Es stimmt also doch, George Clooney ist in unserem Heft vertreten. John hat die Rechte für mehrere Fotos von ihm bekommen. Er darf selbst auf der Coverseite mit George Clooney werben. Trotzdem frage ich mich: Die Leser sind doch nicht blöd, die sehen doch auch, dass diese Bilder von einer anderen Werbeplattform stammen, oder nicht? In Johns Text klingt es gerade so, als hätten wir ein Fotoshooting mit George Clooney persönlich gemacht. Sein Beitrag jedenfalls wird innerhalb weniger Stunden x-fach geliked und geteilt.
In drei Tagen ist Abgabe bei der Druckerei. John arbeitet seit gestern rund um die Uhr. Auch ich lese in jeder freien Minute Korrektur, einschließlich abends, wenn die Jungs im Bett sind. Todmüde mache ich weit nach Mitternacht das Licht aus. John ist noch immer oben im Büro. Wenig später geht die Türe auf. »Süße, ich kann es noch gar nicht glauben. In nicht einmal einer Woche erscheint unser Heft in den Läden. Dann haben wir endlich wieder mehr Zeit für unser Nesthäkchen.« Liebevoll kriecht er zu mir unter die Bettdecke. Wir genießen die Ruhe und die momentan wenige Zeit für uns. Später geht John wieder hoch ins Büro. Er möchte noch unsere angestrichenen Fehler ausbessern, das sei ihm jetzt wichtiger als zu schlafen. Keine Ahnung, woher er diese Energie nimmt.
Momentan mag ich mir gar nicht vorstellen, dass wir schon in zwei Monaten die nächste Ausgabe rausbringen wollen. Doch John weiß mich zu beruhigen: »Mach dir keine Sorgen, Süße. Nur im ersten Heft steckt so extrem viel Arbeit, da ich das Format erst aufbauen musste. Außerdem war das Anschreiben der ganzen Erstkontakte, wie Druckereien, Fotografen und Journalisten extrem zeitaufwendig. Aber all das wird ab jetzt wieder zur Routine.« Das stimmt, insbesondere bei der Suche nach der richtigen Druckerei gingen viele Wochen ins Land. John wollte einfach nicht denselben Fehler machen wie damals und hat akribisch im Netz recherchiert.
Sei’s drum, der Termin morgen bei der Druckerei steht. Doch langsam werde ich ungeduldig. Bisher hat John keinerlei Andeutungen gemacht, dass einer seiner Kunden bereits bezahlt hat. Auch im Heft sehe ich nicht annähernd die Werbeseiten, von denen er nach der Messe gesprochen hat. Auf mein Nachfragen hin, rudert John ein wenig zurück: »Die meisten meiner Kontakte müssen nun doch die erste Zeitschrift abwarten, bevor sie buchen dürfen. Das ist leider alles viel strenger geworden als früher. Damals hat ein Handschlag auf der Messe ausgereicht, heute sitzt das Geld für Marketing scheinbar nicht mehr so locker. Aber ist nicht so tragisch, alle haben mir zugesagt, dass sie ab der zweiten Ausgabe einsteigen dürfen.«
Am späten Abend, ich bin gerade am Einschlafen, kommt John ins Schlafzimmer und bittet mich diese letzten zwei Seiten noch Korrektur zu lesen. Schlaftrunken mache ich das Licht an und setze mich noch einmal eineinhalb Stunden hin, um jeden Fehler zu markieren. John geht sie anschließend am Rechner ausbessern und kommt danach zu mir ins Bett. Erschöpft aber glücklich schlafen wir gemeinsam ein.
Endlich ist der große Tag gekommen. Das Heft ist abgeschickt und es gibt kein Zurück. Somit haben wir genau drei Monate nach Johns Entlassung unsere erste Zeitschrift auf dem Markt.
Um neun war Abgabe, halb zehn ruft die Druckerei an. Sie können erst anfangen zu drucken, wenn die siebentausend Euro Anzahlung überwiesen sind. »Und wie willst du das jetzt machen?«, frage ich erstaunt. »Das weiß ich auch nicht, von einer Anzahlung war bisher nie die Rede. Früher habe ich das immer im Anschluss per Rechnung von den Einnahmen bezahlt. Aber das Heft muss dringend auf den Markt! Unsere Vertriebsfirma ist ebenfalls bereits gebucht.« »Oh man«, springe ich entsetzt auf. »Das kann doch nicht dein Ernst sein! Unsere viele Arbeit, so lange haben wir auf diesen Tag gewartet. So was muss man doch vorher abklären! Und was machen wir jetzt?« John zuckt nur mit den Schultern.
Ich kann das gerade echt nicht glauben, ich muss mich setzen. Dann rede ich mir ein, wir sind eine Familie, am Ende des Tages ist es doch egal, von welchem Konto was gerade kommt. Ich ringe mich also dazu durch, diese Kosten auch noch zu übernehmen. Bringt ja jetzt nichts, hier sinnlos rumzusitzen und zu warten. Auf was auch? Woher soll John das viele Geld nehmen? Das Heft ist fertig und muss verkauft werden! Hauptsache, seine Kunden zahlen bald.
Mein Spontanbesuch bei Linda
Vier Tage später klingelt es an der Haustür. Ich kann es nicht glauben, es ist ein Vollstreckungsbeamter. Er will John sprechen und hat eine Rechnung von etwas über tausend Euro in der Hand. Dieser offene Betrag stammt wohl noch aus der Zeit vor seiner Inhaftierung.
Die beiden gehen ins Nebenzimmer. Dort besprechen sie die Details, wie John mit kleinen monatlichen Beträgen diese und scheinbar noch einige andere offene Rechnungen abzahlen kann. Nach meinem anfänglichen Schock bin ich schließlich beruhigt, es handelt sich um monatlich fünf Euro, die John jetzt eben auch noch abstottern muss.
Zuletzt geht der Gerichtsvollzieher in jedes Zimmer. Es läuft ab wie im Fernsehen, nicht einmal das Kinderzimmer lässt er dabei aus. Oben im Büro deutet er fragend auf den iMac mit dem riesigen Bildschirm und dem All-In-One-Drucker. »Sieht beides ganz neu aus. Sind das Ihre Besitztümer, Herr Jackson?« »Nein!«, antwortet John bestimmt. »Alles hier in dieser Wohnung gehört meiner Lebensgefährtin!« Ich nicke bestätigend. Die ganze Zeit über habe ich nur einen Gedanken: »Für seine alten Rechnungen zahle ich definitiv nicht auch noch!«
Als der Typ wieder geht, grinst John übers ganze Gesicht und erzählt mir, dass die meisten Firmen seine offenen Rechnungen bereits abgeschrieben haben. Auch die anderen Gläubiger sind wohl happy, wenn John sich auf einen Vergleich einlässt. Somit werden seine Schulden von damals entweder gefünftelt oder sogar ganz erlassen.
Ich kann Johns Freude nicht mit ihm teilen. Im Gegenteil, ich hatte keine Ahnung, dass er immer noch offene Beträge von früher hat. Ich dachte, dafür saß er im Gefängnis. Er kann doch nicht einmal seine aktuellen Ausgaben zahlen und jetzt auch noch das. John reagiert genervt: »Komm mal wieder runter, Lara! Es geht hier um monatlich fünf Euro. Keine Sorge, ich zahle meine Rechnungen zukünftig selbst!«
In dem Moment klingelt es schon wieder. Die Lieferung unserer Hefte ist da. Gemeinsam laufen wir die Treppe nach unten.
Mich trifft fast der Schlag. Vor unserem Hauseingang liegen zwei große Paletten voll mit Zeitschriften. »Ich dachte, du hattest eine Firma beauftragt, welche die Geschäfte direkt beliefert?« »Hab ich doch auch, diese hier habe ich zusätzlich bestellt! Wir sind halt sehr gefragt!«, grinst mich an und drückt mir einen dicken Kuss auf den Mund. Dann reißt er einen Karton auf, nimmt ein Heft heraus und blättert durch. Aufgeregt schaue ich ihm über die Schulter. Wow, unser erstes Magazin, was für ein tolles Gefühl!
Danach tragen wir die insgesamt achthundert Zeitschriften die Treppe hoch und stapeln sie im Flur vor unserer Eingangstür. Nach einer Dreiviertelstunde sind wir fertig. Wir lassen die Tür unten offen, denn schon jetzt stinkt das ganze Treppenhaus nach Druckerschwärze.
Ich nehme mir ein Heft und lege mich entspannt auf die Couch. Das ist es also, das MEN’S MAGAZINE , unser Baby! Enttäuscht stelle ich fest, dass John einige Fehler doch nicht ausgebessert hat. Fehler, die wir ihm mehrfach korrigiert zurückgegeben haben. Selbst auf den beiden Seiten, die ich ihm in der letzten Nacht unbedingt noch überarbeiten sollte, hat er vieles übersehen. Auf meinen frustrierten Blick hin, winkt er entspannt ab: »Das tut mir leid. Aber denk dir nichts, unsere Leser sind nicht so kleinlich. Für die zählt nur die Aufmachung.« »Wenn du meinst«, wende ich mich enttäuscht ab. Es fühlt sich abwertend an. Ich frage mich, wofür dann die viele Mühe, die meine Mom und ich uns gemacht haben. Außerdem kann ich mir nicht vorstellen, dass alle Leser so denken wie John.
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