Das Heiraten-Kinder-Projekt hatte ich zwischenzeitlich auch lange aus den Augen verloren. Bis zu dem Moment, als ich Chris traf. Er war zwar kein Feuerwehrmann, aber Chris war der erste Mann, bei dem ich dieses ganz bestimmte Gefühl hatte: Der ist es! Wo für mich einfach klar war, er ist der Mann, den ich heiraten will. Und Kinder haben natürlich, klar. Das auch.
Im Nachhinein würde ich immer sagen, dass es schon von Anfang an so war. Aber das wäre wahrscheinlich auch eine Verklärung der Vergangenheit, weil tatsächlich hat es schon ein paar Monate gedauert, ehe ich das so ganz richtig realisiert habe. Und das war dann in Paris, und insofern waren unsere vier gemeinsamen Tage in Paris damals auch so total wichtig. Wichtig für uns, wichtig für unsere Beziehung. Der Ort und die Stunde, wo alles begann. J'aime Paris au mois de mai, das allein klingt doch schon nach totalem Zauber. Es war mein 29. Geburtstag, und ich war in Paris mit dem Mann, in den ich bis über beide Ohren verliebt war. Und da wusste ich es plötzlich einfach: Das ist der Mann, mit dem ich den Rest meines Lebens verbringen will. Die große Liebe meines Lebens. My one and only. Chris.
Paris war der entscheidende Wendepunkt für unsere Beziehung, das schon, aber Paris war nicht der Anfang unserer Geschichte. Kennengelernt hatten wir uns schon knapp fünf Monate früher. Chris war kurz vorher nach Hamburg gezogen und der neue Mitbewohner meiner Freundin Tessa. Und ich war an dem Wochenende in Hamburg, weil ich eine Wohnung suchte oder zumindest ein WG-Zimmer, ich hatte ja ab Februar meine erste Stelle in der Klinik, hatte also praktisch gerade noch knapp vier Wochen Zeit, um meinen Wechsel von Kiel nach Hamburg auf die Reihe zu kriegen, inklusive Wohnungssuche und Umzug.
Ich hatte ehrlich gesagt ursprünglich natürlich darauf spekuliert, dass ich erstmal bei Tessa einziehen kann, bis ich was gefunden hatte. Oder vielleicht sogar auf Dauer mit ihr zusammenwohnen kann. Aber dann war eben keine sechs Wochen vorher dieser Typ bei ihr eingezogen, mit einem Untermietvertrag für zunächst ein halbes Jahr. Und damit war unser Zusammenleben natürlich keine Option mehr.
"Ach ist das blöd!" Ich war echt ziemlich genervt. "Ich mein, das wär doch supergeil gewesen, wenn wir beide wieder zusammenwohnen würden."
"Ja, das wäre allerdings supergeil gewesen", sagte Tessa. "Aber das konnte ja kein Mensch wissen, dass unsere kleine Lena nun ausgerechnet nach Hamburg kommen würde."
"Hm! Auch wieder wahr", sagte ich, so leicht missmutig. Ein halbes Jahr vorher hatte ich meine Zukunft noch mit Daniel geplant. Aber das war ja inzwischen Geschichte.
Ich kannte Tessa schon ewig, schon aus Marburg, wo wir zusammen Philosophie studiert und in einer WG gewohnt hatten, bevor ich dann zur Medizin und nach Kiel gewechselt war. Tessa war inzwischen eine richtige Hardcore-Travellerin geworden und mindestens sechs Monate im Jahr unterwegs. Sie hatte sogar ihre Assi-Stelle an der Uni geschmissen, um mehr Zeit zum Reisen zu haben, und seitdem jobbte sie nur noch, um das Geld zusammenzukriegen, das sie brauchte, um wieder auf Reisen gehen zu können. Deswegen ja auch die Untervermietungen, damit sie ihre fixen Kosten niedrig halten konnte.
"Und? Was ist das für einer, dein neuer Mitbewohner?", erkundigte ich mich, immer noch so leicht genervt.
"Irgendwie so ein Computer-Nerd", meinte Tessa, und wir verdrehten beide gleichzeitig die Augen.
"Scheiße!", sagte ich lachend, und Tessa musste auch lachen, natürlich.
"Aber es ist ganz okay mit ihm."
"Was heißt okay?", fragte ich. "Geht so okay oder okay okay?"
"Okay okay", meinte Tessa, "oder eigentlich sogar sehr okay, wir kommen echt gut miteinander klar."
"Aha! Und? Hast du schon was mit ihm?", fragte ich streng, weil wer Tessa kannte wusste, bei ihr konnte man nie wissen.
"Um gotteswillen, nein!" Tessa lachte. "Er ist wirklich überhaupt nicht mein Typ. Er ist total nett, echt so total angenehm, als Mitbewohner jetzt, aber ansonsten ist er wirklich überhaupt gar nicht mein Typ."
"Und sieht er denn wenigstens gut aus?"
"Nö!" sagte Tessa, und das kam echt so wie aus der Pistole geschossen, wir mussten uns beide erstmal ein bisschen wegkugeln vor Lachen.
"Was heißt schon gut aussehen?" Tessa konnte kaum sprechen, weil wir beide so rumgackerten, dass sie kaum Luft kriegte. "Er sieht halt irgendwie aus. Einfach so, so mittel eben."
"Doofer nerdiger Nerd", meinte ich schmollend und machte ein bisschen auf eingeschnappt, was allerdings ehrlich gesagt auch nur halb gespielt war, weil ich war natürlich schon ein bisschen gefrustet, dass nun ausgerechnet dieser dämliche Nerd mir mein Zimmer so knapp vor der Nase weggeschnappt hatte.
Aber da kannte ich Chris ja auch noch nicht. Im Nachhinein fand ich es natürlich supergut, dass nun ausgerechnet er bei Tessa eingezogen war, weil wir uns sonst ja wahrscheinlich nie im Leben begegnet wären. Und so passierte es dann eben gleich noch am selben Abend. Unsere erste Begegnung!
Tessa und ich hatten zusammen gekocht, schön gegessen, und danach saßen wir noch in der Küche am unabgeräumten Tisch, tranken Rotwein, rauchten und quatschten. Tessa quetschte mich über meine Südostasienreise aus, und ich ließ mich bereitwillig von ihr ausquetschen, schließlich war diese Reise mein großes Abenteuer, meine kleine Weltreise , die mir meine Eltern zum Hammerexamen geschenkt hatten. Fünf Monate Thailand, Laos und Vietnam, zusammen mit Lexa, unserer ehemaligen Mitbewohnerin und gemeinsamen Freundin aus Marburg.
"Wie lange seid ihr denn jetzt eigentlich schon wieder zurück?", fragte Tessa.
"Seit ungefähr vier Wochen. Also ich, seit vier Wochen. Weil Lexa ist ja immer noch unten. Sie ist gerade in Indien, soweit ich weiß."
"Echt? Hat sie da ihren Guru gefunden oder was?"
"Nee, nee nee! Also keine Ahnung, ich glaub nicht. Wir hatten uns ja schon gleich zu Anfang getrennt."
"Nein!"
"Doch! Weil Lexa sich dann..."
"Und ich dachte, ihr wart die ganze Zeit zusammen unterwegs."
"Ja nee, das war der Plan, aber dann kam eben einfach alles ganz anders."
"Weil ihr euch verzankt habt."
"Nee, gar nicht. Also nicht wirklich, es war nur so, dass Lexa… Ach, die ersten zwei drei Wochen waren schon der absolute Horror. Alptraumartig! Das ging eben wie gesagt schon damit los, dass ich, kaum dass wir in Bangkok waren, diese Mail von Daniel kriegte, dass er Schluss macht."
"So ein Arsch! Per Mail!"
"Das kannste laut sagen."
"So ein Arsch!", sagte Tessa laut.
"Naja, das war natürlich schon mal das erste! Und da'ann, 14 Tage später, auf Koh Lanta, ging mir dann auch noch meine Reisegefährtin verloren."
"Nein!"
"Weil Lexa hatte sich unsterblich verliebt und wollte lieber mit Pierre weiterreisen." Ich verpasste den Wörtern unsterblich und Pierre jeweils Anführungszeichen mit meinen Zeigefingern.
"Wer hätte das gedacht", stellte Tessa trocken fest.
"Ja, genau. Wer hätte das gedacht."
"Wahrscheinlich jeder", grinste Tessa. "Ich mein, wir kennen doch Lexa."
"Also Pierre, Pierre war zwar Franzose, aber ansonsten genau so ein Arsch wie Daniel. Nur dass er eben nicht per Mail Schluss gemacht hat, sondern ganz klassisch. Er ließ seine Freundin einfach so mir nichts, dir nichts sitzen, mitten in Thailand, und fuhr mit Lexa weiter."
" Ça arrive ", meinte Tessa. " Shit happens. "
"Und so lernte ich Cécile kennen, Pierres Freundin. Oder seine Ex dann ja eigentlich. Wir standen beide mit einem Mal ganz allein da, und da haben wir uns dann einfach zusammengetan und sind ab da dann zusammen weitergereist. Cécile ging es die ersten paar Tagen natürlich noch ziemlich schlecht, also wegen Pierre und der krassen Trennung undsoweiter. Weil die beiden waren eigentlich auf dem Weg nach Tahiti, wo sie in einem Meeresforschungsprojekt arbeiten wollten, Cécile ist Ozeanographin, und das stand dann natürlich alles erstmal auf dem Spiel."
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