Die trauernden Frauen bestiegen im Morgengrauen das wartende Fischerboot. Vorher kassierte der Kapitän den Rest seines Honorars. Da Sanira nicht dazu imstande war, übernahm dies Layla. Sie überredete Sanira ihren wertvollen Rock Esmeralda zu übergeben. Unzählige Menschen, meistens Männer, standen wartend am Strand, um auf das Schiff aufgenommen zu werden. Ein paar Kleinkinder mit ihren Müttern waren unter ihnen. Verschiedene Sprachen wurden untereinander gesprochen. Sie kamen von Ländern, in denen Krieg und Zerstörung herrschte. Aus Syrien, Afghanistan oder Somalia. Politisch Verfolgte, desertierte Soldaten, oder Menschen, die dem Hunger und dem Elend des eigenen Landes zu entfliehen versuchten. Alle wollten auf das Boot. Zu viele Menschen für ein Boot wagten die lebensgefährliche Passage über das Meer. Esmeralda stütze ihre apathisch wirkende Mutter auf dem Weg ins Boot. Layla blieb dicht hinter ihnen. Deshalb, falls sich Sanira doch noch anders besinnen würde und sie doch noch bleiben wollte und sie es dann verhindern konnte. Sie dachte über die vergangene schreckliche Nacht nach, als einer der Matrosen den kleinen Körper von Jonas, eingewickelt in einer schmutzigen Tischdecke, in das ausgeschaufelte Grab legte und Sanira zu ihrem Jonas in das Grab gesprungen war. „Begrabt mich mit ihm, ich werde bei ihm bleiben”, schrie sie in die Nacht. Zwei Männer hatten Mühe Sanira mit Gewalt aus dem Grab zu holen, bevor sie Jonas mit der Erde bedeckten. Dicht gedrängt saßen die Flüchtlinge auf den Holzbänken, die quer über das Boot genagelt waren. Über den Köpfen war eine Plane gespannt, die aufkommenden Regen abhalten sollte. Als kein Zentimeter zwischen den Passagieren mehr frei war, begab sich der Kapitän und der Schleuser mit gut gefüllten Geldtaschen in die Kapitänskajüte und die Fahrt ging los. Langsam entfernte sich das tuckernde Schiff von Tobruk. Das Meer war ruhig, der Himmel war grau, es wehte ein lauer Wind. Teilnahmslos saß Sanira zwischen Esmeralda und Layla, fest eingeklemmt.
3. Kapitel - Sinai, Halbinsel des Schreckens und der Folterknechte
Zusammen mit seinem Freund Jim Dorney, ein amerikanischer Journalist, flüchtete Peter entlang der mühsamen langen Strecke von Eritrea bis auf den Sinai, um von dort aus über Israel nach Europa zu kommen. Jim war ebenso ein Fürbitter der sogenannten “Gruppe der 15“, die sich aus ranghohen Mitgliedern der Regierungspartei: “Volksfront für Demokratie und Gerechtigkeit”, zusammensetzte. An der eritreischen Grenze trafen sie auf Mustafa, ein eritreischer Staatsbürger, der wie sie die Reise in die Freiheit wagte. Er war noch sehr jung und wollte nicht sein ganzes Leben in den Mühlen des strengen Militärregimes verbringen. Mit Gutheißen und dem Geld seiner Eltern suchte er sein Glück in der ersehnten Freiheit. Erschöpft und müde erreichten sie ihr Ziel in einem östlich gelegenen sudanesisches Lager für Flüchtlinge. Dort erhielten sie gegen bare Dollar frisches Wasser, etwas Brot und ein Feldbett in einem Durchreiselager für die Nacht.
„Ihr müsst vorsichtig sein. Versucht nicht zu fest zu schlafen. Am besten gar nicht, denn manchmal kommen nachts ägyptische Menschenhändler, Beduinen, unbemerkt hereingeschlichen, um solche Leute wie euch zu verschleppen”, sagte ein freundlich wirkender sudanesischer Helfer, der den Männern die Betten zuwies. „Keiner weiß, wie sie es schaffen über die bewachten Zäune hereinzukommen. Sie suchen bewusst Flüchtlinge aus Eritrea aus, um sie auf den Sinai zu verschleppen und um sie dort zu verkaufen, um dann von den Angehörigen in Europa Lösegeld zu erpressen.” „Was ist mit den ägyptischen Grenzbeamten?”, fragte Peter. „Die schauen weg. Warum, das könnt ihr euch sicher vorstellen.” Dabei zeigte er das internationale Zeichen für Geld. Er rieb den Daumen an den Zeigefinger. „Das gleiche gilt auch an der mehr als tausend Kilometer nördlich entfernten Qantara-Brücke, die vom Festland über den Suez-Kanal auf den Sinai führt“, warnte er. „ Wenn ihr genug Dollars bei euch habt, lassen euch die Sicherheitskräfte ohne Probleme passieren.” Beunruhigt legten sie sich auf die unbequemen Betten. Zum Vorteil, dass sie, trotz ihrer Müdigkeit nach dem langen Marsch, nicht zu tief einschliefen. Sorgenvoll dachte Peter an seine Familie. „Hoffentlich ist alles glatt gelaufen. Sie müssten jetzt auf dem Boot sein. Sanira hat genug Geld, um mit den Kindern reibungslos auf dem Boot aufgenommen zu werden. Auch Layla war finanziell gut versorgt. Wenn die Überfahrt über das Mittelmeer einigermaßen ruhig ist, werden sie die Überfahrt überstehen und es wird für sie bei Ankunft in Lampedusa nicht mehr schwierig sein, dass die Behörden sie zu meinen Eltern schicken.“, dachte er. „Mutter war ganz aufgeregt. Sie wollte alles von euch wissen. Sie wartet schon ungeduldig auf unsere Ankunft”, munterte er damals, seine zweifelnde Frau auf. Dieser Gedanke beruhigte ihn erst einmal. Gabi, seine Mutter war überglücklich, als er mit ihr telefonierte und ihr sagte, dass er bald mit seiner Familie zurück nach Deutschland kommen würde. Sie versprach ihm, dass sie vorher alles Notwendig tun würde, wenn Sanira mit den Kindern angekommen sei. Auf sie war Verlass. Das wusste er noch aus seiner Kindheit. Sie hatte einen starken Willen, den sie stur, wenn auch manchmal gegen den Willen ihres Mannes, durchsetzen konnte. Das Licht in dem riesigen Flüchtlingslager war erloschen. Es brannte nur schwach die Notbeleuchtung. Ein primitives Toilettenhäuschen war vor dem Lagereingang aufgestellt. Seinem Harndrang folgend stand Peter auf, um die Toilette vor dem Zelt aufzusuchen. Hinter der verschlossenen Tür des Häuschens hörte er herankommende, schleichende Schritte. Ein winziges Guckloch an der Toilettentür erlaubte ihm einen eingeschränkten Blick auf das Lager. Erschrocken sah er, dass sich eine Gruppe von verkleideten Männern dem Lager näherten. Schwarze Mäntel mit schwarzen Kapuzen verbargen ihr Aussehen. Leise schlichen sie in den Schlafraum. Sie waren mit gebogenen Säbeln und Pistolen an ihren Gürteln bewaffnet. Peter ergriff die Panik, das Blut gefror in seinen Adern. „Ich muss ihnen helfen!”, dachte er, doch unfähig in seiner lähmenden Panik zu handeln. Sie waren auf der Suche nach gewinnbringenden Opfern für ihre grausamen Machenschaften. „Sie werden Menschen entführen. Ich muss Jim und Mustafa warnen”, hämmerte es in seinem Kopf. Doch auch er war in Gefahr. Seine Jacke mit dem Geld in der Jackentasche hatte er auf seinem Bett zurückgelassen. Dann sah er, wie einer der Verbrecher mit seiner Taschenlampe über die Gesichter der schlafenden Männer leuchtete. Er zog seinen Säbel hervor und packte Mustafa. Er zog seinen Kopf an den Haaren hoch und hielt ihm drohend den Säbel an seine Kehle. Mustafa verstand und blieb stumm vor Angst und Schrecken. Er wehrte sich nicht. Heftig und schnell drängte der Entführer Mustafa aus dem Zelt. Mittlerweile war ein anderer Scherge am Bett von Jim angelangt. Peter wollte ihn warnen und ihm zurufen. Doch der Entführer ließ von ihm ab. „Zu kompliziert. Ein Weißer, blonde Haare, womöglich ein Berichterstatter aus Europa. Das könnte große politische Schwierigkeiten geben.” Glück für Jim. Hinter dem Feldbett von Mustafa lag fest schlafend ein anderer junger Mann. Sein Atem war ruhig. Er schlief tief. Seinem Aussehen nach schien er ebenso aus Eritrea zu kommen. Auch diesem Mann drohte ein unglückliches Schicksal, als er unter Gewaltandrohung gezwungen wurde aufzustehen und fast lautlos weggezogen wurde. Widerstandslos und schreckensbleich ging auch er mit seinem Entführer seinem Elend entgegen. Peter konnte diese Szenen nicht weiter untätig mitansehen. Langsam löste er sich aus seiner Erstarrung. Mit seinen Fäusten hämmerte er gegen die geschlossene Toilettentür aus seiner vermeintlichen Sicherheit und schrie aus Leibeskräften:„Macht, dass ihr verschwindet. Wenn ihr die Gefangenen nicht freilasst, bringe ich euch um!” Jim wurde wach. Geistesgegenwärtig griff er unter seine Matratze und richtete drohend seine Pistole gegen die Vermummten. Eiligst verließen die Schergen mit ihren Gefangenen das Lager. Die anderen Menschen im Lager waren ebenso wach geworden und blickten ängstlich den Verbrechern hinterher. Draußen, vor dem Lager, startete ein Motor, der dem Klang nach von einem großen Fahrzeug stammen musste. Jetzt kamen verschlafene Wärter mit Gewehren aus ihren Schlafräumen des Lagers. Jedoch war keiner von dem Geschehen der Nacht überrascht. Peter rannte zu seinem Begleiter Jim. „Jim ich habe alles mitangesehen, ich war auf der Toilette, als sie kamen.” Jim war hellwach. Instinktiv suchte er in seiner Hosentasche nach seinem Geld. Es war noch da. Auch Peter suchte in seiner Jacke, die auf dem Bett lag, nach seinem Geld. Er hatte sie in der Hitze der Nacht ausgezogen und hatte auf ihr geschlafen. Auch sein Geld war noch in den Taschen. „Wir müssen Mustafa helfen. Komm! Noch ist es nicht zu spät!”, drängte Peter.„Wie stellst du dir das vor? Die sind gefährlich und bewaffnet. Wir haben keine Chance! Und wie sollen wir einem fahrenden Auto folgen?” „Wir werden sie finden und sie stellen. Schließlich gibt es auf der ganzen Welt eine Polizei! Wieso ruft denn keiner die Polizei?“ Ein sudanesischen Helfer, der interessiert zugehört hatte, versuchte ebenso wie Jim, Peter von seinem Vorhaben abzuhalten. „Die Polizei schaut weg. Dabei rieb er wieder den Daumen mit dem Zeigefinger. Ihr ahnt nicht, wie gefährlich und brutal diese Entführer sind. Seid froh, dass ihr noch hier seid und sie nicht euch mitgenommen haben. Manchmal nehmen sie auch Weiße mit. Die bringen durch ihre Heimatregierung viel Lösegeld ein.” Darüber hatte Peter von seinen Kollegen in Deutschland erfahren. Der Handel mit Entführungen blühte für Terrorgruppen, die unter anderen mit „al Quaida“ verbündet sind. Unter den Opfern der gequälten Menschen seien außer Eritreer auch Äthiopier, Sudanesen und Somalier. Diese Vorfälle zählten zu einer der größten Tragödien Afrikas. Der Morgen kam, Jim zog schnell seine Kleidung an und forderte Peter auf, dies ebenso zu tun, um weiter zu reisen. Der Weg war noch weit bis zu ihrem Ziel. Die ersten Sonnenstrahlen leuchteten glutrot über die karge Landschaft. Den Männern wurde heißer Kaffee und eine Art von hartem, geschmacklosen Brot gereicht, bevor sie aufbrachen. „Wir müssen auf dem Sinai nach Mustafa schauen”, meinte Peter, als sie ihren Fußmarsch antraten. „Ich habe meine Pistole in meinem Rucksack”, sagte Jim.
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