„Was willst du trinken? Bier? Oder gleich die harten Sachen? Wir haben genug Auswahl für den ganzen Abend.“ Valentina hatte wie immer alles bestens vorbereitet. „Außerdem hast du noch ein bisschen Zeit, bis du ihn suchen gehst und ein bisschen Alkohol schadet nie.“
„Wein. Und vorher einen Kurzen“, entschied ich nach einem kurzen Zögern. Sie hatte Recht. Ein bisschen Alkohol zur Auflockerung hatte noch niemandem geschadet. Oder vielleicht auch ein bisschen mehr. „Wo ist eigentlich dein Bruder hin?“
„Keine Ahnung.“ Milena zuckte nur mit den Schultern und füllte zwei kleine Gläser mit der klaren Flüssigkeit. „Ist mir auch egal. Der kann auf sich selbst aufpassen. Ich bin nicht sein Babysitter und er bildet sich auch hoffentlich nicht ein, meiner zu sein. Hier. Zum Wohl.“
„Auf uns.“
„Und deine heutige Eroberung.“ Klirrend stießen wir die Gläser aneinander und kippten den Schnaps hinunter. Ich spürte das Brennen in meiner Kehle. Für einen kurzen Moment schloss ich die Augen und lächelte. Ja, das war genau das, was ich heute brauchte.
Wieder klingelte es an der Tür. Ein Wunder, dass es überhaupt noch zu hören war. Milena schenkte sofort eine zweite Runde Schnaps nach. „Wir sollten es ausnutzen, solange uns niemand die Flasche klauen will.“ Sie grinste nur.
Lachend stimmte ich ihr zu. Gleichzeitig kippten wir auch das zweite Glas hinunter. Sekunden danach schüttelte es mich. Das Brennen wirkte eindeutig ein wenig zu lange nach. „War das ekelhaft.“
„Und ich dachte, du wärst trinkfest, Joanna“, ertönte über die Musik hinweg eine Stimme direkt hinter mir. „Ich bin ja regelrecht enttäuscht von dir.“
„Timo! Du bist wieder da.“ Lachend umarmte ich meinen alten Freund. Es musste Jahre her sein, dass ich ihn das letzte Mal gesehen hatte. „Wie kommst du denn hierher?“
„Über einen Freund und eine Freundin von ihm, die mich dann mitgenommen hat. Ich dachte nicht, dass ich dich hier treffe. Vor allem nicht nach so langer Zeit.“
„Ich auch nicht. Das ist ja verrückt.“ Lachend schob ich meine Locken zurück hinters Ohr. Meine Wangen glühten jetzt schon. Dabei hatte die Party gerade erst begonnen.
„Aber du siehst gut aus. Das Studium bekommt dir.“ Anerkennend ließ er seinen Blick über meinen Körper wandern.
„Danke. England scheint dir aber auch gut zu tun. Trainierst du?“
„Ein wenig“, gab er mit einem schelmischen Grinsen zu. Wäre mein Plan für heute Abend nicht ein ganz anderer, wäre ich nicht abgeneigt gewesen und er auch nicht, so wie ich ihn kannte. Timo war schon in der Schule immer der große Mädchenschwarm gewesen. Damals waren wir beide nur befreundet gewesen und daran hatte sich bis heute nichts geändert. Zwischendurch hätte es durchaus die Möglichkeit gegeben, aber irgendwie war nie etwas passiert zwischen uns. Und mittlerweile gab es andere für mich, rief ich mir wieder in Erinnerung.
„Das ist übrigens meine beste Freundin Milena“, stellte ich sie kurz vor. Jemand hatte die Musik noch lauter gedreht, sodass sie die Vorstellung ihrer Person gar nicht mitbekam sondern weiterhin Schnäpse einschenkte und mit dem Kopf leicht zur Musik nickte. „Und sie ist Single.“ Ich blinzelte ihm vielsagend zu.
Timo lachte nur und stellte sich neben mich an die Kochinsel. „Hey, ich bin Timo.“
„Trinkst du mit?“, fragte sie nur und schob ihm ein Glas zu.
Grinsend nahm er es entgegen und dieses Mal stießen wir zu dritt auf uns an.
Die Küche und auch das gesamte Haus füllte sich immer mehr. Die Geräuschkulisse wurde immer lauter und der Alkoholpegel stieg in einem beänstigendem Tempo. Wir waren gerade einmal eine Stunde lang hier und schon fühlte ich mich gut und leicht und mehr als nur ein bisschen beschwipst. So, wie es sich gehörte für einen Donnerstagabend. Die Zeit, die ich mit Trübsal blasen Zuhause verbracht hatte, war eindeutig vorbei. Jetzt wollte ich mein Leben genießen und einfach alles erleben.
Locker bewegte ich mich im Rhythmus der Musik in Richtung des Wohnzimmers, wo die eigentliche Party stattfand. Ich kannte einige der Leute aus der Uni und andere von etlichen vorherigen Parties. Valentina war bekannt für ihre hervorragenden Feiern, von denen es meiner Meinung nach viel zu wenige gab.
Ich umarmte kurz eine Kommilitonin und eine andere Bekannte, die mit mir auf das Gymnasium gegangen war, und machte mich dann weiter auf die Suche nach ihm. Milena und Timo hatte ich zusammen in der Küche gelassen. Ich konnte sie jetzt gerade beide nicht brauchen. Außerdem verstanden sie sich auf Anhieb und tranken weiterhin Kurze. Vielleicht war das auch der Grund, weshalb sie sich so gut verstanden. Wie auch immer, ich war froh darüber, meine beste Freundin in guten Händen zu wissen, während ich nach ihm suchte.
Die Musik war laut und das Licht dunkel. Einzelne Spots leuchteten immer wieder auf und tauchten die Tanzenden in der Mitte des Raumes für wenige Sekunden in buntes Licht. Valentinas Eltern hatten Geld und das nicht zu knapp. Sie hatten an nichts gespart. Ein Glück für uns alle.
Es dauerte nicht lange bis ich ihn entdeckte. Mein Herz schlug etwas schneller als ich auf ihn zusteuerte. Das war dem Alkohol und der Aufregung geschuldet. Ich hatte noch nie jemanden wie ihn. Aber ich wusste, dass wir das perfekte Paar wären. Ob für eine Nacht oder für eine Woche oder einen Monat, wir beide gehörten zusammen. Das wusste ich schon seit unserer ersten Begegnung. Er tanzte mit einem jungen Mädchen, das ich nicht kannte. Sie hatte kurze, dunkle Haare und war überhaupt nicht sein Typ, so viel hatte ich über ihn in Erfahrung bringen können. Das und noch viel mehr. Ich wusste alles, was es über ihn zu wissen gab. Und so kannte ich auch sein Beuteschema. Und, welch Überraschung, ich passte genau hinein. Ich war perfekt für ihn. Er war perfekt für mich. Das Spiel sollte ganz einfach sein.
Das nächste Lied ertönte und der Bass ließ den Boden unter meinen Füßen vibrieren. Er grinste, als er mich ebenfalls sah. Beinahe sofort ließ er von dem anderen Mädchen ab und kam mir ein paar Schritte entgegen. Seine weißen Zähne blitzten auf.
„Du bist ja auch da“, sagte er über die laute Musik hinweg in mein Ohr. Er beugte dabei seinen Kopf zu mir herunter. Sein Atem streifte meine Haut. Sofort bekam ich eine Gänsehaut. Es war unbeschreiblich, wie sehr er mich anzog. Mit seinem Aussehen, seinem Geruch und seiner tiefen Stimme. Sie klang so dunkel und dann auch noch dieser Akzent. Allein die wenigen Worte jagten mir einen Schauer nach dem anderen über den Rücken. Gott, ich wollte nie wieder einen anderen Mann als ihn. „Ich dachte schon, du kommst nicht.“
„Das lasse ich mir doch nicht entgehen“, erwiderte ich genauso laut und mit einem koketten Lächeln. Er wusste genau, was ich meinte. „Du hast mir doch versprochen, dass wir zusammen tanzen, Konstantin. Oder willst du dein Versprechen nicht halten?“ Ich schob meine Unterlippe vor. Niemand konnte meinem Schmollmund widerstehen.
Konstantin schnappte sich meine Hand und wirbelte mich herum. So schnell, dass mir fast ein wenig schlecht wurde. Und dann stand ich da, direkt vor ihm. Seine Hand lag an meiner Taille, mit der anderen hielt er noch immer meine Hand fest und presste sich an mich. So nah, dass ich seinen muskulösen Körper an meinem Rücken spürte und noch mehr.
„Ich halte alle meine Versprechen, Joanna“, raunte er mir ins Ohr.
„Joanna, jetzt erzähl mir sofort, was passiert ist gestern Abend!“ Aufgebracht stemmte Milena die Hände in die Hüften. „Du kannst nicht erwarten, dass ich damit zufrieden bin. Ich will Einzelheiten. Details. Komm schon, damit sparst du doch sonst auch nie. Du hast so lange nur über ihn geredet, da musst du schon mit mehr rausrücken.“
„Es ist nichts passiert, wie ich dir schon gesagt habe.“ Mit einem frustrierten Seufzen drehte ich mich auf den Rücken und presste Milenas Kissen fest an meine Brust.
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