»Was ist das?«, wollte er wissen.
»Ich habe keine Ahnung«, antwortete Deborah. »Es ist vorhin mit der Post gekommen.«
»Willst du es nicht aufmachen?«
»Doch, natürlich.« Deborah wusste selbst nicht, warum das Päckchen sie so verunsicherte. Vielleicht, weil praktisch niemand wusste, dass sie bei Schulze & Niess arbeitete? Ihr gesamter Freundeskreis bestand aus gemeinsamen Freunden von Stefan und ihr. In ihrem Wunsch, ein neues Leben zu beginnen, hatte sie sich seit ihrer Trennung bei niemandem mehr gemeldet.
Sie nahm eine Schere und schlitzte das Paket am Etikett auf. Dabei verspürte sie eine seltsame Hemmung, die Perfektion des kleinen Gegenstandes zu zerstören.
Unter dem Etikett befand sich eine Lasche, die den Deckel im Karton hielt, und Deborah benutzte die Schere, um ihn aufzuhebeln. Als sie den Inhalt sah, hielt sie verblüfft inne. Auf dem Grund der Schachtel lag eine kurze Kette aus rot-schwarzen Perlen. Sie nahm sie neugierig heraus und entdeckte darunter einen Zettel.
»Halt die Augen auf!« stand in akkurater Druckschrift darauf, wie mit einer alten Schreibmaschine getippt. Ein Rätsel?
Klaus nahm ihr die Kette aus der Hand. »Das ist ein Armband, würde ich sagen. Was meinst du, Debs?« Er zog sie über sein kräftiges Handgelenk. Die Perlen rutschten auseinander, als sich das Gummiband dehnte.
»Gib her!«, rief Deborah lachend und nahm ihm das Schmuckstück ab. »Zu deinen Pranken passt das doch nicht!«
Sie streifte es sich selbst über und hielt es ins Licht.
»Es ist schön, findest du nicht?«, fragte sie und drehte es hin und her. »Was sind das für Perlen, kennst du die?«
Carl betrat den Raum in diesem Augenblick. Sein Blick fiel auf den weißen Karton, der vor Deborah stand.
»Was hast du denn da bekommen?«, fragte er neugierig.
»Dieses Armband hier«, antwortete Klaus an Deborahs Stelle. Er wies auf ihren Arm.
Carl ergriff die günstige Gelegenheit. Er nahm Deborahs Hand und betrachtete die zierliche Kette eingehend. Sie bestand aus kleinen grellroten Samen, die wie kleine Bohnen aussahen, und jede hatte einen schwarzen Fleck, der durchbohrt war, um sie auf einem Gummiband aufzufädeln.
»Weißt du, was das ist, Deborah?«, fragte er. Sie schüttelte stumm den Kopf. Von dem Moment an, in dem Carl ihre Hand genommen hatte, war sie wie erstarrt.
»Das sind Pater-Noster-Erbsen«, erklärte Carl. »Sie stammen aus Asien. Früher hat man sie gerne für Rosenkränze verwendet, daher kommt ihr Name.«
»Ich habe keine Ahnung, wer mir so etwas schicken könnte.« Ihr Tonfall war betont neutral und sie vermied es, ihn anzublicken.
»Vielleicht hast du einen heimlichen Verehrer?«, mutmaßte Carl und zwinkerte Deborah zu. Sie wurde rot. Widerstrebend ließ er zu, dass sie ihre Hand aus seinem Griff befreite. Schnell streifte sie die Kette ab und legte sie zurück in die Schachtel.
Carl deutete auf die Verpackung. »Das ist sehr gute Arbeit, findest du nicht? Ich kenne gerade mal drei Firmen, die so einen Karton herstellen können.«
»Dieser Zettel hier war noch dabei.« Deborah drehte ihn so, dass Carl ihn lesen konnte.
»Halt die Augen auf?« Carl grinste sie an, seine Augen leuchteten silbern. »Das kann auf keinen Fall schaden.«
Noch immer lächelnd verließ er den Raum. Die Sache mit Deborah machte ihm immer mehr Spaß.
Deborah fuhr in ihrer Mittagspause die drei Stationen mit der Straßenbahn zur Wohnung ihrer Mutter, um sich umzuziehen. Eine Blitzdusche musste einfach drin sein, denn die Stadt kochte unter der brennenden Sonne. Obwohl sie heute Morgen erst geduscht hatte, fühlte sie sich schon wieder verschwitzt.
Auf ihre Nachfrage hin hatte Klaus ihr versichert, es sei völlig in Ordnung, bei der Präsentation in Jeans und Bluse zu erscheinen. Aber Carl hatte vorhin eine Anzughose getragen anstatt der sonst bei ihm üblichen dunklen Stoffhosen, und Klaus hatte sogar sein ewiges schwarzes T-Shirt gegen ein buntes Hawaiihemd getauscht.
Sie bürstete ihr Haar aus und flocht es noch feucht zu einem Zopf. Reichlich Deospray unter die Achseln, zwischen die Brüste und ein Sprühstoß auf das dunkelblonde Dreieck zwischen ihren Beinen. Schnell das Make-up, Wimperntusche, Kajal, ein Tupfen heller Lidschatten und perlmuttfarbener Lippenstift. Eine dunkelgrüne Leinenhose anstelle der Jeans, eine weiße Bluse und darüber einen hauchdünnen Blazer aus flaschengrünem Chiffon, der ihrer Mutter gehörte. Um den Hals eine Silberkette mit einem tropfenförmigen Anhänger aus Jade, der farblich zum Blazer und zu ihren Augen passte. Zuletzt schlüpfte sie in zierliche Sandalen mit kleinem Absatz, dann lief sie ins Schlafzimmer ihrer Mutter und begutachtete sich kritisch in dem großen Spiegel, der neben dem Bett an der Wand lehnte. Sie presste die Lippen zusammen, um den Lippenstift besser zu verteilen, und nickte sich anschließend zu. »Besser wird es nicht!«
Mit ihrer alten Umhängetasche über der Schulter, die so gar nicht zu dem neuen Outfit passen wollte, machte sie sich eilig auf den Rückweg in die Agentur.
Er stellt das Paket mit dem Armband achtlos zur Seite, doch dann kommt ihm ein Gedanke. Der Paketbote hat geschlampt und niemand weiß, dass er es hat. Das Risiko ist gering und der Gewinn verlockend. Eine solche Chance wird er nie wieder bekommen.
Deborah kam gerade rechtzeitig, um Carl im Empfangsraum im wahrsten Sinne des Wortes in die Arme zu laufen. Er trug inzwischen ein dunkles Sakko über dem weißen Hemd, aber keine Krawatte. Die obersten Knöpfe seines Hemds waren geöffnet. Er nahm Deborah an den Schultern und musterte sie prüfend. Plötzlich hatte sie sein schwarzes Brusthaar vor der Nase, das sich unter dem Kragen kräuselte. Unwillkürlich machte sie einen Schritt rückwärts. Er ließ sie los, ergriff aber sofort ihre Hände.
»Deborah, so siehst du einfach toll aus.« Er sah ihr tief in die Augen. Prompt fühlte Deborah, wie ihre Wangen heiß wurden. Sie holte tief Luft. Das war doch lächerlich, jedes Mal wie ein Backfisch zu erröten, wenn er sie nur ansah!
»Du aber auch«, antwortete sie deshalb mutig und grinste ihn schief an.
Er musste lachen und ließ sie los. Anerkennend nickte er ihr zu. »Gut gemacht!«
Bezog sich das auf ihr Aussehen oder auf die schlagfertige Antwort? Deborah war schon wieder verunsichert. War sie zu forsch zu ihrem Chef gewesen?
In diesem Augenblick kam Klaus aus dem Atelier der Grafiker. Neugierig sah er von einem zum anderen. Hatte er von ihrem kurzen Wortwechsel etwas mitbekommen? Er ließ sich nichts anmerken, sondern fragte nur: »Können wir?«
Carl nickte und ging voraus in den Hof, der jetzt in der prallen Mittagssonne lag. Die Hauswände reflektierten das Sonnenlicht und nach der Kühle der klimatisierten Agentur traf Deborah die Hitze wie eine Wand. Schnell folgte sie Carl, der den Hof mit langen Schritten überquerte. Mit einer Handbewegung winkte er sie und Klaus zu seinem schwarzen Sportwagen. Deborah quetschte sich auf die Rückbank, während Klaus ächzend vorne Platz nahm. Es roch nach Leder und nach Carls Aftershave.
»Das ist kein Auto für Leute wie mich«, stöhnte Klaus. »Du solltest mehr Rücksicht auf deine alten Mitarbeiter nehmen!«
Carl lachte. »Tu bloß nicht so«, gab er zurück. »Bist du nicht letztes Jahr noch selbst mit so einer Flunder herumgefahren?«
»Du meinst den Porsche? Das war ein Oldtimer, du Banause, das ist etwas ganz anderes!«
Deborah hörte dem Geplänkel nur mit halbem Ohr zu. In Gedanken war sie bei dem kurzen Augenblick vorhin im Empfangsraum der Agentur. Bei der Erinnerung daran bekam sie ein warmes Gefühl in der Magengrube.
Himmel, er war immer noch ihr Chef und damit so unerreichbar wie der Bürgermeister von Köln, rief sie sich selbst zur Ordnung. »Aber er sieht besser aus«, stellte eine Stimme tief drinnen in ihr fest. »Na und?«, widersprach sie sich selbst. »Ich werde mich nicht in meinen Chef verlieben. Niemals.« »Wirklich nicht?«, antwortete die Stimme. »Wen willst du eigentlich überzeugen?«
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