1 ...7 8 9 11 12 13 ...22 »Kein Wort.«
»Wäre auch zu schön gewesen, wenn der Kerl uns weiterhelfen würde.«
Die Worte versetzten Metatron einen Stich. Einerseits, weil sich Engel so nicht über Gott zu äußern hatten, andererseits, weil die Bezeichnung an sich einfach nicht passte. Unabhängig davon, ob sie schon einmal Kontakt mit Gott gehabt hatten, alle Engel wiesen ihm immer das Geschlecht zu, das sie selbst hatten. Für Michael mochte es richtig sein, Gott so zu bezeichnen, aber für Metatron wollte es beim besten Willen nicht stimmen. Er war kein Kerl, kein Mann und sich bis heute nicht einmal sicher, ob es überhaupt ein Wort für sein Geschlecht gab, abgesehen von Nein.
Er zwang seine Gedanken zurück zum eigentlichen Thema. »Wenn Luzifer immer noch nicht frei ist, dann ist entweder seine gesamte Methodik falsch oder der Mensch, der den Schutzengel getötet hat, hat einen Fehler gemacht.«
»Denken wir auch«, pflichtete Michael ihm bei. »Wir gehen von Letzterem aus, weil er sich wohl generell seltsam verhalten hat.«
›Also hat Luzifer Pech gehabt‹, dachte Metatron. ›Oder wir Glück. Je nachdem.‹ »Ich kann mir nicht vorstellen, wie wütend er jetzt sein muss.«
»Soll er in der Hölle verrotten«, erwiderte Michael mit einem tiefen Grollen in der Stimme. Er ballte beide Hände zu Fäusten, sodass seine Knöchel jede Farbe verloren. »Und sobald er einen Schritt in den Himmel setzt, bekommt er es mit mir zu tun, das schwöre ich bei Gott.«
Metatron sollte ihm in der Hinsicht uneingeschränkt zustimmen, immerhin handelte es sich hier um den größten Sünder aller Zeiten. Er überredete sich zu einem Nicken. »Pass dann nur auf dich auf.«
»Ich lass mir nicht noch mal den Rücken brechen.«
Metatron wandte den Blick ab und kämpfte mit dem Verlangen, sich zu entschuldigen. Luzifers Hass hatte sich damals ausschließlich gegen ihn gerichtet, doch anstelle sich selbst zu wehren, hatte Metatron Michael auf ihn losgelassen. Er war für so vieles verantwortlich, aber die Schuld schnürte ihm seit Jahrhunderten die Kehle zu.
»Wir sind noch knapper an einer Katastrophe vorbei als letztes Mal«, sagte Michael. »Wenn das so weitergeht, dann haben wir kein drittes Mal Glück.«
»Remiel soll ihre Schutzengel so schnell wie möglich unter Kontrolle bekommen.«
Michael grinste schief. Wenn er gute Laune hatte, machte er kaum ein anderes Gesicht. Aber wenn er gute Laune hatte, traf man ihn auch nicht hier. »Glaub mir, die Arme tut schon alles, was in ihrer Macht steht. Du weißt, wie lange Gabriel sich mit ihr das letzte Mal unterhalten hat.«
Und wie kleinlaut sie in den Wochen danach gewesen war. Es hatte Metatron ein wenig verstört.
»Aber davon abgesehen, was schlägst du vor, wie wir damit umgehen sollen?«, fragte Michael. »Wie gesagt, die Erde wird gerade gründlich abgesucht. Vielleicht kriegen wir auch noch was aus Dämonen raus, aber die will ich lieber aus der Sache heraushalten.«
»Besser ist das«, antwortete Metatron. Niemand setzte sich gerne mit Dämonen auseinander.
»Ehrlich gesagt macht mir der Mensch ansonsten am meisten Kopfschmerzen. Es kann sein, dass er Luzifer doch befreit, wenn er noch mal einen Engel töten kann. Aber selbst wenn nicht, wer weiß, was noch alles anders bei ihm ist.«
Da lag das eigentliche Problem. Bislang hatten sie Luzifers Diener machen lassen, weil sie sich vorhersehbar verhielten und sich der Schaden in relativen Grenzen hielt. Sie der Reihe nach zu töten wäre ein größeres Risiko, als hin und wieder einen Menschen zu verlieren. Metatron hasste diese Denkweise, aber im Großen und Ganzen war sie richtig und zudem von Gott abgesegnet worden. Ihm blieb nichts anderes übrig, als sie zu vertreten.
»Vielleicht hat Luzifer ihn mittlerweile umgebracht.« Michael warf einen Blick auf den Aktenstapel neben sich und seufzte tief, als legte er im Geiste noch einmal einen halben Meter obendrauf. »Ich kann trotzdem Attentäter bereithalten und ihn töten lassen, wenn er noch mal auf der Erde auftaucht.«
»Ist das nötig?«
»Es würde die Zweifel aus dem Weg schaffen.«
Metatron schüttelte den Kopf. »Noch nicht.«
Michael machte ein Gesicht, als hätte er einiges dazu zu sagen. Metatron war sich bewusst, dass ihm die Entscheidung nicht gefiel und der Mehrheit der Erzengel wahrscheinlich auch nicht, aber solange er sie begründen konnte, blieb er dabei.
»Vielleicht ist er wirklich harmloser als die anderen«, sagte er. »Dann kann er auch am Leben bleiben. Und Luzifer wird jetzt erst recht alles daran setzen, noch einen Engel zu fassen zu bekommen, da können wir ihm sein Ziel nicht auch noch auf dem Silbertablett präsentieren«
»Soll er kommen«, murmelte Michael. Metatron glaubte nicht, dass er das hatte hören sollen. »Wie du meinst, wir warten und beobachten. Aber sobald er zu sehr aus der Reihe fällt, töten wir ihn.«
›Noch eins von diesen notwendigen Opfern‹, dachte Metatron und erinnerte sich, wie Michael ihm das als Kind beigebracht hatte.
»Bekommt ihr das alleine hin?«, fragte er, der Höflichkeit halber. Länger als nötig wollte er eigentlich nicht bleiben.
»Wir haben jetzt unsere Anweisungen, wir kommen zurecht«, antwortete Michael. »Danke, dass du dir die Zeit genommen hast, so plötzlich wie das kam.«
»Ist schon in Ordnung.« Metatron zwang sich zu einem Lächeln, das der gesamte Himmel für ehrlich hielt. Aber der gesamte Himmel ging auch zu Recht davon aus, dass er nicht mehr lügen konnte. »Bleibst du noch lange hier?«
»Ich will wenigstens ein bisschen schaffen«, erwiderte Michael und stieß einen tiefen Seufzer aus. »Kann die Leute ja nicht ewig warten lassen, wenn sie sich schon an mich gewandt haben.«
»Brauchst du später Hilfe?«
Metatron wusste, dass Michael die Frage hasste. Von ihm ließ er sie sich aber immerhin gefallen und er wusste, dass er sie stellen durfte.
»Jophiel holt mich heute Nacht ab«, antwortete der Heerführer. »Er bringt mich runter nach Hause und sieht zu, dass ich mir nichts tue. Niemand muss sich Sorgen machen.«
Sein zynischer Tonfall tat weh, auch wenn er längst nichts Neues mehr war. Wieder verdrängte Metatron eine Entschuldigung. Sie konnte noch so ehrlich sein, gerade nützte sie nichts.
»Gut«, sagte er stattdessen. »Sobald ich kann, komme ich noch einmal zu euch. Ich weiß, Gabriel will, dass ich mich beeile, aber…«
»Es geht nicht anders.« Michael legte eine Hand auf Metatrons Unterarm – er fuhr zusammen, ließ es aber geschehen und konnte sich mit Mühe überzeugen, dass ihm niemand etwas tun würde. Gottes Stellvertreter sollte unberührbar sein. Volksnah und doch nicht zu erreichen. »Entgegen allgemeiner Behauptungen können die Erzengel warten. Wenn du es nicht schaffst, dann schaffst du es eben nicht. Wir sind nicht deine einzige Aufgabe.«
Metatron nickte. Auf dem Rückweg würde er versuchen, sich das einzureden und wie immer erfolgreich daran scheitern. Es sprach für Michaels Optimismus, dass er es trotzdem immer wieder wiederholte.
»Und pass auf dich auf, ja?«
»Du auch.«
Da war es wieder, das schiefe Grinsen. »Immer doch.«
Irgendwann hielt sich vielleicht einer von ihnen daran.
9
Metatron
1138 Jahre vorher
Himmel
Das Ziehen in Metatrons Verstand verriet ihm nur, dass Gott ihn sprechen wollte. Über was genau, blieb wie immer ein Rätsel. Er machte sich mittlerweile nicht mehr allzu viel aus dieser Tatsache, sondern vertraute darauf, das Wichtigste früh genug gesagt zu bekommen. Fragen beantwortete Gott ohnehin nur in den seltensten Fällen.
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