»Und wieso ist er heute hier? Hat er eine eigene Agentur?«
»Ja, so kann man es wohl nennen. Eine Ein-Mann-Agentur, sozusagen. Er nennt sie STEFF.«
Carl nickte und beobachtete den Mann weiter. So jung war er gar nicht mehr, vermutlich an die dreißig. Er wirkte auf ihn eher wie ein Student und nicht wie der Leiter einer Agentur.
»Und du sagst, er kann was?«
»Oh ja, er ist sehr talentiert. Er ist zwar nicht der weltbeste Grafiker, aber er hat sehr pfiffige Ideen. Willst du ihn abwerben?« Sabine Schallert grinste schief. »Mach dir keine Hoffnungen, das habe ich auch schon versucht. Und momentan hast du sowieso keine Chance. Er hat mir gerade erzählt, dass er einen Auftrag am Laufen hat, der – wie er sagte – bei den richtigen Leuten in Düsseldorf einen bleibenden Eindruck hinterlassen wird.«
»Ach was. Da gehört aber einiges dazu!« Carl schüttelte zweifelnd den Kopf.
»Aber ja!« Sabine Schallert senkte die Stimme. »Er hat vorhin ein paar geheimnisvolle Andeutungen gemacht. Von Armbändern hat er etwas erzählt und von einer Serie von Werbeplakaten. Es klang ein wenig nach viraler Werbung, aber es ist wohl noch mehr als das.«
»Mehr als das? Jetzt machst du mich aber neugierig.«
»Sonst weiß ich auch nichts darüber. Wir müssen uns wohl überraschen lassen.« Sabine Schallert zuckte mit den Schultern.
»Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie ein Einzelner einen größeren Auftrag stemmen will.« Carl winkte ab. »Und noch dazu ist er so jung, der hat doch gar nicht die Leute, die er dafür braucht.«
»Ja, wahrscheinlich hast du recht«, antwortete sie. »Warten wir es ab.«
Ein Plan beginnt in ihm zu keimen, ein großartiger Plan, der all seine Probleme auf einen Schlag lösen wird. Er kann den lästigen Konkurrenten loswerden und endlich seine Firma nach vorne bringen. Und wenn er es richtig anstellt, gibt es Deborah als Bonus obendrauf.
Stefan kippte das Glas in einem Zug hinunter. Das Blut rauschte in seinen Ohren und er hielt sich an der Tischkante fest, als der Boden unter ihm schwankte. Mit allem hatte er gerechnet, aber nicht damit, Debbie hier und heute zu treffen. Und dann noch am Arm dieses Schnösels, dieses … dieses … Schürzenjägers! Wusste sie denn nicht, was für einen Ruf Carl Schulze hatte? Es war doch ein offenes Geheimnis unter den Kollegen, dass er hinter jedem Rockzipfel her war und es überhaupt nicht akzeptieren konnte, wenn er einmal eine Frau nicht bekam!
Er schüttelte den Kopf, um ihn wieder klar zu bekommen. Mit weichen Knien verließ er den Raum und ging zur Toilette. Nachdem er sich erleichtert hatte, wusch er Hände und Gesicht mit kaltem Wasser. Dann stand er da, den Kopf zum grellen Licht der Neonröhre erhoben, die über ihm schien, während ihm das Wasser in den Kragen rann. Nochmals benetzte er die Hände und fuhr sich damit durch die braunen Locken. Seine Finger verhedderten sich in dem ungewohnten Haargummi, er musste es lösen und die Haare neu zusammenbinden. Der kurze Pferdeschwanz kringelte sich feucht und kühl in seinem Nacken, die plötzliche Kälte tat ihm gut. Er atmete einmal tief durch.
Während er sich abtrocknete, musterte er sich in dem großen Spiegel hinter dem Waschtisch aus Granit. Seine Haut war leichenblass unter dem gnadenlosen Licht der Lampe. Die geröteten Augen, die den durchgearbeiteten Nächten geschuldet waren, ließen ihn wie einen Zombie aussehen. Er hatte sich für den Empfang in Schale geworfen, aber in seinen Augen fehlte es ihm an der Statur, um so ein Outfit angemessen tragen zu können. Jemand wie Carl Schulze wirkte in seinem schwarzen Anzug lockerer, als er selbst es in Jeans und T-Shirt tun würde. Und für den Stil der Nonkonformisten wie Tom Herwig war er schlichtweg nicht mutig genug.
Resignierend zuckte er mit den Schultern. Er richtete die Krawatte gerade und überprüfte, ob der Kragen seines Hemds jetzt komplett durchnässt war. Aber selbst wenn, er könnte es ohnehin nicht ändern.
Er kehrte in den Raum zurück und stellte fest, dass er den Anfang der Präsentation verpasst hatte. In der Zwischenzeit hatte man die Lampen heruntergedimmt und drei riesige Videoleinwände enthüllt. Auf den Projektionsflächen waren bereits die Logos der an der Ausschreibung beteiligten Agenturen zu sehen: links eine stilisierte Sprechblase, das Logo von Shouting People, in der Mitte der Löwenkopf von Schulze & Niess und rechts der markante Schriftzug von STEFF, seiner eigenen Agentur.
Stefan hielt den Atem an und stieß ihn geräuschvoll wieder aus, als Frau Leidenberg vorne zu sprechen begann. In blumigen Worten bedankte sie sich bei den Anwesenden, erwähnte lobend die anderen Bewerber, die es nicht in die Endausscheidung der besten drei geschafft hatten, und übergab dann das Wort an einen älteren Mann in schwarzem Anzug mit gepflegtem eisengrauen Vollbart.
»Guten Tag, meine sehr verehrten Damen und Herren«, begann er. »Ich bin Dr. Daniel Markhof, ich bin der leitende Produktmanager des Medikaments, mit dem Sie sich in den letzten Wochen und Monaten so ausführlich beschäftigt haben …«
Stefan blendete die sonore Stimme aus. Das Produkt selbst interessierte ihn herzlich wenig, ein Schmerzmittel für Kinder oder eine Supermarktkette, ein Autohersteller oder ein Waschmittel, es war ihm egal. Er versuchte bei seiner Arbeit immer, das Wesen einer Sache zu erfassen und zu erkennen, wie der Markt dafür beschaffen war. Dieses Wissen verband er zu einer Strategie, das war sein großes Talent. Mit Debbie an seiner Seite, die seine Ideen perfekt umsetzte, hatte er sich als Teil eines schlagkräftigen Teams gesehen, mit ihr hätte er gegen die großen Agenturen eine Chance.
Und jetzt? Jetzt stand er mit leeren Händen da. Weniger noch als leer, denn um an der Ausschreibung von Rheopharm überhaupt teilnehmen zu können, hatte er einen Kredit aufnehmen müssen. Er hatte einen anderen Grafiker für etwas bezahlt, was eigentlich Debbies Aufgabe gewesen wäre.
Wenn er heute die Ausschreibung gewann, war er aus dem Schneider, dann hatte er auf mindestens zwei Jahre ein regelmäßiges Einkommen. Mit dem ersten Honorar würde er seine Schulden bezahlen, mit dem Rest könnte er gut leben und sogar noch etwas zur Seite legen für die Zukunft.
Und wenn nicht? Dann hatte er durch das Erreichen der Endausscheidung mal wieder Anerkennung gewonnen. Man war auf ihn aufmerksam geworden, aber Lob und Ehre zahlten keine Miete. Die aktuelle Pater-Noster-Kampagne hielt ihn gerade noch über Wasser, doch wie es danach weitergehen sollte, wusste er nicht.
Vorne lief jetzt ein Film über die linke Leinwand. Die Agentur Shouting People hatte ihrem Namen Ehre gemacht und einen fulminanten Werbefilm produziert. Die finanziellen Mittel, die dafür investiert worden waren, hätten Stefan locker über die nächsten sechs Monate gebracht. Aber der Name, den sie sich für das Produkt ausgedacht hatten, machte den ganzen Aufwand zunichte. Ibuproteen, das war fantasielos, da fehlte der Pep. Vielleicht hatte er doch noch eine Chance.
Nun war der Entwurf von Schulze & Niess an der Reihe. Das war die wahre Konkurrenz für ihn, denn Boris Niess war der genialste Grafiker, den Düsseldorf zurzeit zu bieten hatte. Gegen ihn zu bestehen war sehr schwierig, wenn nicht sogar unmöglich.
In schneller Folge wechselten jetzt vorne die Bilder. Eine Diashow aus mehreren Plakaten, ganzseitigen Zeitungsannoncen und zum Schluss der Entwurf einer Verpackung, der unverwechselbar Debbies Handschrift trug. Ein kühner Pinselschwung in starken Farben quer über den Karton und darauf ein filigraner schwarzer Schmetterling. Die Namensvorschläge waren gut, Prep2Kids und Prep4Fit, die Tablette mit 200 Milligramm Wirkstoff für Kinder und 400 Milligramm für Jugendliche. Warum war ihm das nicht eingefallen?
Sein Entwurf leuchtete auf der rechten Leinwand auf. Das Konzept war wirklich stimmig, die Entwürfe sauber ausgeführt. Er fand seine Idee noch immer gut: Kinder und Jugendliche direkt in ihrem Alltag dargestellt, an dem sie durch Kopfschmerzen gehindert wurden, und dann die Erleichterung: Aktipep, und die Schule, der Sport, das Kino, das Treffen mit den Freunden konnte stattfinden. Natürlich war das alles nur skizziert und angedeutet, aber es war doch bisher nur eine Ausschreibung und keine fertige Kampagne. Oder etwa nicht?
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