Ende des Arbeitslebens im Sessel zurückzulehnen oder, wie die Nulleinser-Arbeitsverweigerer der Utopie, nun in den damals seltsam modischen blauen Latzhosen auf grünen Wiesen herumzustreunen mit einer Margerite zwischen den Zähnen, und fröhlich vor sich hin zu grinsen. Vor allem, wenn ihm jemand begegnet, der anscheinend noch nicht gemerkt hat, was die Stunde geschlagen hat, und offensichtlich noch in irgendwelche Vor-Corona-Arbeits-, Konsum- und sonstige Stresszusammenhänge verwickelt ist.
Dennoch verhilft uns die öffentlich verordnete komplette gesellschaftliche Arbeitspause zu (wer weiß) genügend Zeit, darüber nachzudenken, was denn überhaupt unbedingt produziert und gearbeitet werden muss, wie das die Nulleinser nach dem Totalstopp der Arbeitstretmühle in der Utopie als Hauptbetätigung neben dem Latzhosentragen und Mit-Blumen-im-Mund-in-freier-Natur-Umherschlendern sich angelegen sein lassen.
Sehr weit sind wir in unserer öffentlichen Diskussion über solche Fragen bislang noch nicht vorgedrungen. Immerhin ist fast allen deutlich geworden, dass in Zukunft unsere wirtschaftlichen Prioritäten etwas anders gesetzt werden müssen. Das betrifft vor allem die Beschäftigten im Gesundheitswesen und in der Pflege. Jetzt, da der Mangel in diesen und anderen Bereichen überdeutlich geworden ist. Besser bezahlt werden sollen, heißt es allenthalben, in Zukunft all die, auf deren Leistungen wir, wie wir jetzt erfahren, dringend angewiesen sind. All die bislang mies bis bescheiden Verdienenden in den Pflegeberufen, die Kassierer und Kassiererinnen in den Supermärkten, die Saisonarbeiter in der Landwirtschaft, die Lagerhilfsarbeiter und die Lkw-Fahrer, die Briefträger und Auslieferungsfahrer und was derlei wenig geachtete und sonst auch kaum beachtete Berufsgruppen mehr sind, deren Arbeitsleistung aber nun in der Corona-Krise sich für uns alle unübersehbar als überlebensnotwendig für die Gesellschaft als Ganzes herausstellt.
Was wir sonst noch in Zukunft an unverzichtbaren gesellschaftlichen Dienstleistungen und an dringend fürs Überleben benötigten Produkten brauchen werden, wird sich erst in einiger Zeit genauer herauskristallisieren. Auch die Frage, was wir überhaupt nicht brauchen, jedenfalls nicht mehr unbedingt brauchen, worauf wir in Zukunft getrost verzichten können, wird sich erst nach und nach beantworten lassen. Aber einiges lässt sich bereits vorab vermuten, wir sollten schon mal anfangen, Listen aufzustellen. Was kann weg, was brauchen wir auf keinen Fall, und was wäre denn im Prinzip wünschenswert, und was nicht? Wie ja auch die Debatte langsam anfangen könnte, wie die Lohn- und Entgeltepalette entsprechend den gesellschaftlichen Prioritäten verändert werden sollte – muss ja nicht gleich so sein, dass unsere wackeren Müllmänner genauso viel verdienen wie die Fußballstars oder dass die Einkommen von Altenpflegern mit den Einkommen und Tantiemen von Topmanagern, Börsenspekulanten, Hedgefonds-Algorithmikern, Wohnungsmaklern, Promianwälten, Spindoktoren und Konzerneigentümern gleichziehen. Aber passieren muss da schon was.
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