»Hinauf, Herr Wilson«, sagte der Kapitän zu dem zweiten Leutnant, »und sehen Sie, wie weit das Land sich vorstreckt, und ob Sie die Spitze unterscheiden können.«
Der zweite Leutnant stieg die Haupttakelung hinan und zeigte mit seiner Hand auf ungefähr zwei Windstriche vor dem Maste.
»Sehen Sie zwei Hügel im Binnenlande?«
»Ja, Sir«, versetzte der zweite Leutnant.
»Dann ist es so«, bemerkte der Kapitän dem Schiffsmeister, »und wenn wir es umsegeln, so werden wir mehr offene See haben. Haltet den Schnabel voll und laßt ihn durchs Wasser gehen, hört Ihr, Quartiermeister?«
»Ja, Sir.«
»So und nicht näher, Mann. Hebt mit eine oder zwei Speichen, wenn das Schiff aufwirft; aber gebt acht, oder es nimmt Euch das Rad aus der Hand.«
Es war in der That ein furchtbarer Anblick. Als das Schiff in der hohlen See daherfuhr, konnten wir nichts als eine stürmische Wasserwüste unterscheiden, aber wenn es auf der Spitze der ungeheuern Wogen tanzte, sah man unter sich, scheinbar ganz nahe, eine niedrige sandige Küste, mit Schaum und Brandung bedeckt.
»Die Fregatte hält sich gut«, bemerkte der Kapitän, indem er an dem Steuerhäuschen Halt machte und auf den Kompaß schaute. »Wenn der Wind sich nicht gegen uns dreht, so können wir herumkommen.«
Der Kapitän hatte kaum Zeit, diese Bemerkung zu machen, als die Segel sich füllten und gleich dem Donner krachten.
»Hinauf mit dem Steuer! wie steht es, Quartiermeister?«
»Der Wind weht uns ins Gesicht, Sir«, versetzte der Quartiermeister kaltblütig.
Der Kapitän und der Schiffsmeister blieben an dem Steuerhäuschen, um den Kompaß zu beobachten; als die Segel sich wieder füllten, war die Fregatte um zwei Windstriche abgewichen und die Landspitze nur ein wenig an der Leeseite.
»Wir müssen umlegen, Herr! Hand angelegt! Wendet das Schiff – fertig, he, fertig!«
»Es kommt wieder herauf«, schrie der Schiffsmeister, welcher an dem Binnakel stand.
»Haltet fest hier eine Minute. Wie steht nun seine Spitze?«
»Nordnordost, wie sie war, ehe sie abwich, Sir.«
»Pfeift zum Belegen«, sagte der Kapitän. »Falkon«, fuhr er fort, »wenn sie noch einmal abweicht, so haben wir keinen Raum zum Vieren mehr, es ist in der That so wenig Raum hier, daß ich es auf die Gefahr hin wagen muß. Welches Kabel wurde letzte Nacht aufgerollt – der beste Buganker?«
»Ja, Sir.«
»Dann eilen Sie hinab, und sehen Sie, daß er doppelt umschlungen und auf dreißig Faden gestoppt wird. Sehen Sie zu, daß es sorgfältig geschieht, unser Leben hängt davon ab.«
Das Schiff hielt fortwährend seinen guten Lauf; wir waren eine halbe Meile von der Spitze entfernt und hofften zuversichtlich, sie zu umsegeln, als die nassen und schweren Segel wieder im Winde kappten und das Schiff wie vorher um zwei Striche abwich. Die Offiziere und Matrosen erblaßten, denn das Schiff ging gerade auf die Brandung los.
»Angeluvt, so viel als möglich, Quartiermeister!« schrie der Kapitän, »die Mannschaft sogleich aufs Hinterdeck! Meine Jungen, jetzt ist keine Zeit zum Sprechen, ich will das Schiff klubholen, denn zum Vieren ist kein Raum; die einzige Möglichkeit eurer Rettung besteht darin, daß ihr kaltblütig seid, in meinen Augen lest und meine Befehle genau vollzieht. Auf eure Posten zum Schiffwenden! Den besten Buganker herbei. Herr Wilson, Sie bleiben unten mit dem Zimmermann und seinem Gehilfen, und sind bereit, sogleich das Tau zu kappen, wenn ich den Befehl gebe. Alles still vorn wie hinten! Quartiermeister, haltet das Schiff voll für die Stagsegel. Laßt das Steuer nach, wenn ich es sage.«
Ungefähr eine Minute verging, ehe der Kapitän weitere Befehle gab. Das Schiff hatte sich ungefähr eine Viertelmeile dem Strande genähert, die Wogen umschäumten und berührten uns, indem sie uns der Küste zuführten, welche eine zusammenhängende Oberfläche von Schaum darstellte, und sich ungefähr eine halbe Kabellänge von unserem Standorte erstreckte, bis zu welcher Entfernung die ungeheuren Wogen sich auftürmten und mit Donnergeräusch niederfielen. Der Kapitän winkte dem Quartiermeister am Rade schweigend mit der Hand, und das Steuerruder wurde niedergelassen. Das Schiff wandte sich langsam dem Winde zu, und stürzte, sobald man die Segel luvwärts brasste. Als es seinen Weg verloren hatte, gab der Kapitän Befehl: »den Anker los! wir wollen alle auf einmal ziehen, Herr Falkon.«
Kein Wort wurde gesprochen, die Matrosen gingen an die Vorderbrassen, welche nicht bemannt waren; die meisten derselben wußten (was bei mir nicht der Fall war), daß, wenn das Schiff sich nicht anders wende, wir in einer halben Minute an der Küste mitten in der Brandung sein würden. Ich glaubte, der Kapitän hätte gesagt, er wolle alle Raaen auf einmal anziehen lassen; hierbei schien sich auf dem Gesichte des Herrn Falkon Zweifel oder eine andere Meinung auszudrücken, und man sagte mir nachher, daß er nicht mit dem Kapitän übereinstimmte; aber er war ein zu guter Offizier und wußte, daß jetzt keine Zeit zu Erörterungen sei, um eine Bemerkung zu machen, und der Erfolg bewies, daß der Kapitän recht hatte. Endlich wandte sich das Schiff gegen den Wind und der Kapitän gab das Zeichen. Die Raaen flogen mit solchem Krachen herum, daß ich dachte, die Masten seien zerbrochen, und im nächsten Augenblick hatte der Wind die Segel gefaßt; das Schiff, welches ein paar Minuten auf ebenem Kiel gewesen war, legte sich durch seine Gewalt bis ans Schanddeck auf die Seite. Der Kapitän, welcher auf dem Wetterseiten-Hängemattengitter stand, hielt sich an der Takelung fest, befahl, das Steuerruder in der Mitte des Schiffes zu halten, sah fest auf die Segel und dann auf das Kabel, welches breit auf der Luvseite hervorkam, und hielt das Schiff ab, sich der Küste zu nähern. Endlich rief er aus: »Kabel gekappt!« Es wurden ein paar Streiche von den Äxten gehört und dann fuhr das Kabel infolge der Reibung mit heller Flamme durchs Ankertauloch und verschwand unter einer furchtbaren Welle, welche uns an den Halsenblock warf, und vorn und hinten mit Wasser überschüttete. Das Schiff hatte nun eine andere Wendung und hielt seinen Lauf wieder, während unsere Entfernung vom Lande offenbar zunahm.
»Meine Jungen«, sagte der Kapitän zu der Schiffsmannschaft, »ihr habt euch gut gehalten, ich danke euch, allein ich muß auch ehrlich bekennen, daß wir noch mehr Schwierigkeiten durchzumachen haben. Wir müssen in dieser Richtung eine Spitze der Bai umsegeln, Herr Falkon, splissen Sie die große Brasse und rufen Sie die Wache. Wie steht der Schnabel, Quartiermeister?«
»Südwest bei Süd, südlich, Sir.«
»Sehr wohl; laßt ihn durchs Wasser gehen.«
Mit diesen Worten ging der Kapitän, indem er dem Schiffsmeister winkte, ihm zu folgen, in die Kajütte hinab. Da die augenblickliche Gefahr vorbei war, begab ich mich ebenfalls in die Kajütte, um zu sehen, ob ich nicht etwas zum Frühstück erhalten könnte, und fand daselbst O'Brien mit einigen andern.
»Bei Gott, es war ein so hübsches Ding, wie ich je eines ausführen sah«, bemerkte O'Brien; »das geringste Versehen in der Zeit oder Behandlung – und die Plattfische würden jetzt an unsern häßlichen Leichnamen nagen. Peter, mein Junge, bist Du Liebhaber von Plattfisch? Danken wir dem Himmel und dem Kapitän, das kann ich euch sagen, meine Jungen; aber wo ist die Karte, Robinson? Reich mir das Parallellineal und den Zirkel, Peter; sie liegen in der Ecke des Simses. Wir sind nun verteufelt nahe an dieser höllischen Spitze. Wer weiß, wie die Richtung ist?«
»Ich, O'Brien; ich hörte den Quartiermeister zum Kapitän sagen, Südwest bei Süd, südlich.«
»Laß mich sehen«, fuhr O'Brien fort, »Abweichung 2¼ Strich Leeseite, zu viel angenommen, fürchte ich; doch will ich ihm 2½ Strich geben. Die Diomede würde erröten, unter allen Umständen mehr als diese zu machen. Den Zirkel her, ich will sehen;« und damit rückte O'Brien das Parallellineal von dem Zirkel an die Stelle, wo das Schiff auf der Karte verzeichnet war; »potz tausend, ich hoffe, es ist so viel, als es thun kann, wenn es in dieser Richtung die andere Spitze umsegelt, und dies meinte der Kapitän damit, als er sagte, wir hätten noch mehr Schwierigkeiten zu überwinden. Ich könnte einen Eid auf die Bibel schwören, daß wir ganz aus der Klemme sein werden, wenn der Wind hält.«
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