Mich trifft diese Absage so sehr, dass ich nicht einmal antworten kann. Am Abend heule ich mich bei John aus: »Mein Geburtstag war der letzte gemeinsame Abend, den ich mit ihr verbracht habe. Damals hat sie mir noch bestätigt, dass wir unbedingt wieder öfter etwas zusammen unternehmen sollten. Stattdessen sehen wir uns nach wie vor kaum.« Ich hole kurz Luft, kann mich aber kaum beruhigen: »Und warum kann sie unser Heft nicht auch mal liken oder teilen? Ich habe doch auch jahrelang Werbung für ihre Klamotten gemacht. Viele meiner Freunde haben heute ihre Jacken an. Meine Schwester hat sich sogar Zeit genommen, Linda beim Entwerfen ihres Logos zu helfen. Hat sie das alles vergessen?«
John nimmt mich in den Arm und versucht mich zu trösten: »Jetzt mach dich doch nicht so fertig, so ist die Branche eben. Linda passt da sehr gut rein, so oberflächlich wie sie scheinbar geworden ist. Das hat bestimmt nichts mit dir zu tun.« »Aber ich versteh das nicht und ich vermisse sie! Es ist doch verrückt, wir hatten mehr Kontakt als ich noch zweihundert Kilometer weit weg gewohnt habe. Wenn sie wenigstens mit mir reden oder mal vorbeikommen würde. Wir wohnen nur fünf Minuten voneinander entfernt, sie geht mehrmals die Woche unter uns im Laden einkaufen.« Ich versuche mich zu beruhigen, doch ich schaffe es nicht. Jetzt zurückzuschreiben wäre jedoch falsch, da stimme ich John zu.
Die Jungs sind an diesem Wochenende bei ihrem Vater. Verlosen können wir Lindas Karten jetzt auch nicht mehr. Wir verschenken sie vor Ort. Das Pärchen freut sich und John ist sich sicher, die kaufen dafür unsere nächste Ausgabe. Mir persönlich wäre ein gemeinsamer Abend mit Linda wichtiger.
Es ist kalt geworden, ich habe nur eine dünne Bluse an. Wenigstens müssen wir uns nicht in der langen Schlange anstellen, mit VIP Karten dürfen wir an allen vorbei. Drinnen schauen wir uns um und suchen die zugesagten großen Plakate und Aufsteller mit unserem Logo, finden jedoch nichts dergleichen. Auch die Goodie Bags liegen nicht wie besprochen auf jedem Platz. John vermutet, dass die erst beim Rausgehen verteilt werden. Wegen der fehlenden Logos will er sich nächste Woche beschweren. »Und warum machst du das nicht gleich? Hier kannst du es ihnen doch direkt sagen.« »Das bringt nichts, Süße. Ändert zum jetzigen Zeitpunkt eh nichts und bringt nur Unruhe rein. Lass uns den Abend genießen.«
Die Show, mhm, naja, erklärt zumindest warum sie SECRET Fashion Show heißt. Es sind echt Leihen am Werk. Sonderlich elegant wirkt es nicht, wie die Möchtegern-Models da zum Teil über den Teppich wackeln. Die beste Show bei weitem liefert der Star des Abends: Jason Müller. Ihn treffen wir später bei der VIP-Party. Ein toller Typ! John stellt mich als seine Freundin vor. Ich bin glücklich.
Wieder denke ich an Linda. Schade, dass sie nicht da ist, für sie wäre die After-Party der richtige Zeitpunkt, um neue Kontakte zu knüpfen. Wir gehen raus auf den Balkon, dort trifft John einen Kumpel von früher. Plötzlich sehe ich ihn das erste Mal mit Zigarette im Mund. Er hatte mir damals im Knast versprochen, dass er nie im Leben vor mir rauchen würde. Meine Stimmung kippt, außerdem ist mir kalt und ich komme mir in dem Moment ein wenig verlassen vor. Ich schaue auf mein Handy. Linda hat geschrieben, vor drei Stunden:
Hast du Lust zum Turnen bei uns in den Keller zu kommen? Wir haben eine Trainerin da. Pro Person sechs Euro.
Entsetzt schreibe ich zurück, ob es ihr Ernst ist, dass sie uns wegen Turnen für heute Abend abgesagt hat. Daraufhin lese ich Folgendes:
Liebe Lara, entschuldige bitte, dass ich bei unserem vollen Terminkalender eure komische Fashion Show vergessen habe. Ich wollte dir einfach nur was Gutes tun. Deswegen die Einladung! Und ja, mein Körper ist mir in der wenigen Zeit, die ich momentan frei habe, wichtiger. Schönen Abend!
Wie bitte, ich bin sprachlos. Was ist denn mit Linda los? Was ist nur passiert, seit wir hier wohnen? Selbst John ist perplex über diese Antwort. Er meint, ich soll die Nachricht einfach ignorieren. Ich möchte den Rest des Abends Spaß haben, doch meine Gedanken schweifen ständig ab. Gegen eins ist John bereit zu gehen.
Beim Verlassen des Gebäudes kommen uns zwei Mädels entgegen, die Goodie Bags mit unserem Logo in der Hand haben. So erfahren wir, dass diese Beutel an der Kasse hingen, aber nur auf Nachfrage herausgegeben wurden. Die meisten Gäste haben sie also nie bekommen. John ist sauer, er hat offenbar für den Druck zahlen müssen. Als ich das höre, werde ich wütend. John zahlt weder Miete noch beteiligt er sich an unseren Kosten. Stattdessen gibt er ständig Geld für irgendwelche Flyer, massenhafte Visitenkarten oder jetzt auch noch diese bescheuerten ungenutzten Beutel aus.
»Was regst du dich denn so auf? Wir waren mit unserem Logo auf jeder einzelnen Eintrittskarte, drinnen wurde unsere Zeitschrift verteilt und wir haben super Kontakte gemacht. Selbst Jason Müller möchte bei uns ins nächste Heft. Weißt du, was das heißt? Der Mann hat über dreißigtausend Follower.« Ich winke ab: »Ich habe gerade siebentausend Euro für die Druckerei bezahlt, zusätzlich zu allem, was ich eh schon für dich und die Firma aufbringen muss. Für jeden Blödsinn gibst du Geld aus, nichts davon besprichst du mit mir und ich bin seit Jahren dein finanzieller Backup. Ich hoffe wirklich, dass du recht behältst und die Veranstaltung bringt uns am Ende neue Kunden. Und zwar Kunden, die für Werbung auch mal zahlen.« Letzteres kann ich mir nicht verkneifen.
John geht darauf gar nicht ein, gibt mir nur deutlich zu verstehen, dass ich meinen Ärger über Linda nicht an ihm auslassen soll und für ihn war es ein sehr wichtiger Abend.
Endlich wieder daheim, falle ich hundemüde ins Bett. John möchte mir unbedingt noch eine Massage geben. Gleichzeitig haucht er mir ins Ohr, wie sehr er mich liebt, wie sehr er sich auf unsere gemeinsame Tochter freut, und einmal mehr, dass wir das Beste sind, was ihm passieren konnte. Ich schiebe ihn von mir weg. Zwei Minuten später höre ich ihn schlafen.
Montagmorgen bitte ich John wegen der Goodie Bags nachzuhaken und warum in der ganzen Halle weder unsere Aufsteller noch unsere Plakate zu sehen waren. John nickt und geht nach oben ins Büro.
Als ich vom Kindergarten zurückkomme, berichtet John ungefragt: »Dem Veranstalter tut es leid, es ist scheinbar bei der Lieferung irgendetwas schiefgegangen. Inzwischen sind die Plakate eingetroffen.« »Na toll, kriegen wir dann wenigstens die Kosten erstattet.« »Ja klar, das steht doch außer Frage. Der Typ hat sich mehrfach bei mir entschuldigt und lädt uns definitiv zur nächsten großen Show dazu. Aber weißt du was? Das war jetzt ohnehin unser Sprungbrett zur ganz großen Bühne. Die ersten VIPs sind auf uns aufmerksam geworden. Unser Link zur Secret Fashion Show wird im Netz geteilt wie wild.« Ich möchte es John glauben.
Auch die offiziellen Bilder der Show sind inzwischen online. Wir werden bei allen Posts als Sponsor erwähnt. Die Likes klettern weiter in die Höhe. Allein in der darauffolgenden Nacht steigen unsere Follower um achthundert Fans. Aufgeregt zeige ich es John: »Schau mal, das kann doch gar nicht sein, oder?« Er grinst nur: »Hast du jemals an mir gezweifelt, Süße?« »Nein, natürlich nicht. Wie könnte ich?«, zwinkere ich sarkastisch.
Inzwischen rückt der Abgabetermin für unser nächstes Heft immer näher. Das Shooting läuft ähnlich ab wie bei der ersten Ausgabe. Wieder arbeitet die Fotografin samt Team kostenlos für John. Er möchte sie, wenn unser Heft irgendwann richtige Gewinne erzielt, entsprechend honorieren. Klingt zwar anders als sein: »Ich habe noch nie für Fotografen zahlen müssen«, aber für mich definitiv einleuchtender.
Dieses Mal fährt die Fotografin am Tag vor dem Shooting sogar extra noch mit dem Model zum Shoppen, kauft für fünfhundert Euro ein Kleid und will es am nächsten Tag zurückbringen. Ich bin überrascht, als John mir erzählt, auch das wäre in der Branche so üblich. Die Designer sind doch happy, auf dem Titelblatt einer internationalen Zeitschrift zu erscheinen. Umso besser denke ich, ganz abgesehen davon, dass wir uns fünfhundert Euro für ein Kleid gar nicht leisten könnten.
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