Ich lache bei ihrem Anblick. „Ja, aber bleib liegen. Ich gehe schon“, erwidere und stehe auf.
„Danke Schatz“, höre ich noch, bevor ich das Schlafzimmer verlasse. Als ich im Flur ankomme, mischt sich der Ton der Toilettenspülung unter das Geschrei unseres Sohnes. Keine drei Sekunden später, stehe ich im Kinderzimmer vor seinem Bettchen und hole ihn heraus.
„Was ist denn schon wieder los?“, frage ich ihn, obwohl ich weiß, dass er mir noch keine Antwort geben kann. Als er meine Stimme hört, beruhigt er sich etwas. Daraufhin erzähle ich ihm irgendeine Geschichte und schockele ihn ein bisschen in meinen Armen.
Als ich merke, dass er ruhiger wird, bin ich voller Hoffnungen, dass ich in ein paar Minuten wieder in meinem Bett liege. Aber Ben lässt das nicht zu. Ich bekomme mit, dass er ein Bäuerchen macht und komisch guckt, einen Wimpernschlag später spuckt er mir direkt auf mein T-Shirt. Noch ein paar Zentimeter weiter oben und ich hätte alles ins Gesicht bekommen.
Für einen kurzen Augenblick starre ich ihn an und frage ihn wortlos, ob das wirklich sein Ernst ist. Er lacht und strampelt mit Armen und Beinen, dabei verschmiert er seine Hinterlassenschaften noch schön auf seinem Strampelanzug und meinem T-Shirt. „Ganz großartig“, knurre ich und erlaube es mir auch einmal meine Augen zu verdrehen, so wie Lilli es immer macht.
„Warum machst du das nicht, wenn deine Mutter oder deine Schwestern dich auf dem Arm haben?“, frage ich ihn und halte ihn von mir weg, als würde er nach Müll stinken. Gut, davon ist er nicht mehr weit entfernt. Eigentlich müsste ich mich daran schon gewöhnt haben, da ich immer derjenige bin, dem er seine Spucke schenkt. Vielleicht will er mir damit auch sagen, dass er mich zum Kotzen findet, weil er mitbekam, wie ich mich damals verhielt, als seine Mutter mir sagte, dass sie schwanger war.
Wie auch immer. Ben scheint die ganze Situation sehr zu amüsieren, worauf ich ihm dann auch nicht mehr lange böse sein kann. Wenn er lacht, geht für mich die Sonne auf, egal in welcher Lage ich gerade stecke. „Dann machen wir uns mal sauber“, sage ich zu ihm und gehe mit ihm ins Bad. Wir sind mit allem ausgestattet, was eine Familie mit einem kleinen Kind braucht. Von daher bin ich auch recht schnell fertig und lege den Kleinen wieder in sein Bettchen. Und er tut mir auch den Gefallen und schläft gleich wieder ein.
Am nächsten Tag ist Petras Mutter zu Besuch. Und wie erwartet, wirft sie mir immer wieder vor, dass ich es nicht gemerkt habe, dass ihre Tochter schwanger war. Diese Frau mit ihrer giftig hohen Stimme und Haaren auf den Zähnen, machte mir das Leben noch nie leicht. Petras Vater ist genau das Gegenteil, er hält sich aus allem heraus und ist ganz neutral. Von daher verstehe ich mich auch ganz gut mit ihm. Wir sitzen zusammen im Wohnzimmer und bespaßen Ben, während die Frauen in der Küche irgendeinen Braten für das Abendessen vorbereiten.
Wir sitzen auf dem Teppich neben Ben und unterhalten uns über Gott und die Welt. Ich mag die Gespräche mit ihm, dabei kann ich manchmal richtig abschalten. „Buh“, sagt Petras Vater auf einmal und wedelt mit seiner Hand vor seinem Gesicht herum. „Toni, ich glaube, da hat jemand die Windeln voll.“
Panisch schaue ich erst meinen Schwiegervater, dann meinen Sohn an. Windelwechseln ist einfach nichts für mich, besonders, wenn sich darin eine braune und stinkende Masse befindet, die mich jedes Mal zum Würgen bringt. Jede Faser in mir schreit, dass ich Petra um Hilfe bitten und sie fragen soll, ob sie das übernimmt. Aber das kann ich jetzt nicht bringen. Denn das wäre wieder ein gefundenes Fressen für ihre fiese Mutter, mich bis Weihnachten damit zu schikanieren. Und darauf habe ich wirklich keine Lust.
Langsam nähere ich mich mit meiner Nase Bens Hinterteil, in der Hoffnung, dass mein Schwiegervater etwas anderes in die Nase bekommen hat. Aber schon aus gefühlten zwei Kilometern Entfernung musste ich feststellen, dass er recht hat. Also lächele ich Ben gespielt freudig an, nehme ihn hoch und sage ihm in einer kindlichen Stimme, dass seine Windel voll ist und ich sie jetzt wechseln werde.
Ben lacht und ich meine zu erkennen, dass das ein sehr hämisches Lachen ist. Hier in diesem Haus verschwört sich einfach jeder gegen mich. „Ich bin gleich wieder da“, sage ich zu meinem Schwiegervater und mache mich auf den Weg nach oben ins Badezimmer. Dabei luge ich kurz in Lillis Zimmer. Sie sitzt an ihrem Schreibtisch und schaut sich etwas am Laptop an, während Melanie auf dem Bett liegt und ein Buch liest.
Ich lächele, als ich die beiden sehe und freue mich, dass sie sich so gut verstehen. Kurz denke ich daran, dass ich ihnen ihren kleinen Bruder in die Arme drücken könnte, dann müssten sie seine vollen Windeln wechseln. Aber ich entscheide mich dagegen, da muss ich als Vater jetzt durch. Es ist ja nicht so, dass ich das noch nie gemacht habe.
Überglücklich, dass es nur ein kleines Geschäft war, mache ich mich fröhlich mit Ben wieder auf den Weg nach unten. Dabei versuche ich meinen kleinen Sohn so gut es geht zu bespaßen, da er nach dem Windelwechsel immer ein kleines Tief hat. Und mein Tun ist ein voller Erfolg, obwohl ich noch den Geruch von Scheiße in der Nase habe.
Als ich im Wohnzimmer ankomme, lachen wir beide und stellen fest, dass Petra und ihre Mutter nun auch zu uns gestoßen sind. „Schau mal, deine Mama ist auch da“, sage ich zu Ben, nehme seinen Arm und winke Petra zu. „Hallo.“
Eigentlich erwartete ich, dass Petra glücklich darüber ist, ihren Sohn und mich zu sehen. Ich dachte, sie würde aufstehen, zu uns kommen mir vielleicht einen Kuss geben. Aber sie sitzen alle drei nur auf der Couch und starren mich an, als wäre ich nicht mehr ganz dicht. Sind meine Kinderbespaßungen etwa zu viel des Guten? Jedoch hat das Petra bei Lilli und Melanie auch nie gestört. „Ist alles in Ordnung?“, frage ich sie und schaue mich schnell im Raum um, ob ich vielleicht etwas verpasst habe.
Meine liebe Schwiegermutter zieht eingebildet ihre Augenbrauen nach oben und deutet mit dem Finger unter ihr Auge. „Du hast da was und das sieht aus wie Babykacke.“
Nach ihren Worten bleibt für einen Moment die Welt für mich stehen. Stocksteif stehe ich da, als würde ich nicht wollen, dass sich die Hinterlassenschaften meines Sohnes in meinem Gesicht noch weiter ausbreiten. Dann wage ich einen Blick zu Ben. Seine Augen sind gefüllt mit Spott, dabei lacht er lauthals und deutet mit dem Finger auf mich. Petra sieht mich an, als sei ich nicht fähig ein Baby anständig zu wickeln.
Meine Schwiegermutter steht auf und nimmt mir meinen Sohn ab. „Du bist ein unfähiger Vater“, wirft sie mir vor, während sich mein Schwiegervater völlig ruhig und entspannt eine Zigarre anzündet. Petra stellt sich direkt vor mich und verschränkt die Arme vor ihrer Brust. „Bekommst du überhaupt irgendetwas auf die Reihe, Toni?“ Sie schüttelt angewidert den Kopf und sieht mich genauso an.
Ich fange an zu schwitzen, mein Herz rast und mein Puls steigt von Null auf Hundert. Plötzlich sehe ich keine andere Möglichkeit mehr, als meinen Frust einfach herauszuschreien …
„Nein“, schreie ich und schieße hoch. Ich zittere am ganzen Körper und schwitze wie nach einem Doppelmarathon. Benommen sehe ich mich um und nehme wahr, dass ich in meinem Büro bin. Erst dann wird mir klar, dass das alles nur ein schrecklicher Traum war. Es war nicht nur ein Traum, es war ein totaler Albtraum.
Aus Reflex fahre ich mit der Hand unter mein Auge, um zu sehen, ob sich dort noch Babyscheiße befindet. Nein! Gott sei Dank, ich kann Entwarnung geben. „Verdammt“, fluche ich und lasse mich wieder auf die Couch fallen. Tief atme ich durch, damit sich mein Herzschlag wieder etwas beruhigt.
Warum träume ich so etwas? Ja gut, bevor ich eingeschlafen bin, dachte ich an das Wechseln von Windeln, an Babyrücken, die bis fast hoch vollgeschissen sind, an Fläschchen geben und an den Wechselmodus mit Petra. Aber dass daraus so ein Traum entsteht, das wollte ich nicht. Überfordert und total übermüdet drehe ich mich auf die Seite und versuche wieder einzuschlafen. Dabei denke ich diesmal an nichts und hoffe auf eine ruhige und traumlose Nacht.
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