Wieder ein Schlucken, ein dahin irrender Gedanke – jedoch nicht wirklich greifbar -, und dann erst eine langsam aufkeimende Schüchternheit und danach die Dankbarkeit. „Herr, Ihr seid zu gütig. Ich vermag mein Glück nicht zu fassen. Und auch wenn einige sagen mögen, es sei unschicklich, so nehme ich doch Euer Angebot von Herzen an“.
Es zeigte sich, dass der König wahr gesprochen hatte: ich konnte, mit ein wenig Kleidung, Proviant und einigen Münzen größeren Wertes bepackt und in Begleitung von zwei als mutig und tapfer geltenden Rittern in Richtung des Orients davonreiten.
Ich kannte Linhardt und Gunnar schon mein ganzes Leben lang. Sie waren des Prinzen Lehrer in der Kampfkunst und hatten stets ein Auge auf uns, wenn wir wieder einmal aus dem Schloss hinaus zu kindlichen Abenteuern in die Stadt und auch schon mal hinter das Stadttor an den Fluss zogen. Sie begleiteten uns, bewahrten uns, und ganz besonders den Prinzen Johann, vor Unglück und böswilligen Absichten anderer dem Königshofe gegenüber. Ihrem Beistand allein war es zu verdanken, dass wir eine unbeschwerte und glückliche Kindheit erleben durften. Und ich liebte sie dafür von ganzem Herzen. Doch während ich als Kinde noch die Herren Ritter als alt empfand, so stellte ich nun fest, dass sie nicht wesentlich mehr Jahre trugen denn ich, vielleicht an die fünf Lenze, so vermutete ich. Und ich wunderte mich, dass ich dies damals so gänzlich anders wahrgenommen hatte.
Meine Begleiter waren beide hochgewachsen, blond und breitschultrig. Und doch unterschieden sie sich voneinander: Gunnar war muskulös, es wirkten die Muskeln an Armen und Beinen wie Berge in einer Landschaft. Alles an ihm wirkte groß. So hatte er grob aussehende Hände und auch der Hals war breit gebaut wie der eines Bullen. Seine Augen waren braun und die Haare schulterlang. Sein Gesicht zeigte tief eingegrabene Falten, die wohl aus traurigen Zeiten rühren mochten, und wirkte dadurch wie verhärmt. Zwar war er stets missgestimmt und verpasste keinen Augenblick, den er zu beschimpfen vermochte und für alles gab es Grund zu grummeln, doch war er ein herzensguter, ehrlicher Mensch, was er jedoch wahrlich zu verstecken wusste. Stets trug er seinen ledernen braunen Mantel, den ihm einst, so erzählte er mir, sein Großvater, Schwertführer von König Ademar aus dem Frankenland, vermacht hatte.
Linhardt war ebenfalls breitschultrig und voller Muskeln, doch waren diese nicht so auffallend, sie waren eher schmal und lang gezogen. Es hatte auf mich schon immer den Eindruck, dass das, was Gunnar an Kraft, Linhardt an Ausdauer hatte. Vielleicht war dies auch der Grund ihrer Bruderschaft im Kampfe und der innigen Freundschaft, die sie verband. Auch war Linhardt nicht ganz so groß wie Gunnar, doch überragte auch er die meisten Männer seines Alters. Seine hellen blonden Haare waren, seit ich ihn kannte, stets kurzgeschoren. Er war empfindsam, trotz seiner Erfahrungen im Kriegsgetümmel, und hatte jederzeit für jeden ein gutes, tröstendes Wort. Aber das einprägsamste an ihm waren seine Augen. Sie waren von einem so intensiven Blau, dass die Maiden sich in Scharen zu seinen Füßen warfen, nur um seine Aufmerksamkeit zu erlangen.
Sie waren mir wie Brüder, mit ihnen wuchs ich auf, mit ihnen erlebte ich gute und schlimme Tage. Und der schlimmste von allen fiel mir nun wieder ein:
Umgeben von drei Männern und mit ihnen aufwachsend, den Rittern Gunnar und Linhardt sowie dem Prinzen Johann, fühlte ich mich eine kurze Zeit mutig genug, ihnen zu zeigen, dass ich ihnen ebenbürtig sei. Es war einer der Tage, an denen der Prinz und ich am Flusse Ritter spielten, während, so nenne ich sie heute, meine großen Brüder im Schatten eines Baumes saßen und träge unser Spiel verfolgten. Doch dann lief ich übermütig zu ihnen hin, ergriff Gunnars Schwert und zog es, schwer wie es war, eilends zum Fluss. Dort erhob ich es mit aller Kraft, die ich besaß, und rief: „Ergebt Euch, König Johann von Germania!“ Der Prinz lachte ob meines Einfallsreichtums und erhob seinesfalls das Schwert - ein großer Ast, der neben ihm im Wasser trieb -, doch schon waren Linhardt und Gunnar heran. Linhardt entwand dem Prinzen geschickt und schnell den Ast, während Gunnar mich packte, mit hochrotem Gesicht und wutentbrannten Augen, mir das Schwert ohne größeren Kraftaufwand entzog und es auf die Erde warf. Dann legte er mich übers Knie und schimpfte: „Wenn Ihr Euch wie ein Mann benehmt, so wird Euch auch dessen Strafe zuteil!“ Und dann versohlte er mir den Hintern, während Prinz Johann und Linhardt entsetzt zusahen, unfähig einer Tat oder eines Wortes.
Nie war ich froher, eine Frau zu sein, denn durch all den Stoff der Kleider spürte ich seine Schläge kaum.
Doch das schlimmste an diesem Tag war die Erkenntnis, dass es Gunnar tiefer traf denn mich. Ich fand Gunnar nur kurze Zeit später, während ich schamerfüllt mein Heil in der Einsamkeit der Büsche am Flusse suchte, hinter einem stämmigen Baum sitzend, das Gesicht in den Händen vergraben. Vorsichtig und leise näherte ich mich ihm und flüsterte: „Was ist Euch, Herr Gunnar?“ Er hob sehr, sehr langsam seinen Kopf, deutlich sah ich seine feuchten Augen, die er durch ein flüchtiges Wischen mit dem Handrücken zu verstecken suchte, und sprach mit ungewohnt tiefer und fast bebender Stimme: „Bitte tut so etwas nie wieder. Lasst mich nie wieder die Hand gegen Euch erheben müssen!“ Dann erhob er sich und ging schweren Schrittes von dannen. Ich wisperte, wohl ungehört, aber voller Ernsthaftigkeit: „Ich verspreche es!“ Doch nie vergesse ich diesen Blick und nie die Tage danach, in denen er mich weder ansah noch ansprach. Mein lieber, trauriger, brummiger Gunnar!
Und mit diesen des Krieges erfahrenen, mir wohlvertrauten Herren und voller Selbstvertrauen sollte ich nun mein Glück wagen. Werden sie mir wohlgesonnen sein, selbst, wenn ich mich mal wieder in eine scheinbar ausweglose Situation begebe? Selbst, wenn ich unverrichteter Dinge zurück nach Alemannien ziehen muss, weil ich meine Freundin nicht zu finden vermag? Zweifel und Ängste fanden einen kleinen Platz in meinem Kopfe und doch wollte – nein! musste! – ich in das ferne Morgenland. Ich konnte gar nicht anders als dem Ruf Mayjidahs zu folgen und zu versuchen, sie zu finden. Komme, was da wolle!
So kam der Tag unseres Aufbruchs. Um meinen Hals trug ich eine Tasche mit den Dingen, die mir das Wichtigste waren: eine Haarsträhne der Mutter, die Noten des orientalischen Tanzes und das unglaublich große Tuch, das Geschenk Mayjidahs, dieser wunderschöne grüne Schleier.
Möge deine Seele in deinem Körper ruhen und du stets deine Mitte wissen. Möge der eine und wahrhaftige Gott dir stets ein Licht in der Dunkelheit weisen und mögest du gesegnet sein mit Geduld, auf dass auf deiner Reise durch diese Erzählung weitere Geschichten folgen und dein Gemüt erfreuen sollen.
Es küsst voll Freude Deine alte Freundin,
deren Hand, durch himmlische Mächte gelenkt,
dir diese Zeilen schenkt.
Ich.
Unannehmlich war die Reise, lang und voller Gefahren.
Es hieß widrige Wetterverhältnisse zu überstehen und man lief ständig Gefahr, von Räubern beraubt oder von Landesherren angehalten und um Geleit- und Wegegeld erleichtert zu werden. Übernachtungen waren oftmals kein Vergnügen, denn auf dem Land gab es nur wenige Herbergen und auch die Gasthäuser in den Städten ließen zuweilen einfachsten Komfort und Sauberkeit vermissen. Selbst die Strecke, die sie mit dem Schiff zurücklegten, war nicht einfach.
Doch Ilanah und ihre Ritter trotzten den Bedrängnissen und im Laufe der Tage, Wochen und Monate entwickelte sich eine neu intensivierte Freundschaft zwischen den Rittern und ihr. Dennoch: nie vergaßen Linhardt und Gunnar den Standesunterschied. Denn obwohl Ilanah nur ein Bastard des Königs war, war sie dem Prinzen doch stets eine Schwester gewesen und somit ehrenvoll zu behandeln.
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