Ihre Hände formten Blumen, während die Arme sich zur Seite oder nach oben bewegten. Und als sei dies noch nicht genug, wurde die Hüfte kreisend bewegt und die Füße nahmen den Takt der Musik auf! Schwierig, ungewohnt, ja geradezu unmöglich erschien es mir, diese Kombinationen verschiedener, gleichzeitiger Bewegungen zu erlernen. Doch Mayjidah versicherte mir, dass ich schnell verstehen würde und wenn ich diese Übungen oftmals wiederholte, könnte ich sehr bald schon diese Art des Tanzes in seinen Grundlagen beherrschen.
Sie zeigte mir, auf welch vielfältige Art die Hüfte sich bewegen ließ: kreisend, im Takt zu den Seiten wippend, sogar hoch und runter wusste Mayjidah mich zu lehren. Sie erklärte mir die Bewegungen der Arme und welch Posen die Hände einzunehmen wussten, zeigte mir Schritte, die die Hüfte erzittern und die Münzen am Hüfttuch erklingen ließen. Sie erklärte mir, dass dieses „Zittern“ Shimmy genannt würde und dass dies das wahre Können einer Tänzerin zeige.
So lernte ich ein wenig des orientalischen Tanzes, während ich ihr die Schritte unserer Tänze beibrachte, die Formen und Wechsel der Tanzpartner erläuterte und mich an ihrem Interesse erfreute. Wir hatten gespaßt und geträumt, uns vorgestellt, wie es wäre, gemeinsam tanzend durch die Welt und die Länder zu ziehen – so, wie sie es mit ihrer Gruppe in ihrem Land zu tun pflegte. Und wir überlegten, wie wir uns gemeinsam dann nennen würden.
Zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch nichts von arabischen Namen: weder von der Bedeutung des Namens der wunderschönen Tänzerin, noch von der meines eigenen, deutschen Namens. Aber sie erklärte mir schon bald, dass jeder muselmanische Name eine Bedeutung habe und dass Mayjidah „Stolze Frau“ bedeute – oh, wie passend war ihr Name, denn sie tanzte wahrlich stolz und erhaben. Dann fragte sie nach meinem, von dem ich annahm, er habe keinerlei Bedeutung. Doch konnte sie schon bald aus dem deutschen Namen Gerlinde meinen wahren Namen ableiten. „Liebste Freundin“, sprach sie, „ich weiß nun, welche Bedeutung Euer Name hat. Euer arabischer Name lautet Ilanah! Baum! Denn Ihr seid fest verwurzelt mit der Erde, Ihr spürt sie und lebt nach dem Wesen der Natur. Ihr seid das Leben selbst“. Und dann gab sie mir einen Kuss auf die Stirn.
- Welch sonderbare Geste!
Ilanah! Dies also war mein Name und ich trug ihn schon seit Anbeginn der Zeiten, in allen Leben und allen Sprachen, ebenso wie ich Mayjidah schon seit ewigen Leben kannte. Und dann fanden wir einen Namen für unser Traumleben als gemeinsam durch die Welt ziehende Tänzerinnen: Maylana – der Zusammenschluss von Mayjidah und Ilanah.
So haben wir nun auch in diesem Leben einander wiedergefunden!
Jede freie Minute verbrachten wir zwei zusammen – sicher, es war nicht viel Freizeit, die ich, Ilanah (so nannte Mayjidah mich fortan und ich begann schon bald, mich selbst ebenso zu nennen), aufbringen konnte, dennoch senkte allein der Gedanke an die abendlichen Treffen den arbeitsreichen Tag auf ein erträgliches Maß.
An einem der ersten Tage fragte Mayjidah mich: „Sagt mir, Ilanah, warum Ihr so schnell zu lernen versteht. Ich habe schon so manche Frau gesehen, die zu lernen wünschte, wie ich tanze. Doch nie fand ich eine verständigere Frau als Euch“.
„Vielleicht liegt es daran“, antwortete ich, „dass ich mich schon von klein auf dem Tanze, den Klängen der Musik sowie farbenprächtigen Kostümen hingezogen fühle. Und schon seit langem widme ich mich dem Tanz mit Hingabe und Begeisterung. Besonders anziehend finde ich dabei seine Vielfältigkeit. Ich liebe es aber auch, auszuprobieren und fantasievolle Geschichten zu erdenken“.
Mayjidah lachte und sprach: „Dann sind wir wohl wahrlich nicht weit voneinander entfernt, denn auch mich fasziniert die Fülle der verschiedenen Tanzarten und auch ich fühle mich zu Euren Reigen hingezogen. Allerdings finde ich die alemannischen Volkstänze nicht so aufregend wie die unseren. Die Euren erscheinen steif und wenig abwechslungsreich, wohingegen die orientalischen Tänze Bewegungen zulassen, bei denen sich eine Frau fühlt wie eine Göttin“. Ihr Blick ging in die Ferne, als sie weitersprach: „Die Bauchwelle, die durch den Körper rollt, als hätte man keine Wirbelsäule. Arme, die sich wie Lianen im Wasser schlängeln und Hüften, die ausschlagen wie der Pendel einer Uhr. Es gibt so vieles, liebste Ilanah, was Ihr bei uns lernen könntet und ich weiß mit Sicherheit zu sagen, dass es Euch gefallen würde“.
Und noch an diesem Tag ergaben wir uns, tief verbunden in der Liebe zum Tanz, der vertraulichen, freundschaftlichen Anrede, dem „Du“.
Welche Abenteuer sie erleben? Ob sie auch in diesem Leben auf alte Freunde oder Feinde treffen? Ob das Wort Feind überhaupt zutreffend ist? Ob Liebe und Hass dicht beieinander liegen? Ob Maylana auch heute noch tanzt?
Was immer deine Frage ist: heute Nacht musst du ohne Antwort schlafen! Doch richte deine Fragen gen Mekka und verschenke ein paar Tropfen deines nächsten Glases Perlwein an die Götter über, neben und unter dir, sage dank den Freundinnen, die du hast und ehrlich liebst und dann wirst du bald den Rest der Geschichte hören dürfen!
Möge Allah mit dir sein, dir schöne Träume und ein langes Leben bescheren. Mögest du immer wissen, wer Freund und wer Feind ist und mögest du auch weiterhin die Sonne im Leben von Ilanah sein.
Es grüßt mit tausend und einem Kuss
die Andere
Während dieser gemeinsamen Zeit brachte Mayjidah Ilanah das Geheimnis bei, wie sich Teile des Körpers unabhängig von anderen Teilen und zum Teil sogar vollkommen gegensätzlich bewegen ließen. Sie zeigte ihr, wie sie sich wie eine Schlange bewegen konnte: Die Arme allein bewegten sich schließlich, dass es den Anschein hatte, Ilanah habe eine Schlange um die Arme gewickelt. Auch der gesamte Körper ließ sich so bewegen, als sei Ilanah selbst eine Schlange von unermesslicher Größe, die sich, hoch aufgerichtet, zur Melodie eines Liedes wiegt.
Sie lernte Handbewegungen, die aufblühenden Blumen ähnelten, konnte schließlich sogar kleine Wellen allein mit den Händen nachahmen und lachte schließlich herzlich, als Mayjidah ihr vorführte, wie ein Kamel laufe. Ein Kamel - dieses Tier kannte sie aus einem bebilderten Buch: ein großes Pferd mit hellem Fell und zwei riesigen Buckeln mitten auf dem Rücken. Wie gern würde sie einmal ein solches Tier erleben und prüfen, ob Mayjidah sich hier nicht nur einen großen Spaß mit ihr erlaubte.
Letztlich brachte Mayjidah ihr Bewegungen für einen vollständigen Tanz bei. „Wir nennen diese feste Folge von Schritten Choreografie. Es ist wie bei euren Tänzen: der Sinn darin ist, dass alle Frauen gemeinsam denselben Tanz gleichzeitig vorführen können. Denn eigentlich tanzt bei uns jede Frau für sich selbst, bringt sich selbst in der Musik zum Ausdruck. Und da keine Frau der anderen gleicht, bewegt sich auch jede unterschiedlich“ erklärte Mayjidah - und schenkte Ilanah ein großes, fast durchsichtiges Tuch, welches von nahezu unzähligen Grüntönen durchsetzt war. Mayjidah nannte es Schleier – obgleich für Ilanah ein Schleier etwas gänzlich anderes war - und erklärte: „Ich habe diesen Schleier sehr sorgsam und nur für dich ausgesucht. Er soll dich immer an mich erinnern, denn wir müssen bald schon wieder abreisen“.
Nur über die Benutzung dieses Tuches, darüber erzählte Mayjidah nichts und so ging Ilanah davon aus, dass es ein Tuch wie jedes andere war – nur um ein Vielfaches schöner -, geschaffen, sich die Schultern warm zu halten, sich zu schmücken und auch mal Haupt und Gesicht bedecken zu können, wenn es gar zu stark regnen sollte. Erst sehr viel später sollte sie an diesem Tuch noch ihre wahre Freude haben…
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