Schließlich war es schon die englische Handelsflotte, die ihre Kapitäne Tradition werden ließ, und
dabei stetig wieder neue Ufer anstrebte im kämpferischen Wettbewerb des Handels, Ihre Majestät!“
Mein Vater lachte laut und herzlich. Jetzt zeigte er Genugtuung, worin sich seine Familie einreihte.
Ob mir der Wind stärker um die Ohren blies als zuvor, konnte ich feststellen, wenn ich darin stand.
Ich hatte ihn mir lange Zeit um die Nase wehen lassen, bis Georgi mir erneut vorangegangen war.
Wir plauderten bis in den Abend hinein, small talk, wie man in England sagt, über unsere Ahnen.
Scharlatanerie und Hexerei, Französische Revolution, ein Urenkel meines Urgroßvaters, in 1749.
Ein Bauer, der das Wetter vorhersagen konnte, den Ausfall einer Ernte und die Babys bestimmte,
wurde mit seinen eigenen Waffen geschlagen, als er eine Frau verriet, die ihr Baby getötet haben
sollte oder beseitigt hätte. Er brachte es der französischen Polizei näher. Im Gericht gab sie kund,
dass er zurzeit der Geburt ihres Babys ihr Liebhaber gewesen sei, wenn nicht vielleicht der Vater.
Mich interessierten dabei der Seher und die vorher Ahnungen mehr als jenes unerwünschte Baby.
Unser Ladengeschäft mit Keramikkunst sei bei meinem Großvater entstanden, unser Urgroßvater
hätte schon Anteile gehabt, der unterstützte das Geschäft seines Sohnes, wie Vater es bei mir tat.
Ein Jahr später war es offiziell. Mir gehörten eigene Anteile vom Keramikgeschäft meines Vaters.
Mit meinem zweiten Staatsexamen, das sich so gut sehen lassen konnte wie dieses von Georgi,
war ich täglich in London und beriet die langjährige Kundschaft für Antiquitäten selber im Laden.
Frühere Kunden kannten mich von klein auf. Sie zeigten offensichtliche Freude am Wiedersehen.
Es waren erst zwei Monate vergangen, und ich wusste, dass die Töpferkunst meine Berufung ist,
weil ich mich allen Kunstwerken des alltäglichen Gebrauchs gewidmet hätte, ohne damit Geld zu
verdienen. Dies ging am Geschäftssinn vorbei, doch beflügelte es meine Arbeit.
Meine ganze Seele lag darin, wenn ich mir diese verschiedenen Motive von Tieren, Ornamenten,
Pflanzen, Blumen oder Skulpturen ansah, die oft schöner aussahen als in der realen Wirklichkeit.
Letztendlich hatte der Mensch dem Tier voraus, dass er gern dekorierte und edle Ambiente schuf.
Wenn die Vögel mit ihrem Gesang der Musik nahestehen, gar Lust, Werbung und Befriedigung in
langgezogenen Vokallauten, Höhen und Tiefen im rhythmischen Wechsel als Takt in der Melodie
wiedergeben, so bleibt Dekorieren, Zeichnen und Malen den Menschen überlassen in ihrer Kunst.
Diese Welt, in der Ton herausgegraben, in Schmelzöfen gebrannt, emailliert sowie glasiert wurde,
war die gleiche, in der die Phönizier das Geld erfunden hatten, in Folge des Tauschhandels zuvor.
Ich musste zwei Perspektiven auseinander halten und erfuhr, dass sie sich hervorragend ergänzten.
„Der Vertrieb lebt mit einer Seele, die Buchhaltung ist das Herz des Geschäfts!“, betonte mein Vater.
Er wies mich darauf hin, dass diese bewundernswerte Haltung jenseits des schnöden Profits, auch
beinhaltet, dass in der Töpferei meist in den einfachen Gegenständen wie dem Feuer festen Teller
oder der braun glasierten Teekanne mit Stövchen eine bessere Handelsspanne liegt als bei selten
teuren Utensilien für die Vitrine. Unsere Vorgänger wussten das schon in der gelungenen Auswahl.
Indem sie Nutzen und Zweckmäßigkeit vor dies Ausstellungsstück in Rarität gestellt hatten, hätten
sie das beachtliche Lager geschaffen, das einem Geschäft die Möglichkeit zu Besonderem verlieh.
Mein Vater klärte mich in den kleinen, wichtigen Details genauso auf, sowie er mir die Grundlagen
des soliden, seriösen Kaufmanns beibrachte. Die Raffinesse des Verkaufens und die Buchhaltung.
Meine eigene erste Sammlung war nicht kostspielig. Sie enthielt die schönen Dinge aus Keramik,
die sich ein Auszubildender leisten kann. Dies Gedeck mit Blumen für das Frühstück, eine Schale,
aus der man Obst anbieten und Porridge essen konnte, oder den großen Landschafts-Wandteller,
der unsere „grüne Insel“ darstellte. Ein Schmuckdöschen mit einem Rosen verzierten Deckelchen
als Geburtstagsgeschenk für meine liebe Mutter. Sie bewahrte darin den wertvollen Schmuck auf,
womit sie außerdem den besonderen Wert meines ersten, selbst verdienten Geschenkes achtete.
Traditionelle, englische Keramik hatte es in sich, wenn man im Verkauf kompetent beraten wollte.
Ich lernte Original und Fälschung unterscheiden wie die Kopie von dem Kunstwerk richtig deuten.
War dies Original glaubhaft, musste ich es katalogisieren zur neuen Bestellung für Interessenten.
Ich arbeitete hart. Bald hatten mein Vater und ich zwei Roover, da er gerne den Abend vor dem
Sonnenuntergang im Garten zwischen seinen Vögeln genießen wollte oder bei einem Earl Grey
einen seiner mächtigen Wälzer. Er besaß eine eigene Bibliothek, die bis zur Decke hoch reichte.
Währenddessen studierte ich verschiedene Epochen, in denen Keramik bemalt worden war, um
den Kunden gerecht zu werden und anspruchsvolles Publikum in der Kunst Wissen darzubieten.
Das war ähnlich wie in der Musik, dass man zwischen Klassik, Musicals, Folklore, Schlager und
Symphonien unterscheiden lernen musste, dass „Die kleine Nachtmusik“ von Mozart war, sowie
'Die Zauberflöte' eine Oper und nichts gemeinsam hatte mit 'Den lustigen Weibern von Windsor'.
Oder wie ein Motiv zum Symbol wurde für die Formen in der Keramik, weil dies Feuer gefangen
hatte bei seinem Publikum, wie ein Ohrwurm populär wurde, weil ihn Sänger mit summten beim
ersten Ton der Melodie, dass diese von den Dächern gepfiffen wurde, egal ob von Spatzen oder
von Jungen. Das könnte man ein Lieblingsmotiv nennen. Man sah es bald auf jeder Tasse, Vase
oder Untertasse. Ein Motiv wurde zum Symbol für viele und erschien auf einem Deckel als Rose.
Dazu gehörten ein Rotkehlchen, ein Fasan mit goldenem Schwanz, der Kuss von Gustav Klimt.
Ein blaugrünes Pfauen-Auge stellte einen Schutz dar und war beliebt für den ritterlichen Kelch.
Die Quelle des Charmes war dabei ihre verspielte Unvollkommenheit, die man hier überall sah.
Letztendlich blieb das oft Handarbeit, die Töpferkunst, geformt, modelliert, bemalt und verziert.
Mir machte meine Arbeit Spaß. Kein äußerer Druck zwang mich, mehr dafür zu tun als nötigst.
Erst recht nicht mein Vater, der mit Gelassenheit beobachtete, wie ich in seinem Keramikladen
aufging und schon nach einem Jahr die Führung übernahm. Bald zeigten sich fremde Sprachen
nützlich, die ich sonst kaum brauchte. Meine Reisen führten nach Paris, Rom und Kopenhagen.
MEIN ERSTER BESUCH VON KOPENHAGEN
Sieben Jahre später, nachdem ich von Birgit Abschied genommen hatte, traf ich in Kopenhagen
ein. Es wurde mir wieder bewusst, als ich mit eigenen Augen sah, wovon sie mir lebhaft erzählt
hatte. „Das musst du unbedingt einmal in Wirklichkeit erlebt haben!“, gab mir mein Gedächtnis
sofort kund. „Von höchster Präzision sind die Kunstwerke, die Statuen, die großen Kathedralen
und natürlich auch „Die kleine Meerjungfrau,“ das Wahrzeichen von Kopenhagen“, schwärmte
sie mit leuchtenden Augen. „Erlebt, sage ich, mit einer Seele, die in unser griechischen Theater
passt, nicht mit dem Blick der eiligen Touristen wie erfasst sondern von Grund auf verstanden.“
Es waren mal Birgits Worte. Nun stand ich am Kai mit dem weiten Meer in ihrem Kopenhagen.
Neben „Der kleinen Meerjungfrau“ dachte ich an sie zurück wie an meine ehemalige Prophetin.
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