Elinborg öffnete den Umschlag, darin war ein Exposé mit einem Begleitschreiben.
„Liebe Frau Steinhausen,
ich bin ein großer Fan Ihrer Bücher! Ich liebe Kommissar Krassek! Neulich ist mir beim Bügeln eine geniale Idee gekommen: Wir beide könnten zusammen einen Krimi schreiben.
In dem beiliegenden Exposé habe ich bereits einen Handlungsentwurf geschrieben.
Kommissar Krassek ist einem Serienmörder auf der Spur, der ganz Berlin in Atem hält. Er selbst gerät in das Visier des Mörders. Mehr möchte ich nicht verraten, lesen Sie bitte selber. Ich bin sehr gespannt auf Ihre Meinung.
Viele liebe Grüße
Ihre Greta Lundgren“
Elinborg legte das Schreiben und das Exposé in eines ihrer Ablagefächer.
Als sie die ersten Briefe und Texte von Greta Lundgren erhielt, fühlte sich Elinborg geschmeichelt. Engagiert antwortete sie ihr mit ausführlichen Erklärungen und Kommentaren, die jedoch von Greta Lundgren keineswegs berücksichtigt wurden. Nichtsdestotrotz bildete sich Greta Lundgren ein, großes Talent zu haben und die zukünftige neue schwedische Bestsellerautorin zu sein. Allerdings war ihr Schreibstil alles andere als bestsellerverdächtig, wie Elin urteilte. Mittlerweile schrieb Elinborg ihr nicht mehr zurück.
Nach der Postbearbeitung postete die Krimiautorin etwas auf ihrer eigenen Website. Sie schaute aus dem Fenster und sah, dass die Sonne schien. Eigentlich müsste sie noch auf ihrer Facebookseite etwas posten, aber dazu hatte sie keine Lust mehr. Viel lieber würde sie jetzt die Zeit im Garten verbringen. Kurzerhand zog sie eine alte Jeans an und streifte sich Gartenhandschuhe über. Zum Ausgleich zu der Schreibtischarbeit war Elinborg nämlich gerne im Garten tätig. Während der Gartenarbeit ließ sie sich von der Natur inspirieren, deshalb lag immer ein Notizblock und ein Stift in Reichweite.
Ihr neustes Gartenprojekt in diesem Frühjahr war das Anlegen einer Blumenwiese. So grub sie an diesem regenfreien Apriltag, die von ihr im Garten ausgesuchte Fläche mit einem Spaten um. Als sie gerade die groben Erdklumpen zerkleinerte, rief ihr Mann Bernd von der Terrassentür ein „Hallo!“ zu. Sie winkte nur zurück, denn einen Begrüßungskuss gab es schon seit Jahren nicht mehr. Er verschwand wieder im Haus.
Mit einer Harke ebnete sie die Fläche. Während Elin das Saatgut in die Erde einharkte, stellte Bernd ein Weinglas auf den Tisch und setzte sich in einen Gartenstuhl. Er schlug die Tageszeitung auf und begann zu lesen.
Nachdem Elin die Gartengeräte zurück ins Gartenhäuschen gestellt hatte, fragte sie: „Wie kommt es, dass du schon zuhause bist? Ich hatte dich gar nicht so früh erwartet.“
Er antwortete hinter der Zeitung: „Die Verhandlung ist verschoben worden, da der Richter krank geworden ist. Sehr ärgerlich!“
Zu Elinborgs Überraschung erkundigte sich ihr Mann nach der Lesung in Aachen. Normalerweise interessierte sich Bernd nicht für ihre Schriftstellerarbeit, daher berichtete sie ausführlich: „Die Lesung hat wie immer viel Spaß gemacht. Es waren zwar nicht so viele Leute da, aber ich hatte den Eindruck, dass es Ihnen gefallen hat. Ich musste auch viele Bücher signieren. Nach der Lesung hat es sich ergeben, dass ich noch mit einem jungen Mann aus dem Publikum zusammen Mittag gegessen habe.“
Bernd trank einen Schluck Wein.
„Wirklich? Wer war denn dieser Mann?“
„Er heißt Lorenz Berringer und war sehr nett. Wir haben uns über Krimis unterhalten.“
Bernd schaute kurz hinter der Zeitung hervor: „Über was solltet ihr euch denn sonst unterhalten, als über Bücher. Übrigens: Der Wein ist ausgezeichnet. Wo hast du den gekauft?“
Elinborg stöhnte innerlich auf: „Das weiß ich nicht mehr. Es kann auch sein, dass der Wein ein Geschenk von Dietmar und Marianne war.“
Elinborg hatte das Thema Hillesheim bereits angesprochen, jedoch keine Antwort von ihrem Mann erhalten. Das missfiel ihr sehr, daher sprach sie es beim Abendessen erneut an.
„Wirst du nun mit nach Hillesheim kommen?“, fragte sie mit einem leicht genervten Unterton.
Bernd legte eine Scheibe Käse auf das Vollkornbrot und biss hinein, mit vollem Mund, fragte er: „Was war nochmal in Hillesheim? Eigentlich hatte ich mich mit Dietmar zum Golfen verabredet.“
„Hillesheim nennt sich selbst Krimihauptstadt Deutschlands. Der Ort ist hier in der Eifel, südlich von uns gelegen. Am kommenden Wochenende wird in dem bekannten Krimihotel ein Krimi-Schreibworkshop stattfinden. Ich bin als Beraterin eingeladen worden und lese aus `Endstation Alexanderplatz´ vor. Das Honorar ist zwar nicht der Rede wert, aber der Veranstalter bezahlt die Übernachtung.“
Bernd verdrehte die Augen: „Was ist ein Krimihotel?“
„Ein Hotel, in dem die Zimmer individuell eingerichtet sind. Ich oder wir würden im Kommissar Maigret-Zimmer übernachten.“
„Kommissar Maigret? Wer ist das denn?“
Bernd las keine Krimis, daher kannte er auch nicht die, von dem belgischen Schriftsteller Georges Simenon, ins Leben gerufene Figur.
Elinborg spülte ihre Verärgerung mit einem Schluck Kräutertee hinunter und klärte ihren Mann auf.
Genervt entgegnete Bernd: „Was soll ich so lange machen, wenn du bei diesem Schreibworkshop bist?“
„Du könntest in das Kriminalhaus mit dreißigtausend Krimis gehen oder in die ortsansässige Buchhandlung oder dich in ein Café setzen. Oder du könntest auch einfach nur spazieren gehen. Du musst dich auch mal entspannen und deine Gerichtsverfahren vergessen und golfen kannst du auch ein anderes Mal.“
Als ob er nur auf das Stichwort gewartet hätte, begann Bernd: „Die Bundesregierung hat endlich den Entwurf des Gesetzes zur Umsetzung der Vierten EU-Geldwäscherichtlinie beschlossen.“
„Ja und?“
„Das bedeutet, dass die Präventionsmaßnahmen gegen Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung gestärkt werden. Das ist ein großer Fortschritt!“
„Aha“, murmelte sie gleichgültig.
„Kommst du nun mit nach Hillesheim?“
Er brummte: „Meinetwegen.“
Bernd und Elinborg Steinhausen fuhren nach Hillesheim. Bernd parkte den Wagen auf dem Hotelparkplatz. Im Foyer des Krimihotels fand zuerst ein Come together statt. Auf Stehtischen standen Kaffee, Tee und Kekse. Frau Bergmaier, die Organisatorin des Schreibworkshops begrüßte sie und Bernd. Elin schaute sich im Foyer um und schätzte die Teilnehmerzahl auf fünfundzwanzig, vorwiegend Frauen. Kurz darauf winkte ihr fröhlich eine Frau mit einer platinblonden Kurzhaarfrisur zu. War das ihre Freundin Margriet?, fragte sich Elin im ersten Moment. Als die Frau näher zu ihr kam, erkannte sie, dass es nicht ihre Freundin war. Diese Frau hatte nur sehr viel Ähnlichkeit mit ihr.
„Guten Tag Frau Steinhausen! Als ich auf Ihrer Website las, dass Sie dieses Wochenende in Hillesheim sind, habe ich mich sofort angemeldet,“ erklärte sie und schüttelte überschwänglich ihre Hand. Bernd, der neben ihr stand, meinte: „Ich gehe uns an der Rezeption anmelden. Das Gepäck werde ich dann auch auf unser Zimmer bringen. Bis gleich!“
„Okay“, erwiderte Elin.
Elin überlegte wer diese Frau sein könnte. Sie war klein, höchstens 1,60 m. Ihre auffälligen Ohrringe pendelten, während sie sprach. Die Frau schaute Elinborg erwartungsvoll mit einem Lächeln an: „Sicher wissen Sie nicht wer ich bin, oder?“
Verlegen lächelte die Autorin zurück: „Nein, tut mir leid.“
„Ich bin Greta Lundgren“, stellte sich die Frau mit einem leichten Akzent vor.
„Frau Lundgren. Endlich lernen wir uns persönlich kennen.“
„Ich freue mich sehr Sie persönlich zu treffen. Neulich habe ich Ihnen ein Exposé geschickt. Haben Sie es schon gelesen?“
„Nein. Tut mir leid. Bis jetzt hatte ich keine Zeit dazu.“
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