1 ...7 8 9 11 12 13 ...30 „Hey... du bist ja wach“, sagte Brian sanft. Lächelnd stand er von seinem Stuhl auf, beugte sich zu ihr hinunter und küsste liebevoll ihre Stirn. „Ich habe dich vermisst.“ Joan lächelte und nickte als Antwort. „Wie fühlst du dich? Hast du Schmerzen?“, fragte Brian besorgt, worauf Joan kaum merklich den Kopf schüttelte und plötzlich das Gesicht verzog. „Dank mir, spätestens jetzt. Tut mir leid“, sagte er mit gequältem Blick. Da erinnerte er sich an Dr. Coopers Worte am Vorabend. „Dein Arzt sagt, du brauchst viel Ruhe, um wieder völlig gesund zu werden. Möchtest du, dass ich dich allein lasse?“ Er bemerkte die plötzliche Angst in ihrem Gesicht, als sie abermals den Kopf schüttelte. Diesmal schien es ihr weniger Schmerzen zu bereiten. „Rachel wird dich heute Abend besuchen kommen. Sie hat sich sehr gefreut, als ich ihr von deinem Erwachen erzählte und lässt sich entschuldigen. Sie ist in San Diego, irgendeine Konferenz“, erklärte Brian, während er seinen Stuhl näher an ihr Bett heranzog und sich setzte. Lächelnd nahm er ihre Hand in die seine. „Ich kann dir gar nicht sagen, wie glücklich ich darüber bin, dass du wieder bei uns bist. Du hast mich ganz schön erschreckt.“ Joan öffnete ihren Mund und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. „Warte, ich tupfe sie dir“, sagte Brian und griff nach dem Wattebausch, um ihr gleich darauf Wasser auf die trockenen Lippen zu tupfen. Indessen wandte Joan den Blick nicht von ihm ab.
„Ich glaube, dass genügt erst einmal. Sobald die Schwester kommt, frage ich, ob du etwas Wasser trinken darfst, einverstanden?“ Joan nickte und legte ihre rechte Hand auf die von Brian. Sie öffnete ihren Mund, als wollte sie etwas sagen, doch es war nur ein sehr leises Krächzen zu hören. „Was möchtest du mir sagen, Jo?“, fragte Brian und rückte näher an ihr Gesicht, um sie besser verstehen zu können. Joan versuchte es nochmals, aber es kam kein Laut heraus. Darüber verärgert schloss sie missmutig den Mund. „Schon gut, du brauchst nichts zu sagen. Das strengt dich noch zu sehr an“, sagte Brian lächelnd und küsste ihre Finger. „Wir alle haben dich schrecklich vermisst, Schwesterchen. Mom und Dad waren hier und haben dich jeden Tag besucht.“ Er bemerkte das Fragezeichen in ihrem Blick und beantwortete ihre unausgesprochene Frage. „Sie mussten dringend nach New York zurück, aber es ist kein Tag vergangen, an dem wir nicht miteinander telefoniert haben. Gestern Abend habe ich in New York angerufen und ihnen erzählt, dass du aus dem Koma erwacht bist. Sie werden morgen hier eintreffen.“
Sie zwinkerte und öffnete abermals ihren Mund. Doch als ihr trotz sichtlicher Bemühungen die Worte wieder im Hals stecken blieben, zog Joan die Stirn kraus und sah ihren Bruder verzweifelt an.
„Versuche es mit kurzen Wörtern“, sagte er ruhig, obwohl sein Herz wild schlug. In dieser Minute gingen ihm viele Dinge durch den Kopf. All die Wochen hatte er sich nichts sehnlicher gewünscht, als das sie aufwachte. Dabei hatte es keine Rolle für ihn gespielt, wie der Zustand seiner Schwester danach sein würde. Erst jetzt machte er sich erstmals darüber Gedanken, dass durch die schwere Gehirnprellung oder das Koma geistige Schäden bei Joan entstanden sein könnten. „Lass dir etwas Zeit. Du bist gerade erst wieder aufgewacht und...“
„Br...ria...n...”, kam es mit einem Mal leise über ihre Lippen. Augenblick verstummte er und lächelte sie an. „Dan...ke...“
Brian standen Tränen in den Augen. „Wofür denn?“ Er hob ihre Hand an seinen Mund hinauf und küsste ihre Finger. „Du hast mir so unglaublich gefehlt...“
„Du... mir... au...ch...“, flüsterte sie.
Plötzlich durchbrachen seine angestauten Gefühle, seine nun ausgestandenen Ängste, das Schutzschild seines Körpers. Mit verschleiertem Blick sank sein Kopf auf die Bettdecke gegen Joans Bauch hinunter. Ihre rechte Hand fest umklammert, schloss Brian die Augen und ließ seinen Tränen freien Lauf. Da spürte er Joans verbundene Hand auf seinem Kopf, spürte, wie ihre Finger langsam über seine kurzen Haare fuhren. Es war, als wollte sie ihm zeigen, dass sie für ihn da war.
In den nächsten Tagen schlief Joan sehr viel. Zumeist war sie nicht länger als eine halbe Stunde am Stück wach, dann schlief sie erschöpft wieder ein. Doch in dieser kurzen Zeit sah sie Brian, Rachel oder ihre Eltern an, die abwechselnd an ihrem Bett saßen, und hörte ihnen zu, wenn sie über Dinge sprachen, die sie verschlafen hatte.
Vier Tage nachdem Joan aus dem Koma erwacht war, saß Brian am späten Nachmittag allein an ihrem Bett, las in seinen Unterlagen und wartete darauf, dass sie die Augen aufschlug. Seit einer Stunde war er bereits bei ihr, als sie plötzlich leise stöhnte.
Brian legte die dünne Mappe auf die Beine seiner Schwester und beugte sich zu ihr vor.
„Joan?“, fragte er leise, doch sie gab keinen Laut mehr von sich. „Hey, du hast lange genug geschlafen.“ Er beobachtete sie noch einen Moment, aber sie erwachte nicht. Schließlich widmete er sich seinen Unterlagen, doch während er dies tat, hörte er sie immer wieder leise stöhnen und sah, wie ihre Hände zuckten. „Joan, was ist denn los?“ Misstrauisch ließ er die Mappe auf seinen Schoß sinken und berührte ihre Hand. Er spürte, dass irgendetwas mit ihr nicht stimmte. Vermutlich träumte sie.
Mit einem Mal schlug Joan ihre Augen auf. Sie waren angsterfüllt, ließen Brian schaudern. Irritiert sah sie sich im Zimmer um. Sie fühlte sich nicht wohl, das sah Brian ihr an ihrer krausgezogenen Stirn an.
„Hey“, sagte er sanft. „Du hast nur schlecht geträumt. Es ist alles in Ordnung.“
„Wo... bin... ich?“, fragte sie leise.
„In einem Krankenhaus in Malibu“, erklärte Brian und nahm ihre Hand in die seine. Da hörte er, wie hinter ihm jemand die Tür öffnete und ins Zimmer trat. Er wandte den Rücken herum und sah Dr. Cooper.
„Was ist... mit mir... passiert?“, kam es mit sichtlicher Anstrengung aus Joans Mund, worauf Brian sich zu ihr drehte und sie mit besorgtem Blick ansah.
„Erinnerst du dich denn nicht?“ Joan schüttelte den Kopf und stöhnte unter den Schmerzen auf, die die plötzliche Bewegung auslösten. Ihr Kopf fühlte sich an, als hätte jemand mit einem Baseballschläger zugeschlagen.
Indessen wandte Brian den Blick zu Dr. Cooper, der am Ende des Krankenbettes stand. Seine Hände ruhten auf dem Gestänge.
„Das ist nach einem tiefen Koma nicht ungewöhnlich“, erklärte Dr. Cooper in ruhigem Ton. Ihm war Joans Problem bereits bekannt, doch die neuerlichen Untersuchungen hatten keinerlei Hinweise auf eine Beeinträchtigung des Erinnerungsvermögens gegeben. Zudem waren die ersten Tests positiv ausgefallen. Joan kannte sämtliche ihrer persönlichen Daten, konnte ihre Besucher richtig zuordnen und wusste über Ereignisse aus der ganzen Welt Bescheid. Sie konnte sich an alles erinnern, nur eben nicht an den Tag des Unfalls. „Ich bin sicher, dass die Erinnerungen in einigen Tagen zurückkehren werden“, fuhr Dr. Cooper zuversichtlich fort. „Mrs. Farley, Sie haben eine sehr lange und anstrengende Reise hinter sich. Davon hat sich ihr Gehirn noch nicht erholt. Gönnen Sie sich und Ihrem Körper etwas Ruhe.“
Für einen Moment schloss Joan ihre Augen und hörte nicht, wie der Arzt nach einem knappen Nicken zu Brian ihr Zimmer verließ. Als sie Brian wieder ansah, fiel ihm ein, dass er ihre Frage noch nicht beantwortet hatte.
„Du hattest einen schweren Unfall“, sagte Brian, während er ihre Hand fest umschlossen hielt. „Du bist ins Koma gefallen.“
„Wie... lange?“, presste sie leise hervor.
„Etwas mehr als vier Wochen.“
Joan nickte und verzog das Gesicht vor Schmerz. Sie schloss die Augen und er glaubte, sie sei wieder eingeschlafen, aber da öffnete sie die Lider und sah ihn mit sorgenvollem Blick an.
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