"Scheiße!", sagte Tessa und zündete sich eine Zigarette an.
"Ich auch", sagte ich und streckte die Hände nach ihrer Zigarette aus. "Und Wein will ich auch noch!" Tessa schnippste mir ihre Zigarettenschachtel herüber, und während ich mir eine anzündete, ging sie zum Kühlschrank, holte die Flasche heraus, die schon wieder fast leer war, und schenkte uns nach.
"Zimmertemperatur", sagte sie grinsend.
"Danke! Also. Cécile hat also ganz viel geheult die erste Zeit, ich war auch meistens schlecht drauf, wegen Daniel und so, Trennung, hu hu hu, alles so voll schlimm undsoweiter. Und da haben wir uns dann immer gegenseitig so ein bisschen getröstet, Ah, scheiß Männer und so. Und ab da hatten wir dann eine ganz tolle Reise zusammen. Bis zu dem Tag meines Rückflugs Anfang Dezember sind wir die ganze Zeit zusammengeblieben. Wir haben uns immer super verstanden, haben ganz viel gesehen, ganz viel gefeiert. Ich hab echt noch nie so viel getrunken wie zu der Zeit. Allerdings nichts im Vergleich zu Cécile, diese kleine Französin konnte echt saufen wie keine. Also wir ließen es jedenfalls meistens schon ziemlich krachen."
"Mit andern Worten, es wurde dann insgesamt doch noch eine ganz schöne Reise. Trotz der ganzen Scheiße zu Anfang."
"Ja. Klar. Es war wunderbar." Und das war wirklich nicht übertrieben. Und ich fing an, Tessa haarklein meine thailändischen Reiseerlebnisse zu schildern.
"Und wart ihr dann überhaupt noch in Vietnam?", fragte Tessa irgendwann, als sie gerade eine neue Flasche Wein aufmachte. "Oder seid ihr die ganze Zeit nur in Thailand geblieben?"
"Ja nee, klar. Klar waren wir in Vietnam. Also erst sind wir rüber nach Laos, so wie ich es ja auch ursprünglich geplant hatte, und für Cécile war das okay, sie hatte ja irgendwie endlos Zeit, und haben uns dann da ein bisschen umgetan. Von da hatte ich dir doch auch noch die Karte geschrieben. Aus Vang Vieng."
"Keine Karte!" Tessa machte ein gespielt-betrübtes Gesicht.
"Scheiße, echt nicht?"
"Keine Karte."
"Mist! Dafür hatte ich mir echt noch einen halben Tag lang die Hacken abgelaufen, nur um Briefmarken zu kriegen. Naja, in Vang Vieng jedenfalls haben wir dann die beiden Australier kennengelernt, Brian und Andrew, beide so Typ braungebrannter Surfer und total nett."
"Ding-dong", machte Tessa und fing an zu lachen.
"Was ding-dong?", fragte ich unschuldig und musste auch schon lachen, klar, weil ich natürlich wusste, was sie meinte.
"Ding-dong heißt, dass wir jetzt endlich zum interessanten Teil kommen", meinte Tessa breit grinsend.
"Ja, danke schön!" Ich tat ein bisschen eingeschnappt, konnte aber natürlich auch nicht ganz ernst bleiben. "Ich erzähl hier gerade die ganze Zeit hochinteressant vom Mysterium Südostasiens, und du bist bloß neugierig auf Sex-Geschichten."
"Ach Süße, du weißt doch, wie ich das meine", sagte Tessa lachend. Und auf'ne Art hatte sie natürlich auch recht. Jetzt kam tatsächlich der wirklich aufregende Teil meiner kleinen Weltreise.
"Die beiden Jungs waren aus Perth, Western Australia. Beide so mein Alter. Und sie waren tatsächlich Surfer. Also jetzt zwar nicht profimäßig, aber praktisch. Wie auch immer, jedenfalls kam ich dann kurz darauf oder eigentlich fast sofort mit Brian zusammen."
"Ding. Dong", meinte Tessa lachend, und ich musste dann auch lachen.
"Ja, jetzt wirklich ding dong. Weil das war nämlich wirklich echt total atemberaubend, wie das abging mit ihm. Sowas hab ich vorher echt noch nicht erlebt. Und ich mein jetzt nicht bloß sexuell, also das natürlich auch, sondern vor allem auch gefühlsmäßig."
" Wow! "
"Also ich war wirklich völlig hin und weg, ganz richtig doll verliebt. Total high ."
" Wow! "
"Und zwar von jetzt auf gleich!"
" Wow! "
"Und das hielt dann auch an, also auf dem Level, die ganze Zeit eigentlich, wo ich mit ihm zusammen war. Auch wenn mir auf'ne Art natürlich schon die ganze Zeit über klar war, dass das nur was für jetzt war, also nur eine Beziehung auf Zeit."
"Klar."
"Also solange wie wir zusammen unterwegs waren."
"Klar. Sowas lässt sich ja in der Regel nicht importieren, also meistens jedenfalls nicht, in den Alltag."
"Nee. Wahrscheinlich nicht. Leider."
Tessa zündete sich eine Zigarette an, schob mir die Packung rüber, und ich nahm mir auch noch eine.
"Naja, wie gesagt, wir waren dann zu viert unterwegs, und die nächsten acht Wochen waren wir dann immer so die Gang of Four: Cécile, Andrew, Brian und ich. Wir sind rüber nach Vietnam. Und da haben wir dann fast das ganze Land bereist, mit dem Zug, mit Bussen, mit Fahrrädern teilweise."
"Ah Vietnam ist echt soo schön ", sagte Tessa schwärmerisch. Und wir schwärmten uns beide gegenseitig noch ein bisschen was vor.
"Ach, ich beneide dich echt", sagte Tessa. "Total! So eine geile Reise!"
" Du beneidest mich?! Ja super! Ich mein, wer ist denn fast das ganze Jahr auf Weltreise?" Tessa grinste verschmitzt.
"Und was ist jetzt?", fragte sie dann. "Also mit deinem Surferboy-Liebhaber? Ist das jetzt vorbei oder läuft da noch was?"
"Keine Ahnung. Also echt nicht. Keine Ahnung. Erstmal ist natürlich Ende, logisch, jetzt allein schon wegen der räumlichen Entfernung. Aber trotzdem… Wir schreiben uns, seit ich wieder hier bin. Jeden Tag eigentlich. Und das ist irgendwie schon so… Wie soll ich sagen?"
"Scheiße."
"Nee, das ist eher so so… so ein Gefühl. So ein Gefühl wie dass da noch was ist. Also dass das noch nicht zu Ende ist. Obwohl mir ja wie gesagt die ganze Zeit eigentlich klar war, dass das nur ein Urlaubsflirt ist in Anführungszeichen. Aber jetzt der Abschied zum Beispiel fiel mir echt wahnsinnig schwer. Uns beiden, denke ich. Also Brian hatte mich noch zum Flughafen gebracht, und wir haben beide dann dagesessen und echt nur noch geheult. Echt so total geheult, wie die Schlosshunde. Und als ich dann endlich im Flieger saß und mich im Spiegel anguckte, sah ich echt so aus, als wäre ich verprügelt worden, weil mein Make-up so völlig verschmiert war vom Heulen. Und ich die ganze Zeit während des Fluges dann irgendwie immer nur so dachte, Scheiße Lena, was machst du hier eigentlich? Wieso sitzt du in diesem Flugzeug? Warum bist du nicht einfach dageblieben?"
"Oh, das kenn ich", meinte Tessa, "das kenn ich echt nur zu gut! Also nicht bloß wegen einem Typen jetzt, sondern überhaupt. Also dass ich am Ende einer Reise ganz oft denke so: Scheiße, wieso bleibst du nicht einfach hier?"
"Ja, genau. So ging's mir eben auch. Und das mit Brian kam dann eben da noch so obendrauf."
"Aber warum hast du dann nicht einfach verlängert? Oder dich ausgeklinkt?"
"Naja, einmal wegen Jobsuche natürlich."
"Wenigstens für ein paar Monate?"
"Bewerbungen. Weil ich ja eigentlich gern schon jetzt ab Januar angefangen hätte zu arbeiten. Und ich zum andern natürlich auch gern Weihnachten bei meiner Familie sein wollte."
"Hm!", machte Tessa.
"Aber ich habe wirklich schon echt heftigst mit mir gekämpft deswegen, das kannst du mir glauben. Obwohl ich zu Brian jetzt vielleicht auch nicht sagen würde, du bist der Mann meiner Träume."
Und genau da, genau in diesem Moment, kam Chris in die Küche. Er stand ganz plötzlich in der Tür, sagte "Guten Abend, meine Damen" und lächelte mich dabei voll an. Und das war echt nur so whoosh!
Später, also als wir schon ein paar Monate zusammen waren, hatte Chris irgendwann mal zu mir gemeint: "Das waren die allerersten Worte, die ich von dir gehört habe, Prinzessin. Du bist der Mann meiner Träume. Und das war gleich so eine ziemlich schöne Vorstellung, also dieser Gedanke, du könntest vielleicht mich damit gemeint haben."
"Und deswegen hast du mich dann ja auch gleich so volle Kanne angebaggert", meinte ich, und er grinste dann nur so schelmisch und meinte: "Vielleicht."
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