Eifrig lieferte er Berichte über die neuesten politischen Ereignisse und Veränderungen durch die neue Regierung an seinen Verlag nach Köln. Diese wurden streng unter den Augen des neuen Machthabers Isaias beobachtet. Jedoch entwickelte sich diese neue freie Welt in wenigen Jahren zur Militärdiktatur. Hungertode gab es in diesem Land nicht, doch riskierten Tausende von Menschen ihr Leben für die Freiheit, trotz Androhung von Hinrichtungen, veranlasst durch das menschenverachtende politische System. Berichterstattungen von ausländischen Journalisten wurden zensiert und die Berichterstatter unter Druck gesetzt. So verließen viele Journalisten freiwillig das Land. Nicht Peter. Er hatte durch Kontakte zu ehemaligen hochrangigen Guerillakämpfern persönliche Vorteile und Vergünstigungen und schaffte es über geheime Wege seine Berichte außer Landes zu bringen. Er freundete sich mit dem Gouverneur, Masuf Ragos, ehemaliger Verteidigungsminister, während des Krieges, an. Jeden Freitag wurde Peter von ihm zum Dinner eingeladen. Hinter verschlossenen Rollläden, hinter geschlossenen Fenstern, wurde über Dinge des täglichen Lebens diskutiert, jedoch politische Angelegenheiten waren während diesen Stunden tabu. Fast alle in Eritrea geborenen Bürger sprachen mindestens vier Sprachen. der fünften Klasse lehrte man in Englisch. Nach der Muttersprache sprach man Tigrinya und Arabisch und die älteren Generationen sprachen durch die Zeiten der italienischen Besetzern Italienisch. „Peter, du solltest heiraten. Du bist in den besten Jahren und es wird Zeit, dass du endlich eine große Familie gründest”, redete Masuf auf Peter ein. Dabei zündete er sich eine dicke Zigarre an, nachdem Layla, seine Frau, die leeren Teller abgeräumt hatte, nachdem die von ihr gekochten wunderbaren Speisen aufgegessen waren. Es war Usus, dass sich die beiden Freunde zum Abschluss des Abends in die Bibliothek zurückzogen und sich einen guten italienischen Grappa gönnten. Eine Flasche, ausreichend für einen Monat, brachte ein Bote geschickt von seinem Freund und Gönner, dem Guerillasieger Isaisas, in Masufs Haus. Peter reagierte etwas verlegen. Er wusste nicht, was er antworten sollte. Denn Masuf hatte mal wieder mit seiner Scharfsichtigkeit bei Peter ins Schwarze getroffen. Tatsächlich fühlte er sich einsam. Trotz den zahlreichen Begegnungen mit eritreischen Menschen war es für einen weißen Christen schwierig eine passende Lebensgefährtin zu finden. „Ach so? Wie stellst du dir das vor? Hier in eurem Land werden alle unverheirateten Frauen vor männlichen Fremden, wie ich einer bin, versteckt, als hätten wir die Pest am Leibe”, meinte Peter scherzhaft. „Layla und ich haben uns ernsthaft unterhalten, dass du, als unser geschätzter Freund, unsere Nichte Sanira kennenlernen solltest. Sie ist im heiratsfähigen Alter und mein Bruder will sie gut verheiratet wissen.” Gelangweilt sagte Masuf diesen Satz und beobachtete dabei die Glut seiner Zigarre. So, als würde es ihn wenig interessieren, ob Peter tatsächlich reagieren würde. „Sanira … ein schöner Name. Ist sie muslimischen Glaubens? „Nein mein lieber Freund. Wie du weißt, leben hier auch Christen. Sie ist christlich erzogen und Tareq, mein Bruder, mit seiner Frau Aischa, haben sehr großen Wert auf eine gute Schulbindung für Sanira gelegt. Zudem ist sie sehr schön”, dabei leckte er seine Oberlippe genüsslich und zwinkerte ihm zu. „Ich werde Tareq mit Sanira für den nächsten Freitag zu unserem gemeinsamen Abendessen einladen”, meinte er nachdenklich und zog genüsslich an seiner Zigarre. Peter nickte überrumpelt und war unfähig dagegen zu sein. Dann war es Zeit zu gehen. Unaufgefordert brachte Layla mit freundlicher Mine Peters Staubmantel. Das war das Zeichen für ihn zu gehen. Seine Wohnung lag nur wenige Gehminuten von Masufs Haus entfernt, mitten in der Hauptstadt Asmara. Um diese Zeit war es auf den Straßen still und dunkel. Es war später Abend und durch die Fenster der Häuser drang kaum noch Licht. „Wann werden endlich wieder die Straßen beleuchtet?”, dachte er ärgerlich. Immer mehr Straßenlaternen erloschen mit der Zeit nach und nach, da kein Geld für neue Leuchtbirnen ausgegeben wurde. „Wo bleibt das ganze Geld, das von der neuen Regierung eingenommen wird? Es fehlt Strom, Treibstoff und Nahrungsmittel”, dachte er grollend. „Auch die Straßenbeläge sind seit Jahrzehnten nicht mehr erneuert worden. Das Land verrottet. Kein Geld wird in Sanierungen investiert.“ Einige, vom Krieg verschonten Bauten, erinnerten an die im neunzehnten Jahrhundert von den Italienern gebauten Prachtvillen mit ihren, im italienischen Flair angelegten Gärten, die die prächtige Vergangenheit nur erahnen ließen. Als Peter das Haus verlassen hatte, setzte sich Layla zu ihrem Mann auf das Sofa. „Was meinst du, wäre Sanira die richtige Frau für Peter? Was ist, wenn Peter zurück nach Deutschland möchte? Tareq und Aischa lieben Sanira und werden ihre Tochter ungern gehen lassen.” „Was redest du denn meine liebe Layla. Das ist doch genau das, was mein Bruder für seine Tochter wünscht. Er will, dass sie nach Deutschland geht. Hier hat sie doch keine Zukunft. Die Lage für die Bevölkerung wird immer schlechter. Wir sind hier von Isaias wie in einem Gefängnis eingesperrt. Unser Land hat sich in einen “Ein-Mann-Staat” verwandelt. Keiner von uns ist in der Lage Isaias zu stoppen. Für ihn führen wir noch immer Krieg im Busch. Er meint, dass wir von Feinden umgeben sind, gegen die nur ein aufrechterhaltener Sicherheits- und Repressionsapparat sich wehren kann.” Layla nickte. „Du hast Recht, wir können froh sein, dass unser Sohn Masud noch vor der Wende in Amerika seinen Weg gefunden hat. Hoffentlich heiratet er bald und bekommt Kinder, damit wir einen guten Grund haben, eine Ausreisegenehmigung zu bekommen, um ihn in Amerika besuchen zu dürfen.” Es gab keine Reiseerlaubnis. Es war jedem Bürger verboten in ein anderes Land zu reisen. Selbst für eine Reisen innerhalb des Landes musste ein spezielles Visa beantragt werden. Nur für hochgestellte, militärische Personen, zu der Masuf als Gouverneur gehörte, war es vielleicht möglich, bedingt durch dringende Gründe, mit einem vom Diktator persönlich unterzeichneten Visum ausreisen zu können. Ihr Sohn Masud war noch vor Ausbruch des Rebellenkrieges, durch Drängen von Layla, zum Studium nach Boston geschickt worden. Dort lebte ein entfernter Verwandter, der während des Zweiten Weltkrieges unter abenteuerlichen Bedingungen durch die Sahara geflüchtet war, während die italienischen Besetzer von den Briten vertrieben wurden. Peters Recherchen wurden immer schwieriger und riskanter. Falls er überhaupt an den Parteivorsitzenden der einzigen Partei herankam, dann ihn auf politische Verbesserungen für das Land ansprach, wurde er unter fadenscheinigen Ausreden weggeschickt. Peter wollte darüber berichten, dass das Land nach der Unabhängigkeit noch immer im Kern mit denselben militärischen Führungsstrukturen regiert wurde, so wie einst im Krieg. Ebenso fragte er nach den wirtschaftlichen Verbesserungen des Landes nach. Schroff wurden ihm auch zu diesem Thema die Türen zugeschlagen. Selbst sein Freund Masuf wollte ihm keine unangenehmen Fragen beantworten. Deshalb verbot er ihm in seinem Haus über Politik zu sprechen. Endlich wurde es Freitag. Halbnackt und nervös stand Peter vor seinem Spiegel. Sein Haar war noch nass vom Duschen. Während er sich rasierte überlegte er, was er für diesen besonderen Abend anziehen sollte. Schließlich wollte er einen guten Eindruck vor Sanira und ihrem Vater machen. Als er in seinen spärlich eingerichteten Kleiderschrank schaute, blickte er auf einen alten beigefarbenen Anzug, den er von Deutschland mitgebracht hatte. Damals 1985 hatte er vor seiner Ausreise den Anzug gekauft, da er meinte, das dies das ideale Kleidungsstück für das warme Klima wäre . Doch hatte sich bis jetzt keine Gelegenheit geboten, ihn zu tragen.
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