„Eine Fregatte?“, bezweifelte Master Colden. „So groß?“
„Ja, Sir! Und ich will keine Flasche Rum mehr anrühren, wenn’s nicht die ` König Jakob ´ gewesen ist. Schon einmal war die Fregatte hinter mir her. Drei Tage lang. Damals, als ich vor Jahren von Westindien heimwärts segelte.“
„Das könnte das Fahrzeug des Burschen sein, der als Kapitän Rappee bekannt ist“, sagte mein Vater.
In seiner Stimme lag ein merkwürdiger Klang, der mich veranlasste, ihn schärfer zu betrachten. Es war unverkennbar, dass er mit einer starken Erregung kämpfte. Aber seine Gesichtszüge strafften sich nur leicht. Keiner außer mir bemerkte es. Ich staunte umso mehr, als mein Vater eiserne Nerven besaß. Viele außergewöhnliche Abenteuer hatte er in jüngeren Jahren erlebt – jedoch nie zur See.
„Ja, Rappee…“, wiederholte Kapitän Farraday die letzten Worte meines Vaters. „Da können Sie recht haben, Master Ormerod. Seit Henry Morgan in der Hölle schmort, hat’s keinen hartgesotteneren Schurken mehr gegeben. Vor zehn Jahren hat er einen Maat von mir erwischt. Vor Jamaika. Der hat ihn leibhaftig gesehen. Ausgezeichnete Manieren soll der Kerl haben und piekfeine Kleider wie ’n Londoner Stutzer. Aber ein Halunke ist er trotzdem. Und ein Erzjakobit dazu wie kein zweiter. Das beweist schon der Name seines Schiffes.“
„Gewöhnlich soll er nicht allein segeln“, bemerkte mein Vater. „Stimmt das?“
„Ja, er arbeitet mit John Flint zusammen. Genauso ein Halunke, nur etwas ungehobelter. Flint segelt auf der `Walross´ , einem Schiff, wie unsereiner es sich sein Lebtag vergeblich wünscht. Es war damals auf Kurs von Plymouth nach Smyrna, als es ihm in die Hände fiel. Tja, Flint und Rappee – die zwei geben ein feines Gaunerpaar ab!“
Mein Vater nickte. „Man hört so allerlei…“
„Neulich haben sie erst vor Madeira das portugiesische Linienschiff in den Grund gebohrt“, brachte Kapitän Farraday zwischen den Zähnen hervor. „Aus reiner Zerstörungswut! Ja, wirklich! Sie haben genug Kanonen an Bord, um es mit ein paar königlichen Kriegsschiffen aufzunehmen. Aber sie lassen lieber die Finger davon. Portugiesen, Franzosen, Spanier oder arabische Seeräuber – ja, die überfallen sie. Aber mit den Matrosen Seiner Majestät von England wollen sie keine Kugeln wechseln.“
„Warum eigentlich nicht?“, unterbrach ihn Master Colden verwundert.
Fragend hob Kapitän Farraday die Schultern.
„Ich weiß auch nicht, warum. Feigheit ist’s bestimmt nicht. Vielleicht denken sie, wenn sie’s täten, dann würden die Mylords der britischen Admiralität doch aus ihrem Schlaf erwachen und ’ne Flotte strammer Fregatten gegen sie vom Stapel lassen. Wir armen Kauffahrer könnten dann endlich mal wieder aufatmen.“
Kapitän Farraday hielt inne, um Atem zu schöpfen. Diese Gelegenheit ergriff Gouverneur Clinton, um ihn lächelnd zu fragen:
„Kapitän Rappee haben Sie Ihren Verfolger genannt… Was ist das für ein Name?“
Der Handelskapitän zuckte die Achseln. „Das weiß niemand, Sir. Ein Spitzname, aber sein einziger Name überhaupt. Vor gut zwanzig Jahren soll Rappee ein Postboot aus Chesapeake angehalten haben. Als er an Bord kam, fragte er als Erstes, ob `Rappee´ unter der Ladung sei. Anscheinend hatte er ’ne merkwürdige Vorliebe für diese Schnupftabakmischung. Deshalb sollen ihm seine eigenen Leute den Spitznamen Rappee gegeben haben, denn sogar sie selbst wissen nicht einmal genau, mit welchem Namen er auf die Welt gekommen ist.“
„Der Mann erscheint mir immer seltsamer“, meinte der Gouverneur.
„Er soll früher ein Gentleman gewesen sein, der für seine politischen Überzeugungen leiden musste“, fuhr Kapitän Farraday fort. „Aber alles, was ich weiß, ist, dass er mich am Hook vorbei zur Küste gejagt hat. Was blieb uns da schon andres übrig, als Fersengeld zu geben! Wir legten uns dabei so mächtig ins Zeug, dass bei Sonnenaufgang kein Toppsegel von Rappee mehr zu sehen war. Und als ich hier in den Hafen einlief, was musste ich da entdecken? Kein einziges Kriegsschiff lag vor Anker, das man dem Burschen hätte nachschicken können!“
„Ja“, nickte der Gouverneur, „vor einer Woche segelte die Fregatte `Thetis´ mit Depeschen nach unserer englischen Heimat ab. Aber ich schicke sofort eine Eilnachricht nach Boston, wo Kommodore Burrage liegt. Solche Schurken wie Rappee und Flint dürfen nicht mehr länger die Regierung Seiner Majestät verhöhnen und herausfordern. Unser tüchtiger Kommodore wird dafür sorgen, dass die Piraten diesen Tag bereuen. Davon können Sie überzeugt sein!“
„Leider bin ich es nicht, Exzellenz“, widersprach Kapitän Farraday freimütig. „Eine Eilnachricht nach Boston sagen Sie? Hm… das dauert zwei oder drei Tage. Dann rechne ich noch einen weiteren Tag hinzu, bis der Kommodore in See sticht. Und noch zwei der drei Tage mehr, um nach Süden zu kreuzen. Das macht zusammen eine ganze Woche, meine Herren! In der Zeit haben Rappee und Flint jeden teuflischen Plan durchgeführt und schon wieder das Weite gesucht.“
„Schon möglich… ja, schon möglich“, gab der Gouverneur leicht ungeduldig zu. „Aber mehr kann ich nicht tun.“
Damit wandte er sich ab und ging mit Vizegouverneur Colden und den übrigen weiter. Nur mein Vater blieb noch stehen.
„Sie haben Briefe für mich, Kapitän Farraday?“, fragte er.
„Ja, Sir, von Master Allen, Ihrem Londoner Agenten. Ich war gerade auf dem Weg zu Ihnen. Und ich hab auch noch ’ne tüchtige Ladung für Ihre Rechnung dabei: Decken, Äxte, Messer, Glasperlen, Werkzeug, Feuersteine und andere Tauschwaren.“
„Die Briefe können Sie mir gleich mitgeben, Kapitän“, sagte mein Vater. „Mein Sohn Robert wird Sie im Laufe des Morgens an Bord aufsuchen und die nötigen Maßregeln treffen, um Ihre Ladung zu löschen.“
„Einverstanden“, entgegnete Kapitän Farraday und fischte aus der Tasche seines Rockschoßes ein in Seide gehülltes Paket hervor. „Hier, Master Ormerod! Ich verzieh mich jetzt in die Georgs-Taverne . Wenn man so lange auf See gewesen ist, will man mal wieder so richtig essen und trinken wie ’ne Landratte.“
Einen Augenblick lang drehte mein Vater nervös das Paket zwischen den Fingern.
„Sind Sie sicher, dass Kapitän Rappee Jagd auf Sie gemacht hat?“, wollte er dann wissen.
„Darauf leg ich ’nen Eid ab, Sir!“, antwortete Farraday überzeugt. „Erst hatte ich’s ja für ’n königliches Kriegsschiff gehalten und beigedreht. Aber als es keine Flagge hisste, wurde ich argwöhnisch. Deshalb hisste ich die Flagge. Doch immer noch blieb sein Mast leer. Da gab ich ’nen Warnschuss ab. In diesem Augenblick warf er das Ruder rum, so als wollte er sich selbst richtig in Schussposition bringen. Da ergriff ich die Flucht. Jeden Fetzen Leinwand hab ich dabei setzen lassen, bis die Rahen ächzten. Denn wie gesagt: Ich hab gewusst, dass er nichts Gutes im Schilde führt.“
„Und es war wirklich Rappee?“
„Aber ja, Sir, ich schwör’s Ihnen! Vor Jahren hat er mich schon mal gejagt, wie ich Ihnen vorhin sagte. Und vor Jamaika hatte er früher mal Jenkins mit der `Cynthia´ gekapert. Flint wollte die ganze Mannschaft ersäufen wie die Ratten. Aber Rappee sagte in seiner kühlen Art, es hätte keinen Sinn, Leute ohne jeden Zweck umzubringen. Er ließ sie in die Pinasse einsteigen und gab sie frei.“
„Ist es nicht trotzdem möglich, dass Sie diesmal Rappees Schiff mit dem Schiff von Flint verwechselt haben?“
„Flints `Walross´ ist ein prächtiges Schiff und schwer bewaffnet. Aber es ist nicht so getakelt wie Rappees `König Jakob´. Jenkins sagt, es sei ein französisches Schiff. Es hat tatsächlich die fein gezogenen Linien, wie die Franzosen sie bauen. Nein, Sir, es war Rappee! Kein anderer Pirat segelt auf einem so großen Schiff, dass man glatt für ’ne königliche Fregatte halten könnte.“
Читать дальше