Ich überlegte kurz. Mir blieb keine andere Wahl, als auf ihr Angebot einzugehen, wenn ich mit Elisabeth reden wollte und dies wollte ich, mehr als alles andere!
Ich vermied es Ville anzuschauen, der scheinbar gerade leicht mit dem Kopf schüttelte, so wie es mir aus dem Augenwinkel erschien. Schnell willigte ich nickend in das Angebot des Anführers ein.
Dieser begann selbstgefällig zu grinsen und winkte einen seiner Anhänger heran. Er wies ihn an, Elisabeth zu holen. Bereits in der nächsten Sekunde wurden Ville und ich ergriffen. Je zwei Mann hielten uns fest, während unsere Arme auf dem Rücken gedreht wurden.
Stolz hielt ich meinen Kopf aufrecht ohne den Blick vom Anführer abzuwenden. Er hob eine Augenbraue und drehte sich in Richtung leiser, herannahender Schritte um.
Dann sah ich sie. Elisabeth. Sie sah genauso aus, wie damals, als ich sie das letzte Mal gesehen hatte. Damals vor sieben Jahren, als sie mich im Schnee liegen ließ, als sie mich verletzte, damit mich Tristan töten würde.
In mir wuchs unbändige Wut. Ich versuchte sie schmerzhaft herunterzuschlucken. Wenn ich jetzt ausrastete, würde ich nie eine Antwort von ihr bekommen.
Süffisant lächelnd trat sie vor mich. Anstatt etwas zu sagen, verpasste sie mir eine schallende Ohrfeige.
Sprachlos schaute ich sie an. Dann stellte sie sich vor mich hin.
„Das ist das geringste, was ich jemandem geben kann, der mich töten möchte“, lächelte sie eisig.
Obwohl ich nun selbst ein Vampir war, wirkte sie nach wie vor beängstigend auf mich.
„Streng genommen hast du mich zuerst getötet“, gab ich zwischen zusammengebissenen Zähnen zurück. Krampfhaft versuchte ich meine Wut im Zaum zu halten.
„Das kann man sehen, wie man möchte. Ich verstehe, dass du es so sehen willst, weil du deinen geliebten Tristan nicht verantwortlich machen möchtest für eine Tat, die er wahrhaft zum dritten Mal begangen hat“, sie grinste mich triumphierend an.
„Tja, nur hast du dennoch versagt. Ich lebe nun für ewig“, ich funkelte sie hämisch an.
Ihre Gesichtszüge verhärteten sich, eh sie wieder giftig zu grinsen begann.
„Das werden wir heute Nacht ja noch sehen.“
Ich spürte, wie Ville neben mir zusammenzuckte. Jedoch ließ ich mich nicht von ihren Worten beeindrucken und begann nun endlich mit dem Thema, weswegen ich hier war.
„Was weißt du über Tristans derzeitigen Aufenthaltsort? Hast du ihn wieder in irgendeine Gruft gesperrt?“, ich konnte nicht anders. Ich hasste diese Vampirfrau so abgrundtief.
Ein Schmunzeln umspielte Elisabeths Mundwinkel.
„Es tut mir leid, Tara. Leider hat er sich nach dem Mord an dir nicht bei mir gemeldet. Ich hatte es ehrlich gesagt auch nicht erwartet. Vielleicht hat er nun doch seine einstigen Pläne umgesetzt und sich in einen Vulkan gestürzt?“
Ich wusste es besser. Wenn er tot wäre - mich schüttelte es bei dem Gedanken - dann hätte ich diese Visionen ganz bestimmt nicht bekommen. Sie mussten etwas bedeuten.
„Es tut mir leid, dass du den ganzen Weg hierhergereist bist und ich dir nicht weiterhelfen kann. Mir tut es auch fast etwas leid, dass du wegen einer so unbefriedigenden Antwort nun sterben musst.“
Elisabeth trat einen Schritt zurück und schnippte mit dem Finger, worauf sich zwei Vampire auf mich stürzten.
Im selben Moment, wo sie auf mich hätten einkrachen müssen, schlug ihnen etwas entgegen. Oder vielmehr, jemand. Ville hatte sich vor mich geworfen und wirbelte wie ein Hurrikan durch die Vampirmenge.
Ich hatte keine Ahnung, wie er in so kurzer Zeit sich hatte losreißen können. Doch ich nutzte den Schreckensmoment meiner Wächter und wand mich aus deren Griff. Im nächsten Moment kämpfte ich schon wieder an Villes Seite. Und dann riss ich zum ersten Mal in meinem Vampirleben einen Kopf von einem Hals.
Dieses Geräusch würde mich den Rest meines ewigen Lebens verfolgen.
Ich ging davon aus, dass auch bei diesem Treffen eine größere Gruppe Vampire im Hintergrund warten würden, um einzugreifen, sollte es der Clan nicht schaffen.
Ich wusste, dass ich nicht viel Zeit hatte. Also stürzte ich mich, nachdem meine Angreifer erst einmal abgewehrt waren, auf Elisabeth.
Ihren Kopf wollte ich als nächstes abreißen. Gerade als ich ihn zu packen bekam, wurde ich von einem anderen Vampir weggeschleudert. Wütend stürzte ich umgehend zurück. Doch Ville riss mich mitten im Sprung zurück, hielt mich fest und rannte mit mir los.
Erst jetzt merkte ich, dass die Vampiranzahl drastisch gestiegen war.
Wie Blitze jagten wir durch den Park und durch die angrenzenden Straßen. Dieses Mal ließen die Vampire sich nicht von der Öffentlichkeit abschrecken. Wie viele Straßenzüge wollten sie denn anschließend von Zeugen „säubern“?! Nicht, dass Menschen wirklich erkennen konnten, was gerade geschah. Wir waren für das menschliche Auge kaum wahrzunehmen, so schnell wie wir rannten. Sie bekamen nicht mehr von uns mit, als einen Windstoß, begleitet von einem vorbeihuschenden Schatten. Kein Mensch würde etwas anderes dahinter vermuten, als eine kleine Windböe in einer schlecht beleuchteten Straße.
Unsere Angreifer folgten uns weiter. Ich war mir langsam noch nicht einmal sicher, ob wir überhaupt noch in Bukarest waren. Ville schien sich jedoch bestens auszukennen. Er führte mich über Zäune, Hinterhöfe und teilweise über Dächer.
Nach einem Sprung über einen hohen Zaun, dem Durchqueren einer Fabrikruine und einem mutigen Sprung in einen Abgrund, kauerte er sich mit mir hinter einer Mauer. Vorsichtig lugte er um die Ecke, ob wir unsere Angreifer endlich abgeschüttelt hatten.
„Du bist wahnsinnig! Du hast die gesamte Bukarester Vampirgesellschaft gegen dich aufgebracht!“, flüsterte er.
„Es tut mir leid, dass ich dich mit hineingezogen habe“, mich plagten ehrliche Gewissensbisse. Ich hätte seine Unterstützung ablehnen müssen.
„Du kannst noch aussteigen.“
„Nein, unmöglich. Ich stecke da jetzt viel zu tief mit drin. Ich werde nie wieder einen Fuß in dieses Lands setzen können.“
„In das ganze Land nicht?“
„Die Reichweite des Gardianuls-Clans ist groß.“
Bedauernd schaute ich ihn an. Doch Ville grinste nur breit. „So viel Spaß wie heute hatte ich ewig nicht mehr. Ich fühle mich richtig... lebendig. Und irgendwie auch verdammt sterblich“, er lachte leise.
Dann lugte er wieder um die Mauer herum.
„Die Luft scheint rein zu sein.“ Er deutete mir an, mich entlang der Mauer weiter zu schleichen.
Als ich am Ende der Mauer ankam, stellte sich mir auf einmal jemand in den Weg. Nicht nur jemand, es war Lucian! Ich starb gerade tausend Tode. Waren wir jetzt doch entdeckt wurden? Ich wollte nicht sterben. Noch weniger wollte ich, dass Ville wegen mir starb.
Doch Lucian legte nur seinen Finger auf seinen Mund und bedeutete uns leise zu sein. Zum ersten Mal, seit ich ihn kennengelernt habe, sah er ernsthaft aus.
Wir schlichen hinter ihm her. Ich wusste selbst nicht, warum wir ihm auf einmal vertrauten. Aber irgendwie wirkte er gegenüber den anderen Vampiren erstaunlich harmlos.
Durch eine Klappe krochen wir in die Kanalisation und krabbelten durch stinkende Rohre bis wir fern ab der Fabrik aus einem Gulli wieder auf die Straße kletterten.
Wir folgten ihm durch einen Keller in ein baufälliges Mehrfamilienhaus und erst als wir eine der leeren Wohnungen betreten und die Tür hinter uns geschlossen hatten, ließen wir uns stöhnend auf den Boden sinken.
„Sicherheit!“, erklärte Lucian.
„Wirklich? Können wir dir trauen? Oder hast du uns direkt in die Gardianulshauptzentrale geführt?“, ich konnte nicht glauben, dass er uns half.
„Nein, wirklich. Ihr seid in Sicherheit. Ich kann euch aber nur raten, schnellstmöglich das Land zu verlassen. Deinen Tristan findest du hier nicht, wie du heute gehört hast.“
Читать дальше