„Ich habe gesagt, dass ich sie töten will.“ Als ich die Worte aussprach schaute ich ihm fest in die Augen. Ich wollte seine Reaktion sehen.
Ville schluckte schwer und nickte langsam.
„Jetzt verstehe ich es“, er traf wieder meinen Blick.
„Willst du das wirklich?“
Ich überlegte einen Moment. Ehrlich gesagt wusste ich nicht genau, was ich machen würde, wenn ich ihr gegenüberstand. Klar, ich würde versuchen aus ihr herauszubekommen, ob sie etwas über Tristan wusste. Aber was dann? Würde ich sie töten?
Ich zuckte nur mit den Schultern. Wahrscheinlich würde meine Reaktion von ihrer abhängen.
„Du sagtest, dass Menschen den Kampf mitbekommen haben. Wie haben sie reagiert? Wird davon etwas in der Zeitung stehen oder haben sie überhaupt verstanden, was da vor sich ging?“
„Sie werden es niemanden mehr erzählen können.“
Ich schaute ihn geschockt an. „Wie meinst du das?“ Nicht, dass ich es mir nicht bereits denken konnte, was er meinte, aber ich wollte es aus seinem Mund hören.
„Die Gruppe von Vampiren, die später noch hinzugekommen war, hat sich darum gekümmert. Der Guardian-Clan, der dich angegriffen hat, war nicht allein gekommen. Die andere Gruppe war die ganze Zeit im Hintergrund gewesen, um einzugreifen, sollte der Clan Unterstützung brauchen und um den Schauplatz sauber zu halten…, beziehungsweise von Zeugen zu säubern. Niemand von den Menschen, die euch gesehen haben, hat diese Nacht überlebt.“
Diese Wahrheit traf mich wie ein Schlag in die Magengrube. Das hatte ich nicht gewollt. Meine Suche nach Elisabeth hatte die ersten Opfer gekostet. Doch, dass sich darunter unschuldige Menschen befanden, die einfach zur falschen Zeit am falschen Ort waren, hatte ich nie einkalkuliert.
Sollte sich so meine Suche weiterhin gestalten? Sollten noch mehr wegen mir sterben?
Ich strich mir durch meine Haare und kämpfte mit den Tränen.
Ville setzte sich neben mich und nahm mich in seine Arme. Ich atmete den Duft seiner Haare ein. Sie rochen nach Holz und Zitrus.
Zärtlich wischte er mir eine Träne von der Wange, nahm mein Gesicht zwischen seine Hände und schaute mir tief in die Augen.
„Es ist nicht deine Schuld, ok? Der Gardianul - Clan und seine Anhänger sind grausam. Sie sind einer der grausamsten Vampirgruppen, denen ich je begegnet bin. Es war ihre Entscheidung dich anzugreifen, ihre Entscheidung die Menschen zu töten. Es trifft dich nicht die geringste Schuld, hast du mich verstanden?“
Ich nickte. Was hätte ich auch anderes tun sollen? Seine meeresblauen Augen, in denen man nur versinken konnte, ließen keine andere Antwort zu.
„Was bedeutet dieses Gardianul eigentlich? Wer ist dieser Clan?“
„Gardianul bedeutet 'Hüter'. Sie betrachten sich als die Beschützer unserer Art. Sie sehen sich als den Menschen überlegen an. Der Clan tut alles dafür, die Existenz der Vampire geheim zu halten. Gleichzeitig morden sie nach Herzenslust, denn Menschen sind für sie ausschließlich Nahrungsspender. Wobei sich einige von ihnen auch durchaus fleischliches Vergnügen mit Menschen erlauben. Es gibt jedoch auch ähnliche Clans wie die Gardianuls, die selbst dies untersagen. Für sie ist es eine Abnormalität, wenn Vampire und Menschen sexuell miteinander verkehren. Da für sie Menschen nur Nahrung sind, empfinden sie eine solche Tat genauso abartig, wie die Menschen, wenn sich welche von ihnen sexuell an Tieren vergreifen. Jedenfalls haben dich die Gardianuls als Eindringling in ihr Revier empfunden und wollten dich lediglich darauf hinweisen, bevor sie den Grund deines Auftauchens erfuhren.“
„Gehörst du auch zu ihnen oder warum warst du dort, wenn nur Clanmitglieder sich da aufhalten dürfen?“
„Nein, ich hatte mich in der Nähe des Clubs mit einer Band getroffen, die auf Rumänientour gehen wollte und noch einen Gitarristen suchte, da ihrer krank geworden war. Danach verspürte ich noch einen Hunger und wollte in dem Club sozusagen zu Abend essen“, er zwinkerte mir zu. „Leider hatte ich die legendäre Mitternachtsimbissshow verpasst.“
Also waren diese „Sunglasses at night“-Minuten tatsächlich Tradition. Wahnsinn, dass dort routinemäßig sich Vampire auf diese Art ernähren konnten.
„Darum war ich in den Park gegangen und hoffte, dort noch einen Snack zu finden. Dann sah ich euren Kampf und erkannte dich in dem Moment wieder, als dich Alexandru nach oben hob.“
„Und dann kamst du mir zur Hilfe. Aber warum?“
„Ich wusste, dass du keine Chance hattest. Selbst wenn du allein mit den Clanmitgliedern fertig geworden wärst, so hättest du die Gruppe von Vampiren, die im Hintergrund wartete, niemals überlebt.“
„Aber wir hätten auch zusammen keine Chance gegen sie gehabt. Warum bist du trotzdem dazu gekommen?“
Ville zuckte mit den Schultern. „Ich habe nicht überlegt, ich habe es einfach getan. Und ich würde es immer wieder tun“, er schenkte mir ein breites Lächeln.
Kopfschüttelnd lächelte ich ihn ebenfalls an. „Das ist eine lobenswerte Einstellung für heute Abend“, neckte ich ihn und boxte ihn spaßeshalber in die Schulter.
„Vielleicht könnten wir trotzdem nicht sofort erwähnen, dass du Elisabeth töten möchtest, um wenigstens eine kleine Überlebenschance zu haben?“
„Ach, das wäre doch langweilig“, zog ich ihn auf.
Er grinste mich schelmisch an. „Na, dann los!“
Wir fuhren mit dem Taxi in mein Hotel, damit ich mich frisch machen und umziehen konnte. Meine Kleidung war noch blutverschmiert. So wollte ich keinesfalls heute Abend ausgehen.
„Wenn du nichts dagegen hast, würde ich heute einen Ort aussuchen, an dem du garantiert welche von Elisabeths Gefolge treffen kannst“, rief mir Ville durch die Badezimmertür durch.
Das machte Sinn. Er war ein Vampir und kannte sich hier bereits bestens aus. Ville wurde für mich immer wertvoller bei meiner Suche nach Elisabeth. Doch welchen Nutzen hatte er davon? Ich wurde aus ihm noch nicht schlau. Aber ich vertraute ihm.
„Wohin willst du?“
„Es ist eine Nachtbar in der Nähe vom Parcul Operei.“
Na toll, noch ein Park. „Wieso ist hier alles in der Nähe von Parks?“
„Naja, man kann dort als Vampir sich sehr gut unbeobachtet ernähren.“
Ja, das machte Sinn. Aber man konnte dort offensichtlich auch sehr gut angegriffen werden.
Ich entschied mich für eine Lederhose und ein schwarzes Neckholder-Lacktop, welches am Rücken lediglich mit drei Riemen zusammengehalten wurde. Meine langen, roten Haare hatte ich leicht gewellt.
Als ich fertig gestylt vor Ville trat, wurden seine Augen immer größer. Anerkennend stieß er einen kurzen Pfiff aus.
„WOW, du siehst echt… WOW“, er schluckte.
„Danke“, grinste ich.
„Lass uns lieber schnell gehen“, riss er seinen Blick von mir und hielt mir die Tür auf.
Mit dem Taxi fuhren wir zu der Nachtbar. Sie lag unauffällig im Souterrain einer Häuserreihe. Eine ausgetretene Treppe führte hinunter zum Eingang der Bar.
Die Tür stand bereits offen. Eine Luft, vollgesogen mit Zigarettenqualm und Wodka, quellte uns entgegen.
Von einem kleinen Vorraum, der von einem Zigaretten-automaten dominiert wurde, gelangte man in den Barraum. Rechts erstreckte sich eine lange, dunkel-holzige Bar mit wenigen Barhockern. Gegenüber standen kleine runde Tische mit jeweils drei Stühlen.
Wir gingen den schmalen Gang zwischen Bar und den Tischen entlang. Der Raum öffnete sich nach diesem Bereich in einen größeren, quadratischen Tanzflur. Von diesem gingen links und rechts ebenfalls zwei schmale Gänge mit kleinen, runden Tischen ab. Wir gingen in den linken Gang und setzten uns an den zweiten Tisch.
Als die Kellnerin an unseren Tisch kam, bedeutete Ville ihr, sich zu ihm herunter zu beugen. Er flüsterte ihr etwas ins Ohr, worauf sie verschwand und kurz darauf mit zwei schwarzen Bechern wieder auftauchte, welche sie vor uns abstellte.
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