»Ich wollte doch einen Zwilling machen.«
»Und den Felix, den nehme ich mir gehörig vor!«
Tiefbetrübt nahm Bärbel die zerstörte Puppe und trug sie wieder hinaus. Sie wollte sich später von Felix einen guten Rat holen, der würde sicherlich Bescheid wissen.
Gegen Mittag holte man sie wieder hinauf, sie sollte sich die Brüderchen nochmals ansehen. Aber auch jetzt war das kleine Mädchen arg enttäuscht, denn die beiden Säuglinge schrien aus Leibeskräften, waren krebsrot im Gesicht und hatten die kleinen Händchen zu Fäusten geballt.
»Nun, – was sagst du jetzt zu deinen Brüderchen?« fragte der Vater strahlend.
»Ein eigensinniges Biest«, sagte Bärbel, denn die Redensart, die Felix so oft brauchte, gefiel ihr gar zu gut.
»Pfui!« sagte die Mutter entrüstet.
»Und immerfort schreien, – pfui, das ist unartig!«
»Du wirst die beiden schon lieb bekommen, Goldköpfchen.«
»Nein, – das werde ich nicht«, entschied das Kind und eilte wieder zur Tür hinaus.
Wenige Tage später gab er eine neue Aufregung im Hause des Apothekenbesitzers. Da die fürsorgliche Aufsicht der Mutter fehlte, hatte sich Bärbel in Hof und Garten stark erkältet. Der Onkel Doktor wurde gerufen, der das fieberheiße Köpfchen befühlte und freundlich zu dem kleinen Mädchen sagte:
»Da bleibt uns nun nichts anderes übrig, Goldköpfchen, du mußt eine Woche lang ins Bett hinein.«
Ein glückliches Leuchten brach aus den Augen des Kindes. »Onkel Doktor«, stammelte Bärbel, »jetzt kriegt Bärbel doch noch einen Zwilling, denn jetzt muß ich ins Wochenbett!«
Frohgemut ließ sich Bärbel auskleiden, frohgemut legte es sich nieder und dachte an die glückliche Zukunft, die es mit Zwillingen beschenken würde.
Im Hause des Apothekenbesitzers Wagner war man voller Sorgen. Das Befinden der jungen Mutter hatte sich verschlechtert, und Wagner hatte auf Anraten des Hausarztes einen Professor herangezogen, der anfangs zwar recht besorgt war, aber schon am dritten Tage erklärte, daß sich Frau Wagner auf dem Wege der Besserung befände.
Da auch Bärbel von leichtem Fieber heimgesucht worden war, wußte sich Wagner keinen anderen Rat, als an die Mutter seiner Frau zu schreiben und Frau Lindberg zu bitten, nach Dillstadt zu kommen, um dort ein wenig nach dem Rechten zu sehen.
So hatte Frau Lindberg ihr Kommen telegraphisch für heute angezeigt, und nun war man in Erwartung des lieben Gastes.
Bärbel mußte freilich noch immer das Bett hüten, aber der Arzt meinte, daß sie schon in allernächster Zeit wieder aufstehen könne.
So saß Herr Wagner abwechselnd am Lager seiner Frau und seines Töchterchens. Er war eben dabei, Bärbel die frohe Kunde zu bringen, daß heute abend die Großmama einträfe, als ihm die Nachricht wurde, daß Joachim sich wieder einmal von einer Schlägerei mit seinem Freunde Emil ein blutiges Gesicht geholt hätte.
Er eilte zunächst zu dem Knaben, der sich bemühte, das Nasenbluten zu stillen. Sein Gesicht sah wenig erfreulich aus, es wies mehrere große Kratzwunden auf, der Ärmel seiner Jacke war fast vollkommen herausgerissen.
Nachdem das Nasenbluten gestillt war, mußte Joachim eine derbe Strafpredigt über sich ergehen lassen.
»Ich werde dir das Spielen mit Emil Peiske verbieten, wenn du nochmals in solchem Zustande heimkommst, mein Junge.«
»O-o-o-ch, das ist mein treuester Freund!«
»Ein schöner Freund, der dir das Gesicht zerkratzt und die Nase blutig schlägt.«
Das Gesicht des Knaben strahlte. »Dafür habe ich ihm das Auge dick und blau gehauen, Vater.«
»Pfui, schäme dich, Joachim! Deine Mutter liegt krank, und du machst ihr nette Sorgen. Was hast du denn mit Emil vorgehabt?«
»Wir haben nur sehr nett gespielt«, entgegnete der Knabe.
»Derartige Spiele haben in Zukunft zu unterbleiben!«
Die Unterredung wurde unterbrochen, Lina, das Hausmädchen, erschien und meldete, daß unten der Schuhmacher Halbe sei, der den Herrn Apotheker dringend zu sprechen wünsche.
In Joachims Antlitz stieg dunkles Rot. »Vater, du mußt nicht alles glauben, was dir die Leute erzählen. – Es war wirklich nur ein unglücklicher Zufall, daß das Glas an dem Stein hängenblieb.«
Wagner horchte auf und sah seinen Sohn ernst an. »Was hast du denn gemacht?«
»Ich habe mit Emil wunderschön gespielt. – Schlacht, große Schlacht, mit Granaten! Dann wurde der Emil frech, – wir können uns doch nicht alles gefallen lassen, Vater. Du hast doch stets gesagt, ein Mann muß Ehre im Leibe haben. – Wenn man dich einen Lümmel nennen würde, würdest du doch auch mit Steinen schmeißen?«
»Ich werde erst einmal mit Meister Halbe reden, dann erwarte ich dich in meinem Zimmer, mein Junge.«
»Ich habe meine Schulaufgaben noch nicht gemacht, Vater.«
»Dann mach’ sie jetzt, wir beide sprechen uns nachher wieder.«
Mit einem Seufzer entfernte sich Herr Wagner. Er kannte seinen wilden Joachim. Schon manche Beschwerden aus der Nachbarschaft waren über den Knaben eingelaufen, aber seine Strenge nützte wenig. Die Gattin des Apothekenbesitzers behandelte ihren ältesten Sohn mit liebevoller Nachsicht, sie wagte nicht, ihre ganze Energie ihm gegenüber zu entfalten, denn Joachim war ihr Stiefsohn. Der Apothekenbesitzer hatte seine erste Gattin schon nach kurzer Ehe verloren und hatte sich gezwungen gesehen, dem vierjährigen Joachim eine neue Mutter zu geben. Frau Wagner besaß ein liebevolles Herz und nahm sich des verwaisten Knaben mit rührender Liebe und Zärtlichkeit an. Sie war eifrig bemüht, ihm die gleiche Mutterliebe zu schenken, die Bärbel genoß, hütete sich aber vor größerer Strenge.
Schuhmacher Halbe, der unten in der Apotheke unruhig auf und ab ging, machte ein bitterböses Gesicht. Das ging nun doch zu weit, daß der Apothekerrange ihm einfach die Fensterscheiben einwarf und sich obendrein noch frech betrug. Schuld an allem hatte freilich der Emil Peiske, der seinen Spielgefährten stets zu tollen Streichen veranlaßte. Eine Fensterscheibe hatte man ihm eingeworfen, und als er darüber gescholten hatte, waren die beiden Bengel obendrein noch frech geworden; Peiske hatte sogar dem Meister die Zunge herausgestreckt und ihn schließlich mit Wasser zu begießen versucht. Das konnte er sich nicht gefallen lassen. Er wußte, daß Herr Wagner seinen Jungen streng hielt, nun mochte von dieser Seite das Strafgericht über den wilden Joachim hereinbrechen.
Für Herrn Wagner war dieser Bericht nichts Neues. Er hatte schon manche Fensterscheibe bezahlen müssen, und Joachim hatte so manche Tracht Prügel dafür erhalten. Die Angelegenheit würde sich heute in der gleichen Weise abwickeln. Hoffentlich sorgte die Großmutter dafür, daß der jetzt so wenig beaufsichtigte Joachim wieder in strengere Zucht kam.
Nachdem Joachim seine Strafe erhalten hatte, begab sich Herr Wagner zu seinem Töchterchen, das im Bett saß und mit einer Puppe spielte.
Erfreut streckte Bärbel dem Vater beide Arme entgegen: »Ist gut, daß du endlich kommst, Vati, Bärbel ist grenzenlos verlassen!«
»Na, na«, beschwichtigte er, »Lina ist doch sicher bei dir gewesen.«
»Nun ja, aber sie ist gleich wieder fortgegangen.«
Herr Wagner wies auf das Butterbrötchen, das noch unberührt auf dem Nachttischchen stand.
»Warum hast du denn nicht gegessen, Bärbel? Wenn du gesund werden willst, mußt du essen. Wenn du das Brötchen aufißt, wirst du so groß wie Vati.«
Wieder trat der nachdenkliche Zug auf das Gesicht des Kindes.
»Von dem kleinen Brötchen werde ich so groß wie du?«
»Von vielen Brötchen.«
»Weißt du, Vati, dann gib mir lieber viele Schinkenstullen, mit viel Schinken und Butter darauf, aber ohne Brot.«
»Jetzt iß dein Brötchen, dann mache ich dir eine große Freude.«
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