Robert Jordan - In den Klauen des Winters
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In den Klauen des Winters
Wie immer für Harriet
Für alle Ewigkeit
Und das Rad dreht sich
Ein Vorwort von Andreas Decker
Das Rad der Zeit dreht sich, Zeitalter kommen und vergehen und lassen Erinnerungen zurück, die zu Legenden werden. Legenden verblassen zu Mythen und sogar der Mythos ist lange vergessen, wenn das Zeitalter ihres Ursprungs wiederkehrt.
Mit diesen Worten beginnt jede Chronik aus der Welt des Rades, eines Universums, in dem das Rad der Zeit und das Große Muster, das es webt, das oberste Prinzip sind.
Am Anfang steht eine Prophezeiung, die Prophezeiung des Drachen. Sie verkündet die Befreiung des Dunklen Königs, des Bösen schlechthin, und die Wiedergeburt Lews Therin Telamons, des Drachen, der einst vor Jahrtausenden sein Gefängnis versiegelte und dafür den höchsten Preis bezahlen musste. Sie berichtet von einem Mann, der sowohl der Vernichter als auch der Erlöser der Welt sein soll. Er kann die Eine Macht lenken und er ist der Wiedergeborene Drache, der Tarmon Gai'don schlagen soll, die Letzte Schlacht gegen den Dunklen König.
Rand al'Thor ist der Wiedergeborene Drache.
Man schreibt das Dritte Zeitalter seit der Zerstörung der Welt. Wieder strecken der Dunkle König und seine Vertrauten, die Verlorenen, die ihm schon in tiefer Vergangenheit zur Seite standen, die Hand nach der Welt aus. Horden nichtmenschlicher Trollocs und Myrddraals überziehen das Land mit Verwüstung, gelenkt von den Verlorenen, die nahezu unerkannt unter den Menschen wandeln, wo sie Unruhe schüren und Kriege auslösen.
Allein Rand al'Thor ist laut den Prophezeiungen dazu bestimmt, die Letzte Schlacht zu schlagen. Er beherrscht die Eine Macht, kann die Welt nach seinen Wünschen formen, und die Welt fürchtet ihn. Er hat treue Freunde um sich geschart, Nationen besiegt und Throne gestürzt. Er hat mächtige Feinde und zweifelhafte Verbündete, aber die größte Bedrohung ist die Eine Macht. Denn wie alle Männer, die sich der Macht bedienen, kämpft er gegen den Makel des Wahnsinns an, der die mystische Energie beschmutzt.
Wie die Eingeweihten wissen, besteht sowohl die Eine Macht als auch die Wahre Quelle, der sie entspringt, aus zwei widerstreitenden und sich dennoch ergänzenden Teilen: Saidin, der männlichen Hälfte, und Saidar, der weiblichen Hälfte. Die Energie versetzt einige wenige Menschen in die Lage, die Elemente Erde, Wind, Feuer, Wasser und Geist nach ihrem Willen zu beeinflussen und Heldentaten zu vollbringen. Im untergegangenen Zeitalter der Legenden nannte man diese Männer und Frauen Aes Sedai, was in der Alten Sprache ›Diener aller‹ bedeutet.
Als der Dunkle König, der im Augenblick der Schöpfung von dem Schöpfer des Universums außerhalb von Zeit und Schöpfung gefangen gesetzt wurde, aus seinem Gefängnis auszubrechen drohte und von Lews Therin Telamon, dem stärksten Aes Sedai seiner Zeit, besiegt wurde, geriet der triumphale Sieg zugleich zur verheerenden Niederlage. Im Augenblick der Versiegelung kam es zu einer Reaktion, die Saidin, die männliche Quelle der Einen Macht, mit einem Makel versah. Jeder Mann, der nach der Macht griff — was für ihn so natürlich war wie das Atemholen —, wurde wahnsinnig. Das hat sich bis auf den heutigen Tag nicht geändert.
Bei den meisten vollzieht sich das als schleichender Prozess. Bei Lews Therin Telamon, dem Drachen, war dies anders. Blindwütig in seinem Wahn, wandten er und seine Helfer sich mit der Macht gegen alle und jeden und schließlich gegen die Welt selbst. Erdbeben erschütterten das Land, Stürme fegten darüber hinweg, Vulkane brachen aus, der Ozean überschwemmte das Land. Reiche gingen unter und ganze Völker starben.
Nach dem Neubeginn hat sich das Antlitz der Welt verändert. Nun benutzen nur noch die weiblichen Aes Sedai die Eine Macht. Sie haben die Weiße Burg gegründet und seit jenen dunklen Tagen wachen sie unerbittlich darüber, dass sich kein Mann der Einen Macht bedient. Sie spüren sie auf und ›dämpfen‹ sie, schneiden sie vom Zugang zur Wahren Quelle ab, um Unheil zu verhindern.
Rand al'Thor hatte schon immer ein zwiespältiges Verhältnis zu den Aes Sedai, die von vielen als die wahren Herrscher der Welt gefürchtet und gehasst werden. Aber er ist der Wiedergeborene Drache, der wie kein Zweiter über die Eine Macht gebietet; er ist der Car'a'carn der Aiel, der Wüstennomaden, deren Clans ihm fast alle bis in den Tod ergeben sind; er ist der Begründer der Schwarzen Burg und der Asha'man, der Männer, die ungeachtet aller gegenteiligen Bemühungen gelernt haben, mit der Einen Macht umzugehen. Und er hat treue Verbündete, die in seinem Namen handeln.
Zermürbend bleibt der Kampf dennoch. So müsste er seine ganzen Kräfte darauf konzentrieren, sich auf Tarmon Gai'don vorzubereiten — die Letzte Schlacht. Doch für jeden Schritt, den er vorankommt, wird er zwei zurückgeworfen. Und manchmal geschehen Dinge, die völlig unerwartet kommen.
So wie in der großen Nation von Andor.
Königin Morgase aus dem Haus Trakand gilt als verschollen und tot. Andor ist ein Land in der Krise, seitdem der Verlorene Rahvin in der Maske von Lord Gaebril dort für Chaos gesorgt hat. Zwar konnte Rand den Verlorenen töten, aber das entstehende Machtvakuum vermochte er nicht zu füllen. Darum hat Elayne Trakand, Aes Sedai und Morgases Tochter-Erbin, ihren Anspruch auf den Löwenthron angemeldet und das Banner des Wiedergeborenen Drachen eingeholt. Sie will den Thron, so wie es ihr verbrieftes Recht ist. Aber man muss das Recht auch durchsetzen können. Caemlyn, die Hauptstadt von Andor, ist ein gefährliches Pflaster. Die anderen großen und mächtigen Adelshäuser des Landes intrigieren gegen Elayne. Die Aes Sedai Elaida, die durch einen Umsturz an die Macht gekommene Amyrlin-Sitz und damit derzeitige Beherrscherin der Weißen Burg, will sie unbedingt in ihre Gewalt bekommen.
Aber Elayne steht nicht allein da. Da sind ihre Behüterin Birgitte und ihre Freundin Aviendha, eine junge Frau aus dem Volk der wilden Aiel, die beide für sie ihr Leben geben würden. Und dann sind da noch jene Frauen aus Ebou Dar, die die Eine Macht lenken können und die vor der Invasion der Seanchaner geflohen sind. Einst auch unter der Bezeichnung Schwesternschaft bekannt, nennen sie sich die Kusinen, da sie nie die Möglichkeit hatten, in der Weißen Burg zur Schwester einer der Ajahs der Aes Sedai ausgebildet zu werden. Generationenlang boten die Kusinen ein Sammelbecken und Hilfestellung für Frauen, die den Anforderungen der Weißen Burg nicht gerecht und fortgeschickt wurden, so wie sie auch Ausreißerinnen aufnahmen, die die harte Ausbildung der Novizinnen nicht länger durchhielten. Die Weiße Burg vernichtete jede ähnliche Gemeinschaft von Frauen, aber die Kusinen ließ sie gewähren, denn so konnte sie sich die Jagd auf die Ausreißerinnen sparen und direkt in der Nähe von Ebou Dar suchen, wo sie dann auch oft genug fündig wurde.
Aber die Zeiten haben sich geändert. Die Kusinen vertrauen auf das Versprechen Elaynes, dass sie von der Weißen Burg nicht mehr als abtrünnige Wilde angesehen werden, die verbotenerweise und ohne richtige Ausbildung die Eine Macht ausüben, sondern als gleichberechtigte Frauen. Aber bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Zuerst muss Elayne den Thron für sich sichern —eine gewaltige Aufgabe. Aber sie hat ein Vorbild: ihre verstorbene Mutter, Königin Morgase.
Nur dass Morgase in Wahrheit noch unter den Lebenden ist. Nach langen, gefährlichen Irrfahrten stieß sie auf das kleine Expeditionsheer von Perrin Aybara, der im Auftrag des Wiedergeborenen Drachen in Amadicia unterwegs ist. Unter dem Namen Maighdin ließ sie sich als Dienerin von Perrins Frau Faile aufnehmen und hütete auch weiterhin ihr Geheimnis.
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