Paolo hatte ihnen zwei getrennte Zimmer gebucht, die durch eine Tür miteinander verbunden waren.
„Bist du zu müde, um mit mir noch in eine Diskothek zu gehen?“, rief Paolo durch die geöffnete Zwischentür zu ihr hinüber.
„Ich gehe mich frisch machen und ziehe mir etwas Passendes an“, rief Joan zurück und verschwand in ihrem Badezimmer.
Eine Viertelstunde darauf stand sie in einem zartrosafarbenen Spaghettikleid und Pumps vor ihm. Die Haare trug sie offen über der Schulter.
„Wow!“, stieß Paolo bei ihrem Anblick aus. „Du kannst dich durchaus zeigen lassen“, sagte er lächelnd.
Bis in den frühen Morgenstunden tanzten sie ausgelassen im Loft . Erst um drei Uhr ließen sie sich von einem Taxi zurück ins Hotel fahren, wo sie außer dem Portier und der Empfangsdame niemanden begegneten. Auf eine Äußerung von Paolo betraten sie lachend den Fahrstuhl und stiegen zwei Stockwerke höher noch immer lachend aus.
„Ich bin zu aufgekratzt, um schlafen zu gehen“, sagte Paolo, als er sein Zimmertür aufschloss. „Kommt du noch auf ein Glas Champagner mit zu mir?“
„Aber nur eines, dann habe ich wirklich genug.“ Sie folgte ihm in sein Zimmer und setzte sich auf das Doppelbett. Ihre Handtasche legte sie neben sich ab und nahm das Glas Champagner, das Paolo ihr reichte.
„Auf deinen Bruder, der mich bei Farleys einstellt.“
„Auf dich und deine hervorragenden Entwürfe.“
„Mein Gott, Joan! Farleys !“, sagte er noch immer ungläubig. „Niemals hätte ich damit gerechnet, gleich nach meinem Studium unter so einem bedeutenden Namen arbeiten zu dürfen. Ist dir bewusst, wie bekannt ihr in Mailand innerhalb der letzten Monate geworden seid?“
„Leider“, flüsterte Joan.
Paolo, der vor ihr stand, blickte verwundert zu ihr hinunter. „Warum?“
„Weil ich nur wenige Jahre von meinem Leben ohne Bodyguards, Fotografen und Journalisten verbracht habe“, erklärte sie nüchtern. „Ich habe es gehasst überall fotografiert zu werden. In ganz New York gab es nur unser Appartement, mein Zimmer, in dem ich für mich sein konnte.“ Nachdenklich sah sie an ihm vorbei und blickte aus dem Fenster. „Ich hatte viele Freunde, aber keiner von ihnen kannte mich so, wie du mich kennst. Die Meisten wollten mit mir gesehen werden, es interessierte sie nicht, wer ich wirklich war.“
Paolo setzte sich neben sie aufs Bett und berührte ihre Hand, die auf ihrem Schenkel lag, mit der seinen. Langsam wandte sie den Kopf zu ihm herum.
„Würdest du so ein Leben führen wollen?“
„Die meisten Menschen würden jetzt wohl mit ja antworten, aber wenn ich es mir recht überlege, dann ist mir meine uneingeschränkte Freiheit lieber, als alles Geld der Welt.“
„Ich hatte nie die Wahl.“ Doch wenn sie an ihre Kindheit dachte, wurden ihr all die schönen Erinnerungen wieder bewusst. Ihre Eltern waren immer für sie da gewesen.
Paolo bemerkte den traurigen Ausdruck in ihren Augen, beugte sich zu ihr und küsste zärtlich ihre Wange. „Hey, ich ertrage es nicht, wenn die Frau, die ich liebe, traurig ist...“, flüsterte er in ihr Ohr. Joan wich zurück und sah ihn verwirrt an. „Schau’ nicht so überrascht. Du musst es gespürt haben“, sagte er sanft. Paolo verlor sich in ihren Augen, als seine Lippen die ihren zärtlich berührten. Anfang war sie wie erstarrt, doch dann erwiderte Joan seinen leidenschaftlichen Kuss. „Ich habe mich in dich verliebt, Joan“, sagte er leise und küsste sie abermals. Voller Leidenschaft drückte er sie in die Kissen hinunter und fuhr mit seiner Hand ihren Rücken entlang. Ein Kribbeln durchfuhr Joan.
„Wir sollten das nicht tun“, sagte sie unter seinen Küssen.
„Sag mir, dass ich aufhören soll“, raunte er an ihrem Hals. „Joan... oh Gott...“ Er begehrte sie wie keine andere Frau vor ihr, doch würde er nichts tun, was sie nicht auch wollte.
„Wir zerstören unsere Freundschaft... Paolo...“ Den Mund noch an dem seinen, schob sie seinen Körper sachte mit den Händen fort. „Ich kann nicht.“ Verwirrt stand sie von seinem Bett auf und strich sich ihr Kleid glatt.
„Es tut mir leid. Ich war zu schnell“, sagte er mit sanfter Stimme.
„Schon okay. Ich sollte jetzt gehen. Bis Morgen“, sagte sie ohne ihn anzusehen, lief in ihr Zimmer hinüber und schloss die Tür hinter sich.
Mit einem Kribbeln im Bauch sank sie auf ihr Bett und musste sich eingestehen, dass sie seine Zärtlichkeiten genossen hatte. Dennoch war es eine Dummheit gewesen. Sie hätte es niemals soweit kommen lassen dürfen. Paolo liebte sie, daran gab es nun keine Zweifel mehr, doch sie wurde durch ganz andere Gefühle geleitet. Sie wusste, dass es jeder Mann hätte sein können. Nach so langer Zeit hatte sie einem Mann nur wieder einmal nahe sein wollen.
Zurück in Mailand unternahm Paolo noch einige Annäherungsversuche, Joan aber ging nie wieder darauf ein. Der Mai kam und obwohl es Paolo schwer viel, konnten sie ihr ungezwungenes, freundschaftliches Verhältnis wieder aufbauen. Für Joan waren sie wie Bruder und Schwester, die sich in der Stadt zum Kaffee trinken trafen und sich über alles unterhielten. Sie gingen gemeinsam auf Partys, doch sobald Joan von Paolos Freunden zum Tanz aufgefordert wurde, war es Paolo selbst, der ihnen einen eindeutigen Korb gab. Bald darauf wurde gemunkelt, dass sie ein Paar wären und er sie für sich allein wollte. Hätten sie sich zu einer anderen Zeit gekannt, dann würde sie Paolo übel nehmen, dass er ihre Verehrer reihenweise abblockte. Doch noch war sie nicht an einer neuen Beziehung interessiert und weinte deshalb den Männern nicht nach. Zum ersten Mal seit Steves Tod war sie wieder glücklich. Ihr Leben war völlig ungezwungen, frei von Sorgen und Ängsten. Sie brauchte keinen Mann in ihrem Leben, ihr genügte Paolos nette Gesellschaft.
„Ich werde Anfang Juni zurück nach Los Angeles fliegen“, erklärte Joan beim Frühstück Rachel und Brian, nachdem sie einige Tage darüber nachgedacht hatte. „Sobald das Semester beginnt, möchte ich mein Studium fortsetzen. Mir fehlt noch ein Jahr.“
Überrascht wechselten Brian und Rachel einen Blick. „Bis dahin sind es noch einige Monate“, erklärte Brian enttäuscht. Er hatte geglaubt, sie würde noch zwei, vielleicht drei Monate in Mailand bleiben und erst dann zurückfliegen. „Was willst du in der Zwischenzeit tun?“
„Ich werde Theo fragen, ob er meine Hilfe im Cafe benötigt und wenn das nicht klappt, finde ich einen anderen Job.“ Steve und sie hatten neben ihrem Studium in dem Strandcafe des Vierzigjährigen als Kellner gearbeitet, um ihre Miete bezahlen zu können.
„Und wo willst du wohnen? Die Zimmer im Studentenwohnheim sind längst vermietet.“
„Ich suche mir ein kleines Appartement“, beruhigte sie ihren Bruder.
„Bis du etwas Geeignetes gefunden hast, kannst du in unserem Gästezimmer wohnen“, schlug Rachel vor und ignorierte den Blick, den Brian ihr zuwarf. Es war an der Zeit, dass er seinen Beschützerinstinkt zurückschraubte und seine Schwester losließ. Sie war alt genug, um ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen.
Joan buchte ihren Flug für den zweiten Juni und verbrachte die verbleibende Zeit überwiegend mit Paolo, der über ihre Pläne, Mailand den Rücken zu kehren, tief betrübt war. Selbst wenn er ihr Herz niemals für sich gewinnen konnte, so wollte er Joan zumindest als Freundin nicht verlieren.
„Du musst mich unbedingt in L.A. besuchen kommen, Paolo. Dann zeige ich dir meine Stadt und du lernst meine Freunde kennen.“
Ihr Vorschlag erstaunte ihn. „Hast du keine Angst, dass ich eines Tages tatsächlich vor deiner Tür stehen könnte?“
„Warum sollte ich?“, fragte sie verwundert. „Du bist mein bester Freund und ich werde dich in L.A. schrecklich vermissen.“
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