»Ist doch etwas anderes als daheim in Berlin, was?«
Der Offizier stutzte, dann lachte er auf.
»Hören Sie, Herr, Sie sind ja köstlich! Woher meinen Sie denn, dass ich aus Berlin komme?«
Während ich nach Brot und Schinken griff und mir eine Scheibe ordentlich belegte, antwortete ich: »Nun, ich beobachte meine Mitmenschen ziemlich genau. Bei Ihnen ist das auch gar nicht so schwer, Sie sprechen zwar ein ausgezeichnetes Hochdeutsch, doch so gänzlich lässt sich der Berliner Dialekt nicht leugnen!«
»Nicht schlecht, und was haben Sie bei Ihrer Beobachtung noch über mich erfahren?«
Jetzt wurden frisch vom Fass gezapfte Bierkrüge herumgereicht, und ich wich dem Mann aus, damit er seine Last auf dem Tisch abstellen konnte. Es war einer der Treiber, die uns morgen die Gämsen vor die Flintenläufe treiben sollte. Als er wieder zum Fass zurückkehrte und weitere Krüge aufnahm, die von zwei anderen Helfern unter dem stetig laufenden Strahl aus dem Fass gefüllt wurden, antwortete ich:
»Nach Ihrer Haltung zu schließen, sind Sie ein Militär. Und wenn ich Ihr Alter berücksichtige, tippe ich auf den Dienstgrad Oberst.«
»Potztausend, das ist mir ja noch nie passiert! Allerdings bin ich Oberstleutnant, aber – wie unhöflich von mir, habe mich ja noch gar nicht vorgestellt.« Der Offizier erhob sich halb von der Bank und neigte seinen ganzen Oberkörper in einer raschen Bewegung nach vorn. »Oberstleutnant von Zastrow, derzeit auf Urlaub und dabei, einen prächtigen Gamsbock zu erlegen!«
Ich nannte auch meinen Namen und meinen Beruf, und das war jetzt zu viel für den preußischen Offizier. Er konnte es gar nicht glauben, dass ein Schriftsteller auszog, um die Welt kennenzulernen und dabei auch noch mit zwei Gewehren unterwegs war. In der nächsten halben Stunde musste ich ihm zwischen meinem Schinkenbrot und dem Bierkrug immer wieder in kurzen Worten erzählen, was ich erst kürzlich erlebt und vor allem – geschossen hatte.
Gerade hatte ich mit wenigen Sätzen meine kürzlich im Zweistromland erlebten Abenteuer berichtet, weil mein Nachbar erfahren wollte, wann ich denn den letzten Löwen erlegt hatte, da merkte ich, wie er immer stiller wurde und dachte schon, dass ich ihn durch eine Bemerkung vielleicht verärgert hätte. Aber dann klopfte er schließlich leicht mit der rechten Hand auf die Tischkante und lächelte mich an.
»Also, ich will doch einen Besen fressen, wenn das nicht das beste Jägerlatein war, das ich jemals gehört habe!«
»Sie glauben mir nicht? Nun, das ist nicht weiter schlimm. Ich gebe Ihnen gern morgen auf der Jagd eine Probe meiner Schießkunst.«
»Einverstanden!«, antwortete der Oberstleutnant und bot mir die Hand. »Und ich wette, dass ich die erste Gams erlegen werde!«
Gerade wollte ich einschlagen, als sich unser Gegenüber leicht räusperte und dann anmerkte: »Meine Herren, so interessant ja eine solche Wette ist, aber Sie vergessen, wer unsere Gastgeber sind. Es wäre ausgesprochen unhöflich, vor den hohen Herren zum Schuss zu kommen!«
Ich zuckte bei der Anrede schon ein wenig zusammen, aber das hatte auch seinen Grund im Aussehen des Sprechers. Sein längliches Gesicht, dazu die schmalen Lippen, leicht nach unten gebogene Mundwinkel, übertrieben hoch gezogene Augenbrauen – das war Baron Hermann von Falkenstein, ein im Land bekannter Spieler und Frauenheld mit vermutlich unbegrenzten Finanzmitteln. Jedenfalls berichtete man öfter über seine Besuche der Casinos in Baden-Baden und Monte Carlo. Aber ich musste ihm beipflichten. Unser Vorhaben wäre nicht auszuführen gewesen, ohne die Gastgeber zu brüskieren. So verneigten wir uns höflich im Sitzen voreinander, und dann hob der Oberstleutnant seinen Bierhumpen und trank mir zu. Ich erklärte lächelnd:
»Keine Sorge, Herr Oberstleutnant. Sicher wird es noch eine Gelegenheit geben, Sie von der Qualität meiner Gewehre zu überzeugen, vielleicht ja auch schon bei der morgigen Jagd.«
»Apropos, haben Sie es schon gehört? Es wird zunächst eine Treibjagd geben. Die Männer brechen bereits eine halbe Stunde vor uns auf, um sich auf eine gewisse Höhe zu begeben. Wir sollen einen Platz an einer Klamm beziehen, wo wir freies Schussfeld nach zwei Seiten haben. Dann machen sich die Treiber bemerkbar, und die erste Herde wird in unser todbringendes Feuer laufen!«
»Stellen Sie sich das mal nicht zu einfach vor, Herr Oberstleutnant!«, mischte sich wieder der Baron quer über den Tisch ein. »Ich habe in den letzten Jahren meine Erfahrungen mit den Gämsen sammeln können. Es gibt kaum ein anderes Wild, das so scheu ist, dabei schnell und vor allem mit einem unglaublich guten Sehvermögen ausgestattet. Das wird für uns nicht einfach werden!«
Ich nickte stumm, denn ich war auf meiner ersten Gamsjagd, die ich der Tatsache verdankte, dass nach einer Lesung in München die Zeitungen sich in den höchsten Tönen über meine Schießkünste ausließen. Als der dicke Brief mit dem königlichen Siegel bei mir eintraf, glaubte ich, nicht richtig zu lesen. Niemand anderes als König Ludwig II. von Bayern lud mich persönlich zu dieser Jagd nach Tirol ein. Konnte ich da lange widerstehen? Nein, ich hatte die Gelegenheit sofort ergriffen und dankbar die Einladung angenommen. Dass ich damit auch noch ein weiteres Ziel verfolgte, verschwieg ich meiner lieben Frau, die ein wenig mit mir schmollte, nicht mitkommen zu dürfen. Sie schwärmte von Empfängen und Bällen am Hofe des Königs, und ich hatte meine liebe Not, ihr klarzumachen, dass wir ein paar Tage mit wenig Bequemlichkeit in den Tiroler Bergen verbringen würden. Da war keine Rede von Tanz und anderem Vergnügen, als den Gämsen nachzustellen.
Plötzlich wurde es laut vor der Hütte, Stimmen riefen und ein Pferd wieherte freudig auf, als es die anderen Tiere im Pferch neben der Hütte entdeckte. Dann riss jemand stürmisch die Tür auf, und alle anwesenden Männer waren aufgesprungen, um eine tiefe Verbeugung zu machen – mich eingeschlossen.
»Bitte, meine Herren, behalten Sie doch Platz, wir sind unter uns Jägern ganz kommod! Hier ist mein väterlicher Freund, der Carl, und das ist der Sepp. Also bitte, ganz natürlich und wir sprechen uns ab jetzt nur noch mit den Vornamen an. Nein, Sepp, du hockst dich da auch mit hin!«
Die letzte Bemerkung galt einem kauzigen Alten mit schlohweißem Haar und einem prächtigen Schnauzer sowie einem etwas dünnen Wangenbart. Ich kannte ihn, wir waren uns schon einmal in seiner Heimat begegnet. Joseph Brendel, königlich-bayerischer Hauptmann a.D., enger Vertrauter König Ludwig II. und zudem – Geheimpolizist Seiner Majestät. Erstaunt, ihn hier oben in den Bergen am Vorabend einer großen Jagd zu sehen, wollte ich auf ihn zugehen, als ich einen warnenden Blick des Alten auffing. Es war offensichtlich, dass er so tun wollte, als würden wir uns nicht näher kennen. Brendel, von Freunden nur kurz ›Sepp‹ gerufen, hatte aufgrund seiner Sammelleidenschaft von heilkräftigen Wurzeln noch den Namen Wurzelsepp erhalten. Auch sein Äußeres wirkte bieder, natürlich trug er eine der üblichen Joppen und dazu eine Lederhose. Kurze Wollstrümpfe reichten nur bis zur Wade, und wie stets bei unseren früheren Begegnungen hing ihm an einem Band die unvermeidliche Zither von der Schulter, die er allerdings meisterhaft zu spielen verstand. Ich musste bei seinem Anblick einräumen, dass ich selten einen so gut getarnten Geheimpolizisten erlebt hatte wie diesen ehemaligen Dragoneroffizier. Joseph Brendel war ein Meister der Verstellung und arbeitete kräftig an seinem Auftritt als schlichtes, bayerisches Original, das noch nicht einmal lesen konnte. Ja, der Wurzelsepp passte gar nicht so recht in diese Gesellschaft, aber das schien keinen der Anwesenden zu stören.
Ich hatte mich zwar erhoben, tat aber so, als galt das nicht Sepp, sondern dem Ende unserer langen Tafel. Hier griff ich noch einmal zum Schinkenmesser, schnitt mir erneut ein Stückchen herunter und stopfte es mir in den Mund, während die neu eingetroffenen Gäste jetzt ebenfalls Bierhumpen auf den Tisch gestellt bekamen.
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