„Das hab ich auch nicht gesagt. Ich habe nur größere Möpse.“
„Jetzt zier dich nicht und probier es an. Brezel dich ein bisschen auf für morgen Abend und mach dich schick“, drängte Milena mich. „Mit deinen blonden Haaren sieht das Kleid sowieso tausendmal besser an dir aus als bei mir.“
Zweifelnd stand ich auf und schlüpfte aus meiner Jeans und dem lockeren Pulli. Milena und ich hatten uns schon unzählige Male nackt gesehen, wir hatten keinerlei Hemmungen, uns voreinander umzuziehen. Sie kannte meine schönste Spitzenunterwäsche und ich die ihre. Wir hatten wirklich schon lange keine Geheimnisse mehr voreinander.
„Oh Gott, ist das schrecklich“, lachte ich sofort los, als ich mich im Spiegel sah. Der Rock war bei mir viel zu lang und der Ausschnitt viel zu tief und zu freizügig.
„Ich nehme alles zurück. Damit kannst du dir höchstens was dazuverdienen, wenn wir auf dem Heimweg falsch abbiegen“, prustete Milena und öffnete den Reißverschluss sofort wieder. „Aber schau ruhig meinen Schrank durch. Vielleicht findest du ja etwas anderes für morgen Abend.“
„Danke.“ Das ließ ich mir nicht zweimal sagen. Milenas Auswahl an Klamotten war unglaublich groß. „Was war eigentlich noch mit Timo und dir?“, fragte ich beiläufig und zog ein Shirt aus ihrem Schrank, nur um es dann wieder zurückzulegen.
Sie zuckte mit den Schultern und widmete sich wieder ihrem Make-Up. „Nichts. Wir haben mal ein bisschen rumgemacht und dann meinte er, dass er in London studiert und das war es dann.“
„Was? Warum denn?“
„Was will ich mit einem Typen, der in einem ganz anderen Land wohnt?“
„Spaß? Du musst ihn ja nicht gleich heiraten. Außerdem habe ich gehört, dass er echt gut sein soll.“
„Natürlich will ich ihn nicht heiraten.“ Sie rümpfte die Nase. „Aber ich will nicht das Risiko eingehen, dass ich jemanden mag, mit dem es keine Zukunft hat.“
Ich rollte mit den Augen und zog ein Wollkleid mit schwarzen, langen Ärmeln aus ihrem Schrank. Probehalber hielt ich es vor meinen Körper.
„Bist du eine Nonne geworden, Jo? Ich dachte, du willst ihm zeigen, was er verpasst hat gestern.“
Seufzend hängte ich das Kleid wieder zurück. Sie hatte ja Recht. „Es ist Timo. Der ist auf nichts Festes aus. Ich kenne ihn schon gefühlt mein ganzes Leben.“
„Er ist es vielleicht nicht, aber das muss ja noch lange nicht für mich gelten.“
„Milena Groß!“ Jetzt war ich an der Reihe, grinsend meine Hände in die Hüften zu stemmen. „Willst du dich etwa fest binden?“
„Nee. Ach was. Ich hab nur keinen Bock auf Liebeskummer und den ganzen Kram, weil er so weit weg wohnt. Und ich ja nicht weiß, wann ich ihn wiedersehen kann“, imitierte sie meine Worte von vorhin.
„Hey! Was soll das denn heißen?“
„Dass es dich voll erwischt hat, Jo. So wie du Konstantin immer ansabberst.“
„Ja, und?“
Sie zuckte mit den Schultern, hatte aber ein breites Grinsen auf den Lippen. „Willst du es ernsthaft noch bestreiten, dass du auf ihn stehst?“
„Natürlich stehe ich auf ihn.“
„Seit über einem Jahr. Du bist verknallt, Jo. Sieh es endlich ein.“
„Nein, bin ich nicht“, protestierte ich. Ich hatte keine solchen Gefühle für Konstantin. Bisher war ich noch nie verliebt gewesen und so etwas empfand ich auch für ihn nicht. Ich begehrte Konstantin mehr als einen Mann zuvor, ja, das gab ich gerne zu, aber mit Liebe hatte das noch lange nichts zu tun.
„Ja ja, klar“, murmelte Milena.
Schnaubend holte ich ein weiteres Kleid aus ihrem Schrank und betrachtete mich damit im Spiegel. Nein, ich war nicht verliebt. Ich wollte ihn. Nackt. In meinem Bett. Das war ein riesiger Unterschied.
„Joanna? Wo willst du wieder hin?“ Mein Vater passte mich ab, als ich am nächsten Abend gut gelaunt die Treppe hinunterging.
Nicht mehr lange und ich würde Konstantin wiedersehen und noch mehr. Oh, hoffentlich noch viel mehr als nur das. „Ich gehe aus. Wir haben doch geklärt, dass ich schon lange volljährig bin und machen kann, worauf ich Lust habe, oder?“
„Wie war deine Klausur?“
„Gut. VWL ist nicht schwer.“ Ich zuckte mit den Schultern und holte meine schönen, hochhakigen Winterschuhe aus dem Schuhschrank, die super zu dem Outfit passten, das ich mir von Milena geliehen hatte.
„Sehr schön. Wir müssen kurz reden.“
Ich hielt nicht einen Moment inne. In den vergangenen beiden Tagen hatten wir beide schon mehr miteinander geredet als in dem kompletten letzten Jahr. „Ich habe es eilig.“ Ich hatte ein wenig Angst, dass ich keinen Platz mehr neben Konstantin bekommen würde, wenn ich zu spät dran war. Milena hatte versprochen, mir einen Platz freizuhalten, aber das würde sie nicht ewig machen können, ohne dass es auffällig wurde. „Können wir das nicht morgen machen?“
„Nein, jetzt. Solange du hier wohnst hast du dich an meine Regeln zu halten, Joanna.“
„Welche Regeln, Papa?“ Ich verschränkte meine Arme vor der Brust. Dank meinen hohen Schuhen waren wir fast auf Augenhöhe.
„Dass du mir zuhörst und nicht immer verschwindest, wie es dir passt. Du hast dich abzumelden, wenn du weggehst. Ich mache mir sonst Sorgen um dich, wenn du die ganze Nacht weg bist und ich nicht weiß, wo du unterwegs bist.“
„Gut. Ich gehe mit ein paar Kommilitonen in die Stadt rein. Wir wollen feiern, dass wir die letzte Klausur dieses Jahr geschafft haben. Ich komme wahrscheinlich erst spät wieder. Du wirst es nicht merken“, erwiderte ich knapp. Innerlich rollte ich mit den Augen.
„Und dein Studium hat Vorrang, verstanden? Meinetwegen kannst du so viel ausgehen wie dur möchtest. Solange du deine Klausuren bestehst“, fuhr er fort, als hätte ich nichts gesagt.
„Wo ist dann jetzt das Problem?“, murmelte ich und schaute auffällig auf meine Uhr. „Ich habe immer Einser und bin unter den besten zehn Prozent. War es das jetzt? Oder soll ich dir noch meine Klausuren zum Unterschreiben vorbeibringen?“
„Nein, eine Sache noch.“ Er holte tief Luft. „Komm bitte kurz mit ins Wohnzimmer.“
„Warum? Ich will weiter. Ich bin verabredet und kann nicht zu spät kommen.“
„Fünf Minuten, Joanna. Mehr nicht. Solange können deine Studienkollegen dich noch entbehren.“
Jetzt rollte ich offensichtlich mit den Augen. Genervt folgte ich ihm. Fünf Minuten mehr könnten schon über meine Zukunft mit Konstantin entscheiden. Aber davon hatte mein Vater natürlich keine Ahnung. Wie denn auch? Das letzte Mal war er vor zwei Jahren ausgegangen.
„Du bekommst Taschengeld, aber in Zukunft wirst du dafür auch etwas tun müssen.“
„Was? Ich dachte, ich soll mich auf mein Studium konzentrieren. Von einem Nebenjob war nie die Rede.“ Fassungslos schaute ich ihn an. Es war eine Diskussion vor knapp eineinhalb Jahren gewesen, als ich mein Studium begonnen hatte. Mein Vater hatte mir gesagt, dass es so vollkommen in Ordnung sei. Mein Studium hätte Vorrang. Und daran wollte ich auch nichts ändern. Mir gefiel mein Leben so, wie es jetzt war. Mit allen Freiheiten, die ich hatte und ohne jegliche Verpflichtungen. Ich würde noch lange genug arbeiten.
„Wenn du unter der Woche beinahe jeden Tag feiern gehen kannst, dann dürfte das kein Problem sein. Außerdem verlange ich nichts Unmenschliches von dir.“ Er holte tief Luft und blieb im Eingang zum Wohnzimmer stehen. Eine fremde Frau saß an unserem Esstisch, die sich jetzt langsam erhob. „Joanna, das ist Marianna Winter.“
„Freut mich. Aber du brauchst mir deine neue Freundin nicht vorzustellen. Eine Einladung zur Hochzeit reicht.“ Ich schaute nur kurz zu ihr rüber.
Mein Vater presste die Kiefer fest aufeinander, die einzige Reaktion, die er mir in den letzten Monaten gezeigt hattev. „Sie ist nicht meine Freundin. Sie ist wegen dir hier, Joanna.“
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