„Leo, ich kann dir noch nicht alle deine Fragen beantworten. Aber es ist so, dass es wohl einige Tage gedauert hat, diesen Vermieter ausfindig zu machen. Er wohnt längst nicht mehr an der mir bekannten Adresse. Er hat das Haus verkauft und lebt nun außerhalb von Taos auf einem Rancho. Er konnte sich nur noch an die Indianerin erinnern, die sich nach den seltsamen Leuten erkundigt hatte, die eines Tages einfach so über Nacht verschwunden waren. Mehr war aus dieser Quelle nicht herauszuholen.“
„Aber es gibt nun wenigstens Hoffnung, dass meine Mutter noch lebt und vielleicht sogar meinen Bruder gefunden hat. Vielleicht kann ich die beiden und auch meine Tante eines Tages finden, … ich muss unbedingt mit dem Mann sprechen, der in deinem Auftrag in Taos war.“
„Ja, das sollst du auch. Höre dir zunächst mal an, was er noch zu berichten hat. Dann sehen wir weiter!“
„Danke Onkel, danke, dass du noch einmal Erkundigungen eingeholt hast.“
„Das war das Mindeste. Unser Gespräch über deine Familie ließ mich nicht mehr los. Was, wenn ich doch einen Fehler gemacht hätte, indem wir zu früh von Taos fortgingen und ich meinen jetzigen Namen annahm, um keine Hinweise zu hinterlassen? Ich werde mir jetzt immer die Frage stellen müssen, ob ich falsch gehandelt habe, und dich damit um deine wahre Familie gebracht habe. Das tut mir leid und ich wünschte, ich könnte die Zeit zurückdrehen.“
Ich wusste nicht, was ich dazu sagen sollte. Einige Tage zuvor, hatte ich ihm insgeheim die gleichen Vorwürfe gemacht, jetzt hatte ich ihm aber verziehen. Dennoch hatte er wohl recht, es war ein Fehler gewesen und wir waren nicht in der Lage, diesen Fehler zu beseitigen. Ich umarmte ihn, weil mir vor Rührung die Tränen in die Augen traten und er schlang die Arme auch um mich. So standen wir einige Zeit und schwiegen. Was gab es auch zu sagen?
Als wir uns voneinander lösten, sah ich, wie er sich über die Augen wischte. Er holte tief Luft, setzte sich wieder und deutete mit einer Geste an, ich solle mich auch wieder hinsetzen. Dann sagte er:
„Der Mann, den ich beauftragt habe, ist in seinen jungen Jahren bereits ein berühmter Prairiemann. Er wird Old Firehand genannt. Bestimmt hast du schon von ihm gehört. Er ist erst vor wenigen Jahren aus Deutschland hier herübergekommen, hat sich den Pelzjägern angeschlossen und wohl auch einige Zeit bei den Indianern herumgetrieben. Er spricht einige indianische Sprachen und besitzt alle Fertigkeiten, die ihn zu einem guten Scout und Prairiemann machen.
Ich war der Ansicht, es sei besser, einen solchen Mann mit dieser Sache zu betrauen, als einen Polizisten oder einen Detektiv. Hätte er eine Spur gefunden, hätte er sich selbst auf dieselbe gesetzt, auch wenn sie ihn noch weiter in die dark and bloody grounds9 geführt hätte. Das konnte ich nur einem solchen Mann anvertrauen.“
Ich hatte natürlich schon von diesem Prairieläufer und Jäger gehört. Von ihm wurden sich die tollsten Taten berichtet. Er sollte schon einige Male aus der Hand feindlicher Indianerstämme entkommen sein. Er hatte, nach allem was erzählt wurde, auch das eine oder andere Mal ein, bei einigen Stämmen sogenanntes und praktiziertes, Gottesurteil , also einen Kampf auf Leben und Tod, überstanden.
Seinen Namen Firehand hatte er bei den Assiniboin erworben. Dort hieß er „Mann-mit-der-Feuerhand“. Diesen Namen gab man ihm, weil er mit Feuerwaffen so gut umzugehen wusste, dass er angeblich nie sein Ziel verfehlte.
Nun würde ich ihn also bald kennenlernen. Ich freute mich darauf. Insgeheim hoffte ich, dass ich von ihm einiges lernen und in Erfahrung bringen konnte, was mich dazu befähigte, auf eigene Faust auf die Suche nach meiner Familie und den Mördern Etters und Thibaut zu gehen.
Mr. Wallace sollte von diesem, meinem Wunsch aber zunächst nichts erfahren. Er sollte keine Gelegenheit bekommen, mich von diesem Vorhaben abzubringen.
Nun hieß es also zunächst -- warten! Firehand kam in der Woche darauf in Jefferson an. Er suchte Mr. Wallace aber erst einmal in dessen Kantor in der Bank auf, mit der Absicht, ihm dort in aller Ausführlichkeit zu berichten.
Mr. Wallace, der wusste, wie sehr ich darauf brannte, zu hören, was der Scout zu sagen hatte, komplimentierte ihn in unser Haus. Er führte ihn in die Stube und bat ihn Platz zu nehmen. Mrs. Pittney hatte einen Wink bekommen, mich dazu zu holen.
Firehand nahm also auf der Sitzbank am Kamin Platz. Mrs. Pittney informierte mich, dass ich in die Stube kommen solle, Mr. Wallace habe nach mir geschickt. Ich ahnte, dass der Prairiemann angekommen war. Es war schließlich mehr als ungewöhnlich, dass Mr. Wallace um diese Tageszeit im Haus war und mich sehen wollte. Außerdem war bereits fast eine Woche vergangen, seit er mir erzählt hatte, dass er Old Firehand nach Taos geschickt hatte.
Ich stürzte daher förmlich die Treppe hinunter und stürmte in die Stube.
„Ho, ho! Nicht so stürmisch, Junge!“, meinte Mr. Wallace. „Ruhig Blut!“.
Ich lief wohl ein bisschen rot an und empfand Scham, weil ich mich so wenig beherrscht hatte. Mr. Wallace lächelte mich aber freundlich an und stellte nun Firehand und mich einander vor:
„Mr. Firehand, dies ist mein Ziehsohn Leo, von dem ich Euch berichtet habe, der Sohn von Emily Bender oder auch Tehua, der Schwester des Padre Diterico, … Leo, dies ist der berühmte Scout Old Firehand!“
Firehand stand von der Bank auf, um mir die Hand zu reichen. Dabei schaute er mich lächelnd an und sagte:
„Nun weiß ich auch, weshalb Ihr wolltet,“ dabei schaute er zu Mr. Wallace, „dass ich Euch in Euer Haus begleite. Ich soll wohl meinen Bericht nicht zweimal erstatten müssen, was natürlich sinnvoll ist, mir aber keine Umstände gemacht hätte. Freue mich dich kennenzulernen, Leo.“
Ich erwiderte seinen kräftigen Händedruck und jetzt hatte ich Gelegenheit, mir diesen außergewöhnlichen Mann näher anzusehen.
Er war ein wahrer Riese von Gestalt und trug einen Anzug aus Büffelleder. Der Rock war an den Ärmelnähten ausgefranst und wurde von einem breiten Navajo-Gürtel aus Leder zusammengehalten, woraus der Griff eines großkalibrigen Colts ragte. An dem Gürtel hatte er einige Beutel befestigt. Ich nahm an, dass er darin jene notwendigen Utensilien aufbewahrte, die einem jeden Prairiemann unersetzlich waren.
Außerdem befand sich an diesem Gürtel eine lederne Messerscheide, aus der der Griff eines Bowie-Messers herausragte. Um den Hals trug er eine Kette aus den Zähnen des grauen Bären. Seine Füße steckten in kniehohen Schaftmokassins, die, wie ich heute weiß, auch die Apachen trugen. Sein Gewehr, eine langläufige Hawken-Rifle, lehnte an der Seite des Kamins. An dessen Mündung hing eine Waschbärenfellmütze, die er wohl abgenommen hatte, als er eingetreten war.
Dies also war Old Firehand, der berühmte Savannen- und Prairiejäger. Genauso hatte ich ihn mir vorgestellt, wenn bei Mother Thick‘s über ihn erzählt wurde.
Wir nahmen nun alle am Tisch in der Raummitte Platz und Thomas brachte einige Erfrischungen. Firehand bekam ein, bereits vor meinem Eintritt geordertes, Bier und nahm erst einmal einen kräftigen Schluck. Anschließend sagte er:
„Wie gut, dass in Eurem Haushalt die gute deutsche Gemütlichkeit geschätzt und daher auch ein kühles Bier angeboten wird. Obwohl Ihr selbst nicht aus den Deutschen Landen stammt oder irre ich mich?!“
Mr. Wallace antwortete:
„Nein, ich bin ein waschechter Amerikaner aus Boston. Meine Geschichte kennt Ihr ja zum Teil schon. Ich floh damals aus meiner Heimat im Osten. Haben es hier aber gut angetroffen. Vielleicht wisst Ihr, dass sich in Jefferson City und der Umgebung viele Auswanderer aus Eurer Heimat niedergelassen haben? Nun, ich verkehre überwiegend mit solchen deutschstämmigen Einwohnern und einen guten Teil davon kann ich wohl als meine Freunde betrachten. So kommt es dann, dass ich mir auch einige Angewohnheiten jener Freunde und Bekannten zu Eigen gemacht habe. So ein fein gebrautes deutsches Bier ist jedenfalls eine Annehmlichkeit, auf die ich ungern wieder verzichten würde.“
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