Andreas Schütte - Asphalt im Kopf

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Zwei Obdachlose, ein Massenmörder und ein alter Mann. Sie alle treibt etwas, sie sind in Bewegung, haben 'Asphalt im Kopf'. Doch auch Asphalt bekommt mit der Zeit Risse. Dieses Ebook enthält die Geschichten DIE FÜNFTE JAHRESZEIT und ENTLANG DER STRAßE, sowie den dystopischen Thriller TURABIEN.

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Andreas Schütte

Asphalt im Kopf

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Inhaltsverzeichnis Titel Andreas Schütte Asphalt im Kopf Dieses ebook wurde - фото 1

Inhaltsverzeichnis

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Entlang der Straße Entlang der Straße Eine Obdachlosennovelle

Anmerkung Anmerkung In Deutschland gibt es etwa 300.000 Obdachlose. Dauerhaft auf der Straße leben 45.000 Menschen. Die Zahl der Straßenkinder liegt bei 9.000

Prolog Prolog Irgendein Arsch mit billigen Schuhen hatte Schwinge im Laufe des Vormittags ein angebissenes Brötchen überlassen. Er hatte es mit dem lauwarmen Kaffee, den die fette Blumenverkäuferin von gegenüber mit spendabler Geste gebracht hatte, heruntergespült. Das verschissene Stück Pappe, auf dem er saß, war vom Dauernieselregen durchgeweicht. Sein Tabak war krümelig, das Volk hier ganz allgemein zum Kotzen und trotzdem kam er jeden Tag wieder hierher auf den Holm, zum Betteln, betteln um ein paar Cent für eine ranzige Wurst vom Schlachter. Kurt Schwinge, Schuhmachermeister aus Tangermünde an der Elbe, stierte vor sich hin. Er hob so gut wie nie den Blick, wozu auch, denn was gab es auf den Gesichtern schon zu sehen, außer den Masken lausiger Schauspieler. Das, was sich in Bodenhöhe bewegte, reichte außerdem völlig, nämlich massenhaft Schuhe, die nichts taugten. Er selbst, ein Landstreicher, trug besseres Schuhwerk als diese Penner, die den ganzen Tag wie Staubpartikel an ihm vorbeistoben. So sah die Sache aus. Manchmal kam es vor, dass sich ein Schwachkopf von einer Christensekte zu ihm niederkniete und anfing zu schwafeln. Er hörte dann eine Weile stumm zu, bevor er sein Gegenüber mit der unangenehmen Wirklichkeit bekannt machte: „Hör zu, Junge, dein Jesus war nichts weiter als ein verlauster Wanderprediger, wie es sie vor- und nachher tausendfach gegeben hat. Zu unterschiedlichsten Epochen und in unterschiedlichsten Gewändern. Möglicherweise war er besonders Nerv tötend oder hat besonders viel herumgehurt, wer weiß das schon. Jedenfalls haben die Leute, die zu der Zeit das Sagen hatten, ihn und seine Bande irgendwann ans Kreuz genagelt. Das war in der Gegend damals üblich. Was er wirklich von sich gegeben hat, werden wir nicht mehr erfahren, vielleicht war es nicht schlecht, vielleicht ein Haufen Mist. Kommt es darauf an? Aber du kannst sicher sein, dass die Kirchenfuzzis es dutzendfach verändert und den eigenen Zwecken angepasst haben. Also hör auf mit dem Scheiß! Hast du was zu rauchen? Wenn nicht, dann verpiss dich!" Auf derart gesunden Menschenverstand zu stoßen war irgendwie lähmend, es lähmte Zunge und Barmherzigkeit, und Schwinge blieb tabaklos zurück. Zurückbleiben war er gewohnt. Zurückbleiben war zu seiner Eigenschaft geworden.

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Turabien

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Der Himmel über Kopenhagen

Elf Worte

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Impressum neobooks

Entlang der Straße

Eine Obdachlosennovelle

Anmerkung

In Deutschland gibt es etwa 300.000 Obdachlose. Dauerhaft auf der Straße leben 45.000 Menschen. Die Zahl der Straßenkinder liegt bei 9.000

Prolog

Irgendein Arsch mit billigen Schuhen hatte Schwinge im Laufe des Vormittags ein angebissenes Brötchen überlassen. Er hatte es mit dem lauwarmen Kaffee, den die fette Blumenverkäuferin von gegenüber mit spendabler Geste gebracht hatte, heruntergespült. Das verschissene Stück Pappe, auf dem er saß, war vom Dauernieselregen durchgeweicht. Sein Tabak war krümelig, das Volk hier ganz allgemein zum Kotzen und trotzdem kam er jeden Tag wieder hierher auf den Holm, zum Betteln, betteln um ein paar Cent für eine ranzige Wurst vom Schlachter.

Kurt Schwinge, Schuhmachermeister aus Tangermünde an der Elbe, stierte vor sich hin. Er hob so gut wie nie den Blick, wozu auch, denn was gab es auf den Gesichtern schon zu sehen, außer den Masken lausiger Schauspieler. Das, was sich in Bodenhöhe bewegte, reichte außerdem völlig, nämlich massenhaft Schuhe, die nichts taugten. Er selbst, ein Landstreicher, trug besseres Schuhwerk als diese Penner, die den ganzen Tag wie Staubpartikel an ihm vorbeistoben.

So sah die Sache aus.

Manchmal kam es vor, dass sich ein Schwachkopf von einer Christensekte zu ihm niederkniete und anfing zu schwafeln. Er hörte dann eine Weile stumm zu, bevor er sein Gegenüber mit der unangenehmen Wirklichkeit bekannt machte:

„Hör zu, Junge, dein Jesus war nichts weiter als ein verlauster Wanderprediger, wie es sie vor- und nachher tausendfach gegeben hat. Zu unterschiedlichsten Epochen und in unterschiedlichsten Gewändern. Möglicherweise war er besonders Nerv tötend oder hat besonders viel herumgehurt, wer weiß das schon. Jedenfalls haben die Leute, die zu der Zeit das Sagen hatten, ihn und seine Bande irgendwann ans Kreuz genagelt. Das war in der Gegend damals üblich. Was er wirklich von sich gegeben hat, werden wir nicht mehr erfahren, vielleicht war es nicht schlecht, vielleicht ein Haufen Mist. Kommt es darauf an? Aber du kannst sicher sein, dass die Kirchenfuzzis es dutzendfach verändert und den eigenen Zwecken angepasst haben. Also hör auf mit dem Scheiß! Hast du was zu rauchen? Wenn nicht, dann verpiss dich!"

Auf derart gesunden Menschenverstand zu stoßen war irgendwie lähmend, es lähmte Zunge und Barmherzigkeit, und Schwinge blieb tabaklos zurück.

Zurückbleiben war er gewohnt. Zurückbleiben war zu seiner Eigenschaft geworden.

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Auf der derben Holzplatte des Arbeitstisches lag neben Pechdraht und Locheisen ein ungeöffneter Haufen von Rechnungen und Mahnungen. In der Spüle türmte sich das Geschirr von Wochen. Das Feldbett in der Ecke der Werkstatt war ungemacht, und der Vogel im Käfig auf dem Kühlschrank tot. Im Geschäft, das nur durch einen braunen Vorhang vom fensterlosen Werkstattzimmer getrennt war, stand eine volkseigene Oka Registrierkasse. Sie war geöffnet und leer. Der abgetretene Dielenboden knarrte bei jedem Schritt, und durch das verdreckte Schaufenster drang trübes graues Licht in den Raum.

Es waren solche Bilder ausgesuchter Trostlosigkeit, die Kurt Schwinge in seinem Kopf festgehalten hatte. Sie waren dreizehn Jahre alt und halfen dabei, niemals mehr zurück zu wollen.

Er war damals die Elbe entlang flussabwärts gewandert. An der Stepenitz, irgendwo zwischen Wittenberge und Perleberg, wohnte sein Bruder auf einem heruntergekommenen Hof.

Rupert hielt sich mit der Entführung von Haustieren über Wasser, hatte dabei aber irgendwie die Übersicht verloren, oder die Geschäfte liefen schlecht, denn sein ganzes Anwesen wimmelte von mehr oder weniger frei herumstreunenden Viechern. Zur Begrüßung verbiss sich ein mürrischer Pudel in seiner Hose, der erst nach einigen kräftigen Hieben mit dem Wanderstock von ihm abließ. Im Haus war es auch nicht besser. Tierhaare bedeckten die Möbel und der Gestank von Exkrementen stach einem in die Nase.

„Mensch Rupert, wann haste denn hier das letzte Mal klar Schiff gemacht?"

Rupert hob in einer hilflosen Geste seine klobigen Hände und drehte sich wie zur Erklärung einmal um sich selbst.

„Mensch, willste nicht mitkommen?"

„Wohin denn, Kurt?"

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