Als sie sich am Abend zu Bett begeben und geliebt hatten, bat sie, wie schon so oft, die Göttin der Fruchtbarkeit darum, ihren Wunsch nach einem Baby zu erfüllen. Mit Tränen in den Augen schlief sie endlich ein und hatte bald einen seltsamen, sehr real erscheinenden Traum. Sie stand inmitten einer Halle, die in ein unbeschreiblich warmes Licht getaucht war. Dieses Licht schien von einer Frau auszugehen, die ihr in einiger Entfernung gegenüberstand. Geblendet von den Strahlen, konnte sie das Gesicht der Frau nicht erkennen, wusste aber instinktiv, dass es sich um Era, die verschwundene Friedensgöttin, handelte.
Sie sprach zu ihr: „Uma, du bist auserwählt, Assan seine Rettung zu schenken. Du sollst das Kind gebären, welches euch prophezeit worden ist. Es wird die Gaben der Verschwundenen Göttin in sich vereinen und kann den Menschen von Mediterra und Tosman den ersehnten Frieden schenken - wenn sie dazu bereit sind. Achte gut auf dieses Kind und erziehe es in meinem Sinne. Wenn die Zeit reif ist, werde ich dir erneut erscheinen und dir den weiteren Weg weisen. Bis dahin bewahre Stillschweigen!“
Dunkelheit! Mit weit aufgerissenen Augen fuhr Uma in ihrem Bett auf und blickte in die Nacht. Unsicher sah sie auf den schlafenden Bahan hinab und war versucht, ihn zu wecken. Doch sie entschied sich dagegen.
War das real gewesen oder nur ein einfacher Traum? Mit klopfendem Herzen sank sie auf ihr Kissen zurück. Ihre Gedanken kreisten wie in einem Strudel. Erst als die Sonne ihre ersten Vorboten über den Himmel sandte, verfiel sie in einen unruhigen Schlaf.
Ein paar Wochen später hatte Uma Gewissheit. Sie erwartete tatsächlich ein Kind! Nun endlich wagte sie es, Bahan die freudige Botschaft zu überbringen. Aufgeregt ging sie hinüber in die Schmiede und tänzelte eine Weile nervös um ihn herum. Der Schmied kannte seine Frau gut genug, um zu ahnen, dass sie ihm etwas Wichtiges mitteilen wollte. Doch er vermutete nicht einmal annähernd was .
Er zog sich eine schmerzhafte Verbrennung am Schmiedefeuer zu, als sie es ihm endlich erzählte. Die Freude über diese Neuigkeit ließ ihn den Schmerz kaum wahrnehmen. Er umarmte Uma so fest, dass sie ihn um Gnade anflehte.
„Was für ein Wunder!“, sprach er immer wieder leise vor sich hin. Dann erhob er sich, legte seine Schürze ab und ging zur Tür. „Lass uns der Fruchtbarkeitsgöttin ein Huhn opfern! Sie hat unsere Gebete doch noch erhört.“ Und schon eilte er in Richtung Stall.
Uma befiel ein mulmiges Gefühl, als sie ihr Opfer darbrachten, denn eine innere Stimme sagte ihr, dass das in jener Nacht kein normaler Traum gewesen war, in welchem ihr Era erschien. Sie beschloss, heimlich auch der Friedensgöttin ein Opfer zu bringen.
Als sie später vor deren Altar, in einem geheimen Winkel des Waldes stand, vernahm sie in ihrem Inneren eine Stimme. Uma hörte die Worte nicht mit ihren Ohren, sondern mit dem Herzen. Dennoch schienen sie so deutlich, als würde die Person, die sie sagte, direkt neben ihr stehen.
' Es war kein Traum, Uma! Glaube und vertraue! Tu was ich dir gesagt habe und ihr werdet endlich Frieden haben. Doch halte Stillschweigen! Einzig Bahan darf die Wahrheit erfahren.'
So schnell, wie der Zauber gekommen war, war er auch wieder verschwunden. Uma stand wie vom Blitz getroffen auf der Stelle. Langsam fuhr sie sich mit der Hand über den noch flachen Bauch. Sollte es wahr sein? Sollten sie und Bahan dazu auserkoren sein, das gepriesene Kind zu bekommen? Hatten sie darum so lange auf den ersehnten Nachwuchs warten müssen? Ihr wurde schwindlig und sie musste sich an den tief hängenden Ästen einer Linde Halt holen. Warum hatte sich die Göttin gerade sie ausgesucht. Weder Bahan noch Uma wiesen besondere Qualitäten auf, die diese Wahl begründeten. Und was bedeutete das Ganze für die Zukunft ihrer kleinen Familie? Dieses Kind würde nie ganz zu ihnen gehören. Eines Tages würde Era es auf seinen schwierigen Weg befehlen. Wie viel Zeit würden sie überhaupt haben? Ihr wurde plötzlich so übel, dass sie sich übergeben musste. Doch dann klangen in ihrem Herzen Eras Worte nach. 'Glaube und vertraue!'
Sie wollte die Göttin nicht enttäuschen. Wie ein schützender Mantel hüllte sie die Gewissheit ein, dass sie und ihr Mann nicht allein waren. Bei allem, was jetzt vor ihnen lag.
„Hast du Fieber?“, fragte Bahan zunächst, als sie ihm schließlich erzählte, wer da in ihrem Leib heranwuchs. Besorgt wollte er ihr die Hand an die Stirn legen, doch sie wies ihn ab.
„Nein! Jetzt sei doch mal still und höre mir richtig zu! Bitte!“
An dem Ausdruck ihrer Augen konnte er erkennen, dass sie ihm die Wahrheit sagte. Uma ließ ihm die Zeit, die er brauchte, um das Gehörte zu verarbeiten.
„Nun, irgendjemanden musste dieses Los schließlich treffen. Warum also nicht uns?“
Sein halbherziger Versuch sie zum Lachen zu bringen, konnte nicht darüber hinwegtäuschen, wie erschüttert er war. Schließlich erhob er sich mit einem leisen Stöhnen und kam zu ihr herüber. Zärtlich strich er ihr mit der Hand über die Wange und gab ihr einen Kuss. „Wir stehen es gemeinsam durch! Ich wusste schon immer, dass es nicht umsonst sein kann, dich an meiner Seite haben zu dürfen.“
Uma ließ sich in seine Arme ziehen und so standen sie für lange Zeit schweigend beieinander.
Die Schwangerschaft verlief ohne größere Komplikationen. Alle Nachbarn und Freunde freuten sich mit ihnen über das kleine Wunder. Auch wenn sie nicht ahnten, dass es sich eigentlich um ein recht großes handelte. Bahan hatte den Eindruck, dass Uma von Tag zu Tag schöner wurde. Sie trug ihren Bauch mit dem sichtbaren Stolz einer Frau, die sehr lange auf ein Kind hatte warten müssen. Des Nachts schliefen sie immer so ein, dass beider Hände auf dem Kind ruhten. Den Gedanken an das, was in der ferneren Zukunft auf sie wartete, schoben sie zunächst zur Seite.
Im Frühling war es dann so weit. Eines Nachts wurde Uma von heftigen Krämpfen geweckt. Stöhnend warf sie sich von einer Seite auf die andere. Bahan, der dadurch ebenfalls erwacht war, sprang rasch aus dem Bett, um nach der Hebamme zu rufen. Eine Stunde später kehrte er mit einer schon in die Jahre gekommenen Heilerin zurück.
Uma hatte es schwer bei der Geburt. Sie war kurz davor aufzugeben, als die Heilerin ihr gut zusprach. Sie sah der Alten direkt in die Augen und konnte darin jenes seltsame Licht erkennen, das sie schon damals in ihrem Traum eingehüllt hatte. Von diesem Licht ging eine unbeschreibliche Kraft aus, die Uma nun gänzlich erfüllte. Mit einem Mal erschien alles leichter. Kurze Zeit später wurde das Kind geboren. Zum großen Erstaunen der frischgebackenen Eltern, handelte es sich um ein kräftiges, kerngesundes Mädchen.
Beide waren sich sicher gewesen, dass sie einen Sohn bekommen würden, da doch solch hohe Erwartungen in dieses Kind gesetzt wurden. Erstaunt sahen sie einander an und wussten, dass der jeweils andere dasselbe dachte. Die Heilerin versorgte Mutter und Kind und legte die Kleine an Umas Brust. Als sie schließlich ging, sagte sie noch wie beiläufig: „In Nächten wie diesen sieht man, zu welch großen Taten das vermeintlich schwache Geschlecht doch fähig ist. Nicht wahr?“ Sie warf ihnen einen durchdringenden Blick zu und lächelte weise. Dann schloss sich die Tür hinter ihr und sie ließ ein glückliches Elternpaar zurück, dem einmal mehr die Worte fehlten. Ein Zufall?
Doch schon bald dachten sie nicht mehr darüber nach und richteten ihre ganze Aufmerksamkeit auf das rosige göttliche Wesen, das zwischen ihnen schlief.
Die Jahre vergingen und Laniki - die Hoffnung - wurde von allen im Dorf geliebt. Im Sturm eroberte sie jedes Herz. Mit ihren blonden Haaren und den großen blauen Augen, hatte sie etwas Engelsgleiches an sich. Nicht dass Niki, wie sie oft nur gerufen wurde, sich immer wie ein Engel benahm. Manchmal, wenn ihr die Jungen aus dem Dorf einen Streich gespielt hatten, fand man sie inmitten einer Rauferei. Doch das war alles nur ein Spaß, wie ihn Kinder sich gewöhnlich gönnen. Von Beginn an war ihr ein ausgeprägter Gerechtigkeitssinn anzumerken, der sie bald zum Fürsprecher der Schwachen werden ließ.
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